Flüsse schaffen etwas Frieden im Donbass: Ex-OSZE-Beobachter Alexander Hug im Gespräch

Flüsse schaffen etwas Frieden im Donbass: Ex-OSZE-Beobachter Alexander Hug im Gespräch

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Der Schweizer Alexander Hug war bis Ende Oktober Vizechef der OSZE-Beobachtermission für den Donbass. Das Tageblatt hat sich mit ihm in der Ukraine unterhalten.

Von unserem Korrespondenten Paul Flückiger, Kiew

Tageblatt: Sie beobachten die Kämpfe im Donbass seit fast vier Jahren. Was fördert und was beruhigt sie?
Alexander Hug: Wenn Flüsse die Kontaktlinie bilden, bringt das eine gewisse Distanz zwischen den Seiten. Das schafft etwas Ruhe und es bleibt oft tagelang friedlich. Die große Nähe ist eine der beiden Hauptursachen der Kämpfe. Die andere ist die Tatsache, dass sich schwere Waffen dort befinden, wo sie nicht sein dürften.

Das klingt so, als seien die Waffenstillstandsverletzungen spontan.
So einfach ist es nicht. An vielen Orten sind die Seiten des Konfliktes nur durch eine Straße getrennt. Manchmal reicht dort schon eine Beschimpfung oder dass eine Fahne gehisst wird, damit das Feuer ausbricht. Das ist noch nicht sehr gefährlich, aber einmal begonnen, führt dies dann auch zu Gefechten im Hinterland, wo die schweren Geschütze stehen. Doch jedes erneute Bekenntnis zum Waffenstillstand – zum Beispiel zum Schulanfang oder zu Ostern – zeigt, dass die Verletzungen auf praktisch null hinuntergehen und es an der gesamten rund 500 Kilometer langen Kontaktlinie relativ ruhig bleibt. Wenn es also den Befehl gibt, nicht zu schießen, dann wird nicht geschossen. Die Seiten sind in der Lage, solche Befehle durchzusetzen. Doch später nehmen die Verletzungen wieder zu, weil das offensichtlich gewollt ist.

Im Asowschen Meer nehmen die Spannungen seit einiger Zeit ebenfalls zu. Beobachtet die OSZE auch auf See?
Zurzeit haben wir auf offener See kein Beobachtungsmandat. Ein solches müsste erst durch den ständigen OSZE-Rat, das heißt durch alle Teilnehmerstaaten, insbesondere die Russische Föderation und die Ukraine, beschlossen werden. Das wäre ein komplizierter Weg. Wenn jedoch Schiffe in Häfen festgehalten werden oder dazu auf Land Gerichtsverhandlungen stattfinden, dann beobachten wir das.

Ist Russland gegen ein härteres Mandat oder mehr OSZE-Beobachter?
Ich sehe dies nicht. Die Mission hat 2014 mit 100 Beobachtern begonnen, und das Mandat sieht jetzt vor, dass 1.000 Beobachter eingesetzt werden können. Das wurde auch durch Moskau so abgesegnet. Zurzeit sind 734 Beobachter vor Ort, budgetiert sind 800. Darunter sind auch russische Beobachter. Zurzeit sind es 39 Russen, sieben Schweizer und rund 400 ukrainische Mitarbeiter in den Büros.

In letzter Zeit gelingt es OSZE-Drohnen immer wieder, über die grüne russisch-ukrainische Grenze ein- und ausfahrende Konvois zu filmen. Wieso ist das erst so spät geschehen?
Der Langstreckeneinsatz von Drohnen war nicht durchgängig, sondern dauerte von Oktober 2014 bis August 2016. Und dann wieder seit Ende März diesen Jahres. Wir sind keine Detektive, die an der Grenze auf Konvois warten und kein Nachrichtendienst, der mit Geheiminformationen arbeitet, aber wenn sich zufälligerweise ein Konvoi nachts in Grenznähe zeigt, dann fliegen wir ihm nach. 2014-2016 haben wir viele OSZE-Drohnen verloren, u.a. durch Beschuss oder Jamming, einer elektronischen Störung also. Der Betrieb wurde im August 2016 eingestellt, weil die 57 OSZE-Teilnehmerstaaten nicht mehr willens waren, diesen verlustreichen Einsatz zu finanzieren.

