Dienstag2. Dezember 2025

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Frischer Wind für eine alte Liebe: Villeroy & Boch arbeitet an der Umwidmung der „Friche industrielle“

Frischer Wind für eine alte Liebe: Villeroy & Boch arbeitet an der Umwidmung der „Friche industrielle“
Das Gelände im Rollingergrund, so, wie es heute aussieht

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Der Keramikhersteller Villeroy & Boch und Luxemburg gehen schon lange gemeinsam durchs Leben. Es ist eine Liebesbeziehung mit Höhen und Tiefen. Klassiker wie die 1770 eingeführte Serie „Alt Luxemburg“ stehen in vielen Familien auf dem Tisch. Das hauptstädtische Rathaus serviert den Kaffee für die Presse daraus. Als die Produktion für Geschirr in Luxemburg geschlossen wird, bekommt die Liebe einen Kratzer. Seitdem ist es still im Rollingergrund. Die Pläne für ein neues Stadtviertel auf dem Gelände bringen jetzt frischen Wind in die Beziehung.

Die Wunde der Schließung ist noch nicht vernarbt. 2007 kommt das Aus für Werk eins, 2010 auch für Werk zwei. Nach knapp 250 Jahren ist es das Ende für rund 180 Mitarbeiter. „NewWave“, die Tassen mit dem gewissen Schwung und dem Henkel aus einem Guss, wurden zum Schluss im Rollingergrund produziert. Dafür hat Villeroy und Boch 2004 noch den „Innovationspreis der deutschen Wirtschaft“ gewonnen, den es sich mit deutschen Vorzeigefirmen wie der BMW AG oder der Carl Zeiss AG teilt. Gehalten hat die Vorreiterrolle nicht lange. „Schon nach zwei Jahren haben wir Plagiate aus Asien auf dem europäischen Markt entdeckt“, sagt Peter Delwing, der als V&B-Direktor weltweit für „Real Estate“ zuständig ist.

Das Schicksal des luxemburgischen Standortes teilen auch die Kollegen im saarländischen Mettlach, dem Hauptsitz des Unternehmens. Auch dort stehen seitdem Hallen leer. Die Geschirrproduktion wird im sächsischen Torgau und im saarländischen Merzig zentralisiert. Geblieben sind in Luxemburg die rund 80 Mitarbeiter, die den weltweiten Vertrieb und die Dekorentwicklung für Hotel- und Restaurantgeschirr, den internationalen Vertrieb der Bad-, Wellness- und Tischkultur-Produkte, das Infocenter Bad und Wellness sowie die Verkaufspunkte in Luxemburg betreuen.

Ein „Outlet Center“ gibt es ebenfalls und in bescheidenem Umfang werden weiter Designprodukte hergestellt. In Handarbeit entstehen unter anderem Salz- und Pfefferkompositionen, die standortgetreu mit „Vieux Septfontaines“ verziert werden. Die Farbe, eine geheime Rezeptur des Hauses, ist nach dem Wohnhaus des Direktors benannt.

So könnte es im Rollingergrund einmal aussehen

Das „Château Septfontaines“ ist das Schmuckstück des Geländes. Der erste Direktor Pierre-Joseph Boch hat es gebaut und bis 1818 bewohnt. Heute steigen Firmengäste in der historischen Villa ab, eine Eventfirma hat sich angesiedelt. Das Haus ist der in Stein gemeißelte Ruf des Unternehmens: Keramik in Perfektion aus Tradition. Man weiß, wo man herkommt, und pflegt das gewisse adelige Etwas.

Die Adresse am Schloss

Hochherrschaftlich soll auch die neue Adresse der zukünftigen Bewohner klingen. „Die Menschen, die hier wohnen werden, haben eine Schlossadresse“, sagt Delwing. Die Pläne für das Gelände, auf dem die verwaisten und wie Fossilien aus Zeiten der Industrialisierung wirkenden Hallen stehen, zeigen große, moderne Wohnkomplexe mit begrünten Flächen dazwischen, umgeben von reichlich Wald.

550 neue Wohneinheiten für 1.200 Menschen sollen auf den rund 200.000 Quadratmetern zwischen Mühlenbach und Rollingergrund entstehen. Das Angebot reicht von Penthouse-Größe bis hin zum Ein-Zimmer-Appartement – inklusive Büroflächen und vor allem Nahversorgung sprich „Commerce de proximité“.

„Die Nahversorgung ist fester Bestandteil der Planung, weil wir mehr Verkehr für das Viertel vermeiden wollen“, pariert Delwing die schon geäußerte Kritik an den Entwicklungsplänen wegen des vermeintlich höheren Verkehrsaufkommens durch. Die Firmen auf den Büroflächen werden noch mehr „Human Resources“ ins Viertel bringen und es beleben. „Hier entsteht in der Tat ein völlig neues Quartier“, bestätigen unisono die mit den Vorarbeiten für den Teilbebauungsplan beauftragten Architekturbüros aus Luxemburg und Frankfurt am Main.

V.l.: Harmke van der Meer (Architektin, V&B), Wolfgang Heine (Architekt, KSP GmbH, Frankfurt), Tatiana Fabeck (Architektin, Fabeck Architectes Koerich) und Peter Delwing (Director Real Estate and Innovation, V&B)

Enge Kooperation mit der „Stad“

Zuerst müssen aber Belastungen des Geländes, das über 100 Jahre industriell genutzt wurde, beseitigt werden. Begonnen wird mit Werk eins. Dazu gehört auch das neben dem Schloss liegende historische „Carré“, in dessen Hof früher ebenfalls produziert wurde. Heute ist es baufällig. Die Baustelle für den Rückbau ist gerade erst eingerichtet worden. Eventuell könnte das die neue Adresse für die verbliebenen Mitarbeiter und für das Outlet Center werden. Zur Nutzung des Schlosses gibt es noch keine exakten Pläne, man sammelt noch Ideen.

Das Motto — modern, ja, allerdings mit Verweisen an die Geschichte – ist nicht neu. Belval mit den beiden Hochöfen zwischen Wohnen und High-End-Science oder Schifflingen, wo noch überlegt wird, was erhalten bleibt, bevor das Gelände bebaut wird, sind nur zwei Beispiele. Sie belegen recht eindrücklich, wie andere Industrieunternehmen die Aufgabe einer Umwidmung lösen.

Das neue Büro- und Konferenzzentrum in Mettlach

An einem anderen Standort ist V&B damit schon weiter. In Mettlach ist die ehemalige Produktionshalle im Hof der alten Benediktinerabtei, dem Hauptsitz, bereits zum offenen und hochmodernen Büro- und Konferenzzentrum umgebaut worden. Eine Vorlage für Luxemburg? Das Überbleibsel der seriellen Industrieproduktion, der lange rote Schornstein neben der Abtei, markiert den zukünftigen Eingangsbereich in die „Markenerlebniswelt“ mit Museum und Produktpräsentation. Er erinnert wie die Hochöfen auf Beval weithin sichtbar daran, dass hier einmal produziert wurde. Und verstärkt zusammen mit dem imposanten Abteigebäude neben der Saar das Gefühl der Wertigkeit des Geländes.

Das ist in Luxemburg nicht anders. „Der Wert des Geländes im Rollingergrund ist geprägt vom Wert des Schlosses“, sagt Delwing, „deshalb liegt es uns am Herzen, dass die Entwicklung hier hochwertig und nachhaltig ist.“ Klar ist auch, dass V&B die Umwidmung gemeinsam mit der Stadt betreiben will und wird. Das bestätigt Delwing und beruft sich auf das Selbstverständnis des Unternehmens. „Wir sind Spezialisten in der Herstellung und dem Vertrieb von keramischen Erzeugnissen.“

Entschieden ist also noch nichts, aber es gibt eine Vision für die Industriebrache. Eine, die dem Anliegen der Stadt, in Zeiten des Wohnungsmangels mehr Wohnraum zu schaffen, entgegenkommt. Bleibt zu hoffen, dass die „Schlossadresse“ nicht nur einer zahlungskräftigeren Klientel vorbehalten bleibt, sondern dass das neue Viertel nachher tatsächlich dem viel zitierten „Mix“ entspricht.


Lange Geschichte kurzgefasst

Heute würde man das als „berufliche Umorientierung“ bezeichnen. Der königliche Kanonengießer François Boch, ein Franzose, beschließt 1748, in die Keramikproduktion einzusteigen. Luxemburg ist schon damals ein guter Absatzmarkt für die Produkte. 1767 verlassen seine drei Söhne Audun-le-Tiche.

Sie haben die Nachfolge des Vaters, der 1754 stirbt, im Unternehmen angetreten und nehmen das gesammelte Wissen der Keramikproduktion mit in Rollingergrund. Das ist der Grundstein der dortigen Produktion. 1791 erwirbt der Kaufmann Nicolas Villeroy eine Steingutfabrik im heutigen saarländischen Wallerfangen und produziert dort.  Währenddessen kauft einer der Boch-Söhne die leer stehende Benediktinerabtei in Mettlach und baut dort ebenfalls eine Produktion auf.

Die Bochs und Villeroys sind zwar Konkurrenten, trotzdem kennt man sich. 1836 kommt es zur Fusion. Knapp 60 Jahre später wird Eugen Anton Boch 1892 in Potsdam in den preußischen Adelsstand erhoben. In den Jahren danach entwickelt sich V&B zu einem weltweit agierenden Unternehmen mit zuletzt 7.500 Mitarbeitern und 14 Produktionsstätten.


Stand der Dinge: Luxemburg und Mettlach

Das gesamte Areal umfasst rund 200.000 Quadratmeter. Dafür wurde zuvor das firmenintern „Blue Box“ genannte und zuletzt gebaute Werk zwei direkt neben der Straße samt umliegendem Wald an die Stadt Luxemburg verkauft. Für die rund 55.000 Quadratmeter inklusive Waldanteil wurde ein Verkaufspreis von 14,3 Millionen Euro erzielt – Geld, das bei V&B überwiegend für die Sanierungs- und Rückbauverpflichtungen des Gesamtgeländes zurückgestellt wurde. Der Rest des Geländes gehört nach wie vor V&B.
2016 wurde das gesamte Gelände im Allgemeinen Bebauungsplan (PAG) von einer „Zone industrielle“ in eine gemischt bebaubare „Zone mixte“ mit Schwerpunkt Wohnen umgewidmet. Seitdem werden Vorarbeiten geleistet, um den Teilbebauungsplan (PAP) 2019 einzureichen.

Am Hauptsitz in Mettlach wird die deutsch-französische Firma insgesamt 20 Millionen Euro in die Umbaumaßnahmen investieren. Die alte Produktionshalle ist Teil davon, genau wie die Gastronomie für die Mitarbeiter, die ebenfalls umgebaut wurde.

Noch ausstehende Maßnahmen sind die Zusammenlegung von Keramikmuseum und Produktpräsentation einerseits und der Abriss von alten Hallen andererseits. Damit wird der Fußgängerweg frei vom Bahnhof durch das V&B-Gelände bis in die Fußgängerzone Mettlachs. Auch hier arbeitet V&B mit der Gemeinde zusammen. Für das Projekt, das sich „Mettlach 2.0“ nennt, gibt es Fördergelder vom Land. 836,5 Millionen Euro betrug der Umsatz des Unternehmens im Geschäftsjahr 2017.

Vom Unternehmensumsatz 2017 entfallen 558,1 Millionen Euro auf den Bereich Bad und Wellness und 278,4 Millionen Euro auf den Bereich Tischkultur.