Friedensstadt Münster trotzt der Angst

Friedensstadt Münster trotzt der Angst

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Flatterband zur Absperrung gehörte in Münsters Altstadt bisher vor allem in die Kulisse der ARD-Serie „Tatort“. Filmkameras sind dort oft auf TV-Kommissar Frank Thiel und -Rechtsmediziner Karl-Friedrich Boerne gerichtet. Doch nach der Todesfahrt von Münster ist in der Stadt, in der 1648 mit dem Westfälischen Frieden der 30-Jährige Krieg beendet wurde, alles anders: Hunderte Polizisten riegelten am Samstag den echten Tatort ab, wo ein Deutscher mit seinem Campingbus zwei Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt hatte. Am Sonntag waren zahllose Kameras von Sendern aus aller Welt auf Bundesinnenminister Horst Seehofer gerichtet, der die Tat als feiges und brutales Verbrechen verurteilte. Der CSU-Politiker erklärte, dass – auch wenn alles Menschenmögliche getan werde – absolute Sicherheit eben nicht möglich sei.

Doch genau das wünscht sich der gebürtige Iraker Filip Mako, der seit 20 Jahren in der Uni-Stadt lebt. „Wir brauchen immer mehr Sicherheit, das ist wichtig für uns alle“, sagt der Mann in weißem T-Shirt mit schwarz-rot-goldenem Kragen, während hinter ihm Gläubige aus der Apostelkirche strömen. Wenn vorher genug getan worden wäre, betont Mako, dann hätte so etwas wie hundert Meter weiter am „Kiepenkerl“ nicht passieren können. Seine Frau aber ist zuversichtlich: Münster werde die Angst überwinden, sagt Gladis Mako. Die Bürger müssten nur aktiv bleiben.

Rund 300 Meter in die andere Richtung hatte es das letzte große Medienereignis in Münster gegeben, als Tausende gegen den Neujahrsempfang der AfD im Rathaus protestierten. Die von traditioneller Kaufmannschaft und Zehntausenden Studenten geprägte Stadt machte bei der Bundestagswahl 2017 zudem Schlagzeilen, weil nur hier die AfD unter fünf Prozent blieb.

Laschet: „Für Opfer ist Religion des Täters egal“

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet lobt am Sonntag die Besonnenheit der Münsteraner, von denen viele nach der Todesfahrt spontan zur Blutspende in die Uni-Klinik gefahren waren. Er würde sich wünschen, „wenn diese besondere Münsteraner Erfahrung einer Friedensstadt auch alle die erreicht hätte, die gestern ganz schnell bei Twitter und anderswo wieder das Hetzen begonnen haben“, sagt der CDU-Politiker. „Für die Opfer ist es egal, welche Religion der Täter hat.“ Die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch hatte kurz nach der Tat „WIR SCHAFFEN DAS!“ getwittert und damit auf die Worte von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise angespielt.

Münster-Touristin Anja Gerten kritisiert zwar diesen Hinweis auf einen vermeintlich ausländischen Täter. „Man darf nicht immer alles über einen Kamm scheren, nicht immer direkt so in diese eine Kerbe hauen“, sagt die 31-Jährige aus Mönchengladbach, die übers Wochenende in die Domstadt gekommen war. „Aber es ist tatsächlich der erste Gedanke, der mittlerweile so im Kopf herrscht, dass es halt irgendwelche ausländischen Mitbürger sind. Das ist unbewusst.“

Mit der Amokfahrt trifft es eine Stadt, in der viele der rund 310.000 Bewohner gerade die Sicherheit schätzen – und dafür auch eine mitunter recht provinzielle Ruhe in Kauf nehmen. „Die Menschen suchen die Beschaulichkeit von Münster“, sagt eine 56-Jährige, die zum Kondolieren an den Tatort gekommen ist. „Das ist eine sehr ruhige, sehr unaufgeregte Stadt.“ Sie selbst fühle sich auch jetzt nicht unsicherer, doch das Ereignis habe schon etwas verändert: „Da tut sich irgendwie so ein Riss auf“, sagt sie. „Es gibt schon noch eine andere Realität. „Der Darsteller von „Tatort“-Rechtsmediziner Boerne, Jan Josef Liefers, stellt sich hinter Münster: „Einer der friedlichsten und freundlichsten Orte, die ich kenne – trotz dieses kranken Anschlags“, twitterte er. Sein Schauspielerkollege Axel Prahl alias Kommissar Thiel schrieb auf Facebook: „Münster, bleib wie Du warst und wie wir Dich lieben: offen, friedlich, freundlich, stark und stolz.“