Fünf Monate Ausnahmezustand: Der etwas andere Rückblick auf F91 Düdelingen

Fünf Monate Ausnahmezustand: Der etwas andere Rückblick auf F91 Düdelingen

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Die schönste und erfolgreichste Phase des Luxemburger Vereinsfußballs ist am Donnerstagabend mit dem 0:0-Unentschieden zwischen dem F91 Düdelingen und Betis Sevilla zu Ende gegangen. Von Mitte Juli bis Mitte Dezember war der luxemburgische Meister in Europa unterwegs und sorgte für Schlagzeilen und Furore. Die Tageblatt-Journalisten Dan Elvinger und Christelle Diederich waren bei allen Spielen vor Ort, sammelten einzigartige Eindrücke und haben jede Menge Anekdoten mitgebracht.

Schicksal und Zwiebeln

10. und 17. Juli: F91- MOL Vidi FC (1:1, 1:2): Der F91 hatte in beiden Duellen die besseren Torchancen, schied aber schlussendlich aus der Königsklasse aus und durfte deshalb in der Europa League antreten. Nach dem 1:1-Remis im Hinspiel begab sich der luxemburgische Meister hoffnungsvoll auf die Reise nach Ungarn und landete in der tiefen Provinz. Im Teamhotel in Herceghalom wurden vor allem Entspannung für Rentner und Konferenzen für künftige Versicherungsvertreter angeboten. Das Stadion in der noch kleinen Stadt Felcsut liegt im Schatten der Residenz Viktor Orbans, vielen Jüngern von Jean-Claude Juncker auch bekannt als „the dictator“. Die Arena ist ein Schmuckstück, benannt nach Ferenc Puskas.

Das besondere architektonische Merkmal der Pancho Arena ist die Dachkonstruktion aus Holz. In den Katakomben befindet sich ein blutverschmiertes Trikot von „Pancho“ Puskas. Gewöhnungsbedürftig sind die Snacks. Der Ungar gönnt sich gerne Mal ein Butterbrot mit rohen Zwiebeln. Den Sitznachbarn freut’s. Freude kommt auch auf, wenn man als Journalist nach der Partie in der Pampa vergessen wird. Eine Übernachtung im Vorgarten von Orban wäre sicherlich sehr interessant gewesen. Leider aber auch schmerzhaft, denn die Region um Herceghalom war besonders stark von Stechmücken befallen. Schlussendlich brachte der letzte verbliebene MOL-Vidi-Mitarbeiter die verbliebenen zwei Journalisten zurück ins Hotel, wo die Mannschaft den vergebenen Gelegenheiten nachtrauerte. Die Spieler wussten damals noch nicht, welche neue Chance sie gerade erhalten hatten … del

26. Juli und 2. August: F91 – FC Drita (2:1, 1:1): Eine Pflichtaufgabe mit Umwegen. Länger reisen als der F91 geht fast nicht. Von Luxemburg aus ging es nach Brüssel, danach nach Ljubljana, nach Skopje und mit dem Bus nach Pristina. Abgerundet hätte die Reise noch ein Zwischenstopp in Reykjavik.

Das erste Problem tauchte kurz nach der Passkontrolle an der mazedonisch-kosovarischen Grenze auf. Clayton de Sousas Ausweis war abhandengekommen. Eine Rückkehr zum Grenzposten war nicht möglich, da auf der anderen Straßenseite ein unglaublicher Stau herrschte. Schnell wurde Anne Dostert, die Geschäftsbeauftragte der Luxemburger Botschaft in Pristina, kontaktiert.

Stau und ein verlorener Pass

Aber auch sie konnte nach einem Anruf am Grenzposten das Dokument nicht ausfindig machen. Wie von Geisterhand tauchte der Pass dann wieder in den Händen eines Betreuers auf und die Stimmung lockerte sich.

Auch vor dem entscheidenden Spiel in Mitrovica gab es eine Menge Stau. Glücklicherweise zeichnen sich viele Kosovaren durch große Freundlichkeit aus und so wurde eine fast 90-minütige Taxifahrt zum 40 Kilometer vom Mannschaftshotel entfernten Stadion erträglicher gemacht.

Pech hatten die Düdelinger, denn nur einen Monat später fand die erste offizielle Partie im renovierten Fadill-Vokrri-Stadion in Pristina statt. Die Anreise zu dieser kleinen Arena hätte nur wenige Minuten gedauert. del

Klavierstunde und Föhnfrisur

9. und 16. August: F91 – Legia Warschau (2:1, 2:2): Als der Rezeptionist des „Hotel Regent“ Clément Couturier zu später Stunde aufforderte, die Finger vom schwarz polierten Klavier zu lassen, hatten die Düdelinger den ersten Schritt in Richtung Play-offs bereits gemacht. Das Personal war nicht gerade begeistert von der Schar gut gelaunter Menschen, die ausgiebig in der Lobby feierten. Dino Toppmöllers Sohn durfte zuvor bei der Pressekonferenz zuhören, wie sein Vater die kollektive Leistung hervorhob, während DJ Stelvio da Cruz und seine Lautsprecher die Party in der Umkleidekabine anheizten.

Dominik Stolz war der Mann des Abends gewesen: Sein Geniestreich über rechts vor dem fantastischen Couturier-Abschluss hatte den Stein ins Rollen gebracht, später war es auch der brandgefährliche Deutsche, der im Strafraum zu Boden ging und den Weg für David Turpels Sieges-Strafstoß freimachte. Zur „Tristelle“, wie auf der Akkreditierung angekündigt, wurde der Ausflug nach Polen aus F91-Sicht keineswegs. Leidtragender war fünf Tage später Legia-Trainer Aleksandar Vukovic (Foto), der die Quittung für die Negativspirale bekam, in der sich der polnische Meister zu diesem Zeitpunkt befand.

Ersetzt wurde er durch einen Mann mit Föhnfrisur und konsequenten Entscheidungen: Im Stade Josy Barthel wechselte Ricardo Sa Pinto den Luxemburger Innenverteidiger Chris Philipps in der Pause aus und ließ ihn bis vor wenigen Wochen für das Ausscheiden in der dritten Qualifikationsrunde büßen. Genauso überzogen war übrigens auch die Panikmache vor den Legia-Ultras, die nichts mit dem F91 am Hut hatten. chd

Schluckspecht und Emotionen

23. und 30. August: F91 – CFR Cluj (2:0, 3:2): Der emotionale Höhepunkt. Nachdem die Düdelinger den rumänischen Meister im Hinspiel mit einem 2:0-Sieg geschockt hatten, ging die Reise nach Siebenbürgen. Vor dem entscheidenden Rückspiel machten die rumänischen Medien mächtig Propaganda. Der Höhepunkt: Danel Sinani wurde auf der Internetseite der Zeitung Libertatea als Alkoholiker dargestellt. Im Artikel tauchte ein Foto eines jungen Mannes auf, der hinter 20 leeren Bierflaschen in die Kamera lachte. „Sinani und die Flaschen, seine Freundinnen“, stand darunter. Blöd nur, dass es sich bei dem jungen Mann nicht um den F91-Angreifer handelte, sondern um ein geklautes Facebook-Foto. Der 21-Jährige konterte auf dem Platz, erzielte zwei entscheidende Tore und zeigte bei seinem Torjubel die demonstrative Trinker-Bewegung in Richtung Publikum und Presse. Auch auf dem Weg zum Stadion wurden die Düdelinger mit ein paar abfälligen Bemerkungen begrüßt. Zwei Rentner kündigten vollmundig dem F91 eine 0:5-Niederlage an. Daraus wurde bekanntlich nichts. Aber das Publikum von CFR zeigte Größe und drückte dem Underdog mit Szenenapplaus seinen Respekt aus.

Emotional auf dem Höhepunkt war nach der Sensation Trainer Dino Toppmöller. Der sonst so besonnen wirkende Deutsche umarmte jeden, der ihm über den Weg lief. Direkt nach dem Spiel ging es wieder in Richtung Luxemburg. Das Flugzeug wurde zur Partyzone und am Findel empfingen die F91-Anhänger ihre Helden. Legendär. del

Trüffel und zauberhafte Tore

20. September und 29. November: F91 – AC Mailand (0:1, 2:5):  Der Doppeltermin gegen den AC Mailand ragte durch seinen Glamourfaktor und die kulinarische Extraklasse der Italiener heraus. Ins Land der Gennaro Gattuso, Silvio Berlusconi oder Mozzarella, der Nudeln und Saucen reiste sogar der F91-Koch ohne Essensvorrat. In der Mailänder „Osteria Mamma Rosa“ hatte laut Aussagen des sehr gesprächigen Kellners Max – der mit einem Fingerzeig beweisen wollte, auf welchem Stuhl der Mäzen zwei Jahre zuvor gesessen haben soll – sogar schon Flavio Becca diniert. Sein Angebot, noch ein paar Trüffelstreusel für 50 Euro auf die butterweichen 300-Gramm-Piemont-Filets draufzupacken, wurde dankend abgelehnt. Edel wie der feine Schmaus war auch die fußballerische Nummer, die der F91 an einem kühlen Novemberabend im letzten Auswärtsspiel der Kampagne im mythischen San Siro, vor den Augen von 600 Luxemburger Fans, BGL-Ligue-Trainern und 14.400 geschockten „Rossoneri“-Anhängern, auftischte.

Erst hämmerte Stolz das Leder zum Ausgleich unter die Latte, ehe Turpel rund 96 Prozent des Stadions im zweiten Durchgang komplett zum Schweigen brachte.
Das Ende ist bekannt. Genauso emotional hatte die Geschichte am 20. September ihren Lauf genommen. Der F91 hatte mit kuriosen Direktiven der UEFA zu kämpfen, vom Dixi-Klo bis hin zur Geschenktüte für die Mailänder Delegierten. Beim ersten Gruppenspiel war der Andrang groß – und das Spektakel auch. Auf dem Rasen entschied ein abgefälschter Higuain-Schuss die Premiere, die sich sogar Großherzog Henri nicht entgehen lassen wollte. chd

Trikotsammler und Gesang

4. Oktober und 13. Dezember: F91 – Betis Sevilla (0:3, 0:0): Bei der ersten Auswärtsreise der Gruppenphase war erstmals der neu gegründete F91-Fanclub mit an Bord. Das hatte zur Folge, dass man nach 24 Stunden dauerhafter musikalischer Berieselung den Anfeuerungsruf „F91, F91, F91 Diddeleng“ nicht mehr aus dem Kopf bekam. Aber: Gut tut die motivierte jungen Bande dem Verein allemal.

Bewunderer der anderen Sorte warteten vor dem Mannschaftshotel. Ein Geschwisterpaar hatte sich die Mühe gemacht und ein großes Plakat gebastelt, mit dem sie die „camiseta“ von David Turpel und Marc-André Kruska ergattern wollten. Der Vater ist Sammler und hatte sich ein Trikot des Europa-League-Underdogs gewünscht. Die beiden F91-Spieler zeigten sich sehr erstaunt, dass man ihre Namen in Spanien überhaupt kennt.
Kurz vor der Abreise setzte das Geschwisterpaar noch einen drauf und erschien mit der luxemburgischen Handelsflagge („Roter Löwe“) am Flughafen. Zur Belohnung gab es ein Trikot von Marc-André Kruska. Laut unseren Recherchen wurde das Shirt später nicht als „matchworn jersey“ im Internet an den Meistbietenden verkauft.
del

Skandal und eine rauchige Halle

25. Oktober und 8. November: F91 – Olympiakos Piräus (0:2, 1:5): Aus dem Punkt im Hinspiel wurde nichts und in Athen, oder besser gesagt im Hafen von Piräus, lief es noch schlechter.

Dabei war die Stimmung vor der Partie noch auf dem Höhepunkt. Der Ausflug zur Akropolis kurz nach der Landung in Griechenland sorgte für gute Laune. F91-Fotograf Albert Krier machte sich eine Freude daraus, aus den Schnappschüssen von David Turpel und seiner Freundin Coryse auf Facebook eine Lovestory zu basteln. In allen möglichen Posen wurden das Paar vor dem Wahrzeichen Athens abgelichtet. Patrick Stumpf wollte nicht die zweite Geige spielen und legte sich mächtig ins Zeug. Der Stürmer macht seit Jahren bei fast jedem Treffer eine Jubelgeste, die dem albanischen Doppeladler ähnelt, und ließ sich in dieser Pose auf der Akropolis fotografieren. Einige griechische Medien fanden das Foto und machten daraus einen kleinen Skandal. Die Folge waren Drohungen und eine gewisse Angst. Während seiner sechsminütigen Einsatzzeit hielt sich der Angreifer jedenfalls sehr bedeckt.

Neben den Düdelingern waren auch die Volleyball-Damen des CHEV Diekirch gegen Olympiakos Piräus im Einsatz. Die ersatzgeschwächten Nordistinnen erfuhren, dass man in Griechenland nicht spaßt, wenn es um Sport geht. Olympiakos-Ultras standen während des ganzen Spiels in der ersten Reihe, um ihre Mädchen – wenn sie es denn gebraucht hätten – zum Erfolg zu peitschen. Die Partie ging deutlich mit 3:0 aus und so konnte sich die raue Bande auf das Wesentliche konzentrieren: Rauchen und in der Sporthalle Frappé trinken … del

Lesen Sie hier den Kommentar von Christelle Diederich.

Der Sommer ihres Lebens