Alain spannt den BogenFischers Freunde und Mutters Schützlinge

Alain spannt den Bogen / Fischers Freunde und Mutters Schützlinge
Im hauptstädtischen Theater holte Regisseur Richard Brunel Verdis Rigoletto in die Gegenwart Foto: Jean-Louis Fernandez

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Vier sehr unterschiedliche Konzerte und eine Oper standen diesmal auf unserem Wochenprogramm.

Das erste Konzert, das wir am 16. November im großen Saal der Philharmonie besuchten, galt dem Budapest Festival Orchestra unter Ivan Fischer. Dieses Orchester und sein Chefdirigent und Gründer sind schon seit 38 Jahren aufs Engste miteinander verbunden und präsentierten sich als ein eingeschworenes Team. Fischer und seine Musiker sind immer auf der Suche nach der Herausforderung, nach dem Neuen, Ungewöhnlichen.

Daher überraschen sie auch meistens mit interessanten Programmkonstellationen und aufregenden Interpretationen. Das war an diesem Abend nicht anders. Ein Abend, der in der ersten Hälfte zwei eher selten gespielten Werken von Robert Schumann gewidmet war, nämlich dem Konzertstück für vier Hörner und Orchester sowie dem Konzert für Cello und Orchester, hier allerdings in der Bearbeitung von Tabea Zimmermann für ihr Instrument, die Bratsche.

Fischer und das Budapest Festival Orchestra optierten für eine stringente, zum Teil sehr virtuose Wiedergabe des Konzertstücks, bei dem sich die vier Solo-Hörner immer wieder klangschön heraushoben. Diese an sich sehr romantische Wiedergabe fand man dann auch beim Cellokonzert.

Hier begleitete Fischer sehr hellhörig und passte sich dem atemberaubenden Spiel seiner Solistin Tabea Zimmermann an, sodass die Interpretation wie aus einem Guss wirkte und der Bratschistin alle Freiheiten zur Gestaltung ließ.

Die wendige Handhabung der Bratsche und der zum eher sperrigen Werk passende schöne Klang des Instruments machten aus dieser Bearbeitung eine echte Alternative zum Original. Große Spielkunst zeigte Tabea Zimmermann dann auch in György Kurtags Mouvement für Viola und Orchester, einem eher düsteren und noch der Postromantik verpflichteten Werk.

In seinem brüchigen Aufbau und seiner dunklen Tongebung wirkte Kurtags kurzes Werk wie ein moderner Epilog zum Schumann-Konzert. Flankiert hatte Fischer dieses Stück mit zwei eher farbenfrohen Werken des Impressionismus: Claude Debussys Printemps in der Orchesterbearbeitung von Henri Büsser sowie Maurice Ravels 2. Orchestersuite von Daphnis et Chloé.

In beiden Werken entschied sich Fischer für eine eher bodenständige Interpretation, die es vermied, in allzu vielen Farben zu schwelgen, sondern vor allem Dynamik und Kontraste in den Mittelpunkt stellte. Die zum Teil schnellen Tempi, der dunkeltimbrierte Klang und die harten Akzente distanzierten sich von dem Klischee eines konturlosen Klangbildes bei impressionistischer Musik und folgten hier eher den „konkreten“ Interpretationsideen und -ansätzen eines Pierre Boulez oder Esa-Pekka Salonen.

Ein überragendes Orchesterspiel, das oft wie lebendige Kammermusik wirkte, und ein Dirigent, dem es sichtlich Freude machte, mit diesen Musikern zusammenzuarbeiten, garantierten demnach Interpretationen auf höchstem Niveau. Als Zugabe gab es dann etwas Ungewöhnliches. Das gesamte Orchester sang als Chor und a cappella das Lied Abendsegen von Antonin Dvorak und riss damit das ohnehin schon begeisterte Publikum regelrecht von den Stühlen.

Auf eine ähnlich kollegiale Art und Weise wie das Budapest Festival Orchestra und Ivan Fischer funktionieren auch die Violinstin Anne-Sophie Mutter und ihr aus Stipendiaten bestehendes Kammerensemble Mutter’s Virtuosi, die wir am 17. November erleben konnten.

Das gemischte Programm beinhaltete das Konzert für 4 Violinen aus L’Estro Armonico Nr.3/10 und Die Vier Jