Transport Flughafen Frankfurt-Hahn: Pleiten, Pech und Pannen

Transport  / Flughafen Frankfurt-Hahn: Pleiten, Pech und Pannen
Der Flugbetrieb am Flughafen Frankfurt-Hahn geht weiter – trotz Insolvenz der Flughafengesellschaft  Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Der Paukenschlag war gewaltig. Als der Flughafen Frankfurt Hahn im Oktober 2021 Insolvenz anmeldet, ist es das Ende einer langen Geschichte von Pleiten, Pech und Pannen. Wechselnde Eigentümer mit teilweise zweifelhaftem Ruf, politische Skandale, aber auch verpasste Chancen begleiten den Hahn schon länger. Eine Bestandsaufnahme.

Die gute Nachricht kommt gleich vorweg: Der Flugbetrieb geht vorerst weiter. Das bestätigt der Insolvenzverwalter Jan Markus Plathner schriftlich auf Anfrage des Tageblatt. Von Monat zu Monat wird entschieden, wie es weitergeht, heißt es in der Antwort weiter. Es wird sogar Personal für die Bodenverkehrsdienste gesucht.

Die neuen Arbeitsverhältnisse sollen sogar „unbefristet” sein, wie es in der Antwort heißt. Was sich angesichts der desolaten Finanzlage grotesk anhört, ist bei Insolvenzen an der Tagesordnung. Wenn so eine Pleite droht, bewerben sich viele Mitarbeiter angesichts einer unsicheren Zukunft woanders und gehen, wenn sie können, weg. Dabei waren Jobs, Jobs und noch mal Jobs die Heilsversprechen, die sich die Politik vom Hahn versprochen hatte.

Die Hunsrück-Region, wo der Flughafen liegt, gilt als strukturschwach. Da kam es 1993 gerade recht, dass das US-amerikanische Militär die technisch bestens ausgestattete ehemalige Airbase der zivilen Nutzung übergab. Seitdem ist sie nicht mehr wegzudenken. „Der Arbeitsplatz-Effekt ist erheblich höher als der Gewerbesteuer-Effekt“, bestätigt Harald Rosenbaum (66) Sichtweisen wie diese.

Der Flughafen als „Jobmotor“

Der CDU-Politiker begleitet seit 15 Jahren als Bürgermeister der Verbandsgemeinde Kirchberg die Hochs und Tiefs des Flughafens. Das insgesamt rund 150 Hektar große Areal liegt zum größten Teil auf dem Territorium der Gemeinde. „Der Hahn ist nicht nur wichtig für die Verbandsgemeinde, sondern für die ganze Region”, sagt Rosenbaum. Er schätzt, dass sich die Flughafen-Belegschaft aus einem Umkreis von mindestens 50 Kilometern Einzugsgebiet rund um den Hahn zusammensetzt.

Die genaue Zahl ist nicht bekannt. Die Angaben schwanken. In einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur (dpa) von April 2022 ist von 430 direkt am Flughafen Beschäftigten die Rede. Andere Medien berichten von bis zu 2.000 direkt und vor allem indirekt Beschäftigten. Rosenbaum fällt es genauso schwer, eine Zahl zu nennen. „Es gibt eine Menge Firmen, die Dienstleistungen am Hahn ausführen und indirekt vom Flughafen abhängig sind“, sagt er. Wie zum Beispiel die Hangar 901 Aircraft Maintenance GmbH. Die Firma wartet Flugzeuge, operiert international und gibt als Beschäftigtenzahl 400 an.

Hahn-Betriebsrat Thomas Dillmann, der Details hätte liefern können sowie die gewerkschaftliche Sicht auf den von Monat-zu-Monat-Betrieb, lehnt ein Interview auf Anfrage des Tageblatt ab. Ende des Monats muss in dieser Logik nämlich erneut entschieden werden, wie es weitergeht. Für die Beschäftigten kann das keine gute Situation sein. Aktuell stehen 37 Destinationen auf dem Flugplan, die von vier Airlines plus Charterflügen ab Hahn angeflogen werden. Trotz Insolvenz läuft es positiv, was die Zahlen angeht.

Abhängig von Ryanair 

Zwischen 1. Januar und 8. Mai 2022 sind 315.000 Passagiere vom Flughafen Frankfurt-Hahn aus abgefertigt worden, heißt es aus der Kommunikationsabteilung des Airports. Sollte es die restlichen acht Monate des Jahres so weiterlaufen, könnte auf Passagierniveau fast das Ergebnis von vor der Corona-Pandemie mit knapp 1,5 Millionen Fluggästen 2019 erreicht werden. 2018 waren es sogar etwas mehr als zwei Millionen Passagiere am Hahn und damit die Hälfte des Aufkommens vom Findel.