Weshalb werden die Drohnen jetzt nicht mehr abgeschossen?
Da fragen Sie den Falschen. Sie haben es versucht, aber es ist ihnen nicht gelungen. Den Versuch haben wir – wie alle vorherigen – veröffentlicht. Das Geschütz stand auf nicht-regierungskontrolliertem Gebiet. Die Verantwortung ist klar, man sieht das Geschütz, von dem aus gefeuert wurde. Schwieriger ist es mit der elektronischen Störung der Drohnen, die diese ebenfalls zum Absturz bringen können. (Dies ist höchstwahrscheinlich Ende Oktober geschehen, die OSZE vermisst seitdem eine Langstreckendrohne; sie war auf Separatistengebiet in der Nähe des Dorfes Nyzhnokrynske einem verdächtigen Lastwagenkonvoi rund sieben Kilometer von der russisch-ukrainischen Grenze entfernt gefolgt. Anm. d. Red.)

Was wird heimlich in der Nacht über die grüne Grenze transportiert?
Mitte Oktober haben wir eine Flugabwehrkanone beobachtet. Lastwagen können wir jedoch nicht prüfen, da wir kein exekutives Mandat haben. Das gilt auch für alle Lastwagen, die unsere Bodenbeobachter immer wieder über die offiziellen Grenzübergänge einreisen sehen. Da kann Mais drin sein oder Mineralwasser oder eine Haubitze, wir wissen es nicht.

Immer wieder wurde der OSZE der Zugang zur Grenze verwehrt. Hat sich dies nun verbessert?
Nein. Unsere Patrouillenrouten führen oft bis an die 408 Kilometer lange Grenze, aber bis wir dort ankommen, haben wir viele Kontrollpunkte auf dem nicht von der Regierung kontrollierten Gebiet passiert und was wir an der Grenze sehen, ist bis dahin genau kontrolliert. Das heißt, man weiß dort genau, dass wir kommen. Oder aber es kommen bewaffnete Menschen und sagen, wir müssten zurück. Wir wollen entlang der Grenze Patrouillenbasen einrichten, um damit viel näher vor Ort zu sein, aber das wurde uns von den bewaffneten Formationen noch nicht erlaubt.

Welche Seite des Konflikts behindert die OSZE mehr?
In einem durchschnittlichen Monat gibt es rund 200 Verletzungen der Bewegungsfreiheit der OSZE-Beobachter und zwar je zu 50 Prozent auf Regierungs- und Nicht-Regierungsseite. Dazu zählen auch Minenfelder oder Hindernisse auf der Straße. Sie machen die Hälfte der Verletzungen aus. Bei aktiven Behinderungen ist das Bild jedoch drastisch anders: 90 Prozent entfallen hiervon auf die nicht-regierungskontrollierte Seite.

Täglich also drei aktive Verletzungen. Weshalb kommt es dazu?
Jede Behinderung, egal ob aktiv oder passiv, ist eine Mandatsverletzung. Und jede hat einen Grund: Wir sollen etwas nach dem Hindernis nicht sehen, weil bekannt ist, dass wir sofort darüber berichten werden. Oft ist es so, dass wir vor einem Dorf aufgehalten werden, weil es angeblich dort zu gefährlich ist. Gleichzeitig wird der übrige Verkehr reingelassen. Vor allem passiert das im nicht-regierungskontrollierten Flaschenhals nördlich von Mariupol, wo die Kontaktlinie nur rund 30 Kilometer von der Staatsgrenze entfernt liegt. Dort ist der Platz so eng, dass schwere Waffen nur in Dörfern versteckt werden können. Wo mehr Platz ist, wird die Bewegungsfreiheit weniger oft eingeschränkt.

Im April 2017 fährt ein OSZE-Jeep im Separatistengebiet auf einer Schotterstraße auf eine Mine. Es gab ein Todesopfer.
Dieser Unfall hat unsere Arbeitsweise wesentlich verändert. Wir fahren seitdem nur noch auf Asphalt- oder Betonstraßen. Für andere Wege braucht es eine interne Ausnahmegenehmigung. Seit anderthalb Jahren warten wir übrigens auf Karten der mit Minen kontaminierten Gebiete. Keine der Seiten hat uns diese zur Verfügung gestellt. Das sagt viel.

Würde der OSZE-Beobachtermission ein bewaffneter Schutz durch UNO-Blauhelme helfen?
Die größten Gefahren sind Beschuss durch schwere Waffen und Minen. Eine mit Pistolen bewaffnete UNO-Schutztruppe für die OSZE-Beobachtermission – denn nur eine solche hat Russland vorgeschlagen – kann weder ein Minenfeld räumen, noch etwas gegen Mehrfachraketenwerfer ausrichten. Vielmehr wäre sie genau diesen Gefahren ebenso ausgesetzt. Interessant am russischen Vorschlag ist, dass dort das Wort „Frieden“ nie fällt. Dennoch ist es wichtig, dass über den Vorschlag diskutiert wird, weil damit der Konflikt nicht ganz vergessen geht.