Bei der luxemburgischen Konkurrenz läuft es vor der Pandemie richtig gut. Zwischen 2018 und 2019 nimmt das Passagieraufkommen von rund 4,0 auf 4,4 Millionen Passagiere zu. Für 2019 gibt der Geschäftsbericht der LuxAirport 85 Destinationen ab Findel an, am Hahn waren es 33. Drei Jahre ist Ryanair da schon am Findel und arbeitet sich mit der ständigen Erweiterung des Flugangebots ab Luxemburg bis 2021 auf Platz zwei der beliebtesten Airlines am Findel hoch – nach der Luxair.

An der Stamm-Airbase des irischen Billigfliegers am Hahn nehmen die Passagierzahlen hingegen ab. Das gilt auch für die luxemburgischen Gäste, für die es keinen Grund mehr gibt, in den Hunsrück zu fahren. „Die Luxemburger waren früher immer Stammgäste“, bestätigt Bürgermeister Rosenbaum. Genaue Zahlen kann die Kommunikationsabteilung des Flughafens nicht liefern. Die Abwanderung geht weiter. 2017, ein Jahr nach dem Start in Luxemburg, entdecken die Iren auch den 115 Kilometer entfernten Großflughafen Frankfurt/Main für sich.

„Masterplan“ für den Flughafen fehlt

Lange hält das zwar nicht, denn schon zum 1. Januar 2022 verabschiedet sich die Billigairline wieder, aus „Kostengründen“. In Frankfurt/Main steigen nämlich die Flughafengebühren für Airlines, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am 7. Januar 2022 berichtete. „Wenn ich Gäste habe, die für den Flug nicht viel bezahlen, muss ich als Fluglinie darauf achten, wenig Gebühren zu zahlen“, sagt Knut Schneider (53). Als Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Simmern ist es sein Job, Unternehmen in der Region anzusiedeln. Auch er hat ein Interesse an dem Flughafen und geht deshalb in seiner Kritik noch weiter.

„Es gab nie einen richtigen Masterplan für den Flughafen“, lautet seine nüchterne Sicht, die noch etwas anderes kritisiert. „Mit Ryanair hat man sich im Billigsegment positioniert.“ Die Abhängigkeit von der irischen Linie habe dazu geführt, dass sich der Flughafen nicht groß weiterentwickelt hat, sagt er. Klingt nach verpassten Chancen. „Allein auf den reinen Flugbetrieb zu setzen, ist immer sehr vulnerabel, wenn man keine große Fluggesellschaft ansässig hat wie Luxair am Findel oder Lufthansa in Frankfurt/Main”, pflichtet Bürgermeister Rosenbaum Gedanken wie diesen bei.

Ihn und IHK-Geschäftsführer Schneider eint die Ansicht, dass dem Flughafen eine Logistikplattform gut zu Gesicht gestanden hätte. Die Voraussetzungen dafür sind da. Es gibt eine 24-Stunden-Start-und-Lande-Erlaubnis. Davon können der Findel und Frankfurt/Main nur träumen. Und es gibt Platz für zusätzliche Gewerbeflächen. „Am Flughafen Frankfurt/Main kriegen sie keine mehr“, sagt der Kirchberger Rathauschef, der gerade ein anderes Gewerbegebiet in seiner Gemeinde entwickelt.

Nachtflugerlaubnis und Platz 

„Da hätten wir jeden Hektar fünfmal verkaufen können“, sagt er. Genutzt wurden und werden Vorteile wie diese offensichtlich nicht. Das zeigen die Frachtzahlen. Verglichen mit dem Findel hinkt der Hahn weit hinterher. In Luxemburg werden ohne Nachflugerlaubnis 2018, 2019 und 2020 um die 900.000 Tonnen abgefertigt, mal mehr, mal weniger. Am Hahn sind es im gleichen Zeitraum nur zwischen 180.000 und 230.000 Tonnen.

Am Hahn hingegen gehen Cargo-Airlines pleite oder verabschieden sich nach und nach wie die russische Aeroflot, die japanische Nippon Cargo Airlines oder Qatar Airways. Hinzu kommt, dass der Hahn praktisch seit dem Ausstieg der Betreibergesellschaft Fraport auf der Suche nach einem neuen Besitzer ist. Obwohl die Zahlen – vor allem auf Passagierseite – nie richtig schlecht waren, sucht der Regionalflughafen neue Investoren. Dabei geht es teilweise spektakulär zu.

2009 wird das Bundesland Rheinland-Pfalz mit 82,5 Prozent der Anteile Mehrheitseigner an der Betreibergesellschaft Flughafen Frankfurt Hahn GmbH (FFHG). Für einen symbolischen Euro wechseln die Anteile den Besitzer. Fraport will sich als börsennotiertes Unternehmen dauerhaft keine „Verlustbringer” leisten, wie die FAZ am 3. Februar 2009 berichtet. „Ab da ist es holprig geworden”, kommentiert Lokalpolitiker Rosenbaum das Schicksal des Airports.

Verpasste Chancen und spektakuläre Käufersuche

Entwicklungschancen wurden endgültig verpasst, weil der Flughafen auch ab dann nicht aus der Verlustzone kommt. Dabei hat Rosenbaum Positivbeispiele vor Augen, wie den Flughafen in Baden-Baden (D). Genau wie der Hahn wurde auch er aus einem ehemaligen Militärflughafen in einen zivilen Flughafen umgewandelt. „Dort hat man nicht nur auf den reinen Flugbetrieb gesetzt, sondern den Flughafen zu einem Gewerbe- und Industriestandort entwickelt“, sagt er. „Das ist am Hahn verpasst worden.“

Mehrmals muss das Bundesland Rheinland-Pfalz finanziell beispringen und sucht gleichzeitig nach einem Käufer. Die Investorensuche gerät 2016 zum Desaster und bringt der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) ein Misstrauensvotum im Parlament ein. Die chinesische Shanghai Yiqian Trading (SYT) schien als Retter. Recherchen des Südwestrundfunks (SWR) vor Ort entlarven das von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG geprüfte „Unternehmen” als Luftnummer. Hinter der offiziellen Firmenadresse in China verbirgt sich ein Reifenhändler.

Der Verkauf wird gestoppt. 2017 taucht mit der HNA Airport Group ein neuer Investor auf. Für 15,1 Millionen Euro wird Rheinland-Pfalz zwar seine Anteile los, das Glück dauert aber nicht lange. Schon vier Jahre später, im Januar 2021, meldet die Muttergesellschaft des neuen Investors, die im Luftverkehr und Tourismus tätige chinesische HNA Group, Insolvenz an. Die beiden HNA-Gründer werden festgenommen. Das berichtet das Magazin Wirtschaftswoche am 22. November 2021. Die HNA-Schulden belaufen sich zu dem Zeitpunkt auf 150 Milliarden Euro, heißt es in dem Artikel weiter.

Pech und Insolvenz: Wieder Käufer gesucht 

HNA war 1993 gegründet worden und durch Shoppingtouren auf der Suche nach Firmenanteilen mächtig gewachsen. Zeitweise gehörten der Unternehmensgruppe Teile der Hotelkette Hilton und der Deutschen Bank und über ihre deutsche Tochter eben auch Anteile am Hahn. „Viele haben den Investitionsbedarf unterschätzt”, sagt IHK-Geschäftsführer Schneider. „In einen Flughafen muss man ständig investieren, um ihn auf dem neuesten Stand zu halten.“ Er nennt die Zahl von 80 Millionen Euro Investitionsbedarf, die schon damals immer wieder kursiert. 

Wie viel Finanzspritzen und ob es überhaupt seitens des Landes als größtem Anteilseigner an der Betriebsgesellschaft seit 2009 welche gab, ist beim Innenministerium in Mainz nicht in Erfahrung zu bringen. Allerdings beschäftigt sich der Europäische Gerichtshof zeitweilig mit den Beihilfen des Bundeslandes ab 2017, setzt das Verfahren im November 2021 aber aus. Nach dem Verkauf seiner Anteile vor mittlerweile fünf Jahren an die HNA hat das Land 15,5 Millionen Euro als „Betriebskostenbeihilfen“ und „Sicherheitskosten“ in den Flughafen gesteckt. Das ist fast die gleiche Summe wie die Einnahmen aus dem Verkaufserlös der Anteile. 

Das teilt das Ministerium auf Anfrage des Tageblatt mit. Damit ist das Land nun selbst Gläubiger im Insolvenzverfahren. Insolvenzverwalter Plathner selbst verbreitet gute Laune. Bereits Ende April lässt er vor der ersten Gläubigerversammlung wissen: „Der Flugbetrieb am Flughafen Frankfurt-Hahn entwickelt sich sowohl in der Passage als auch in der Luftfracht positiv.“ Gleiches gilt für die mittlerweile abgeschlossene Suche nach Käufern für den Flughafen.

Es gebe „deutliche Investorenanfragen“. Das teilt die Kommunikationsabteilung der insolventen Flughafengesellschaft FFHG mit. Eine Entscheidung ist noch nicht gefallen. Damit wird in den nächsten Wochen und Monaten gerechnet. Die Hoffnungen liegen auf einem Investor, der ein prall gefülltes Portemonnaie mitbringt, den Flugbetrieb aufrechterhält und das Gebiet rundherum dementsprechend entwickelt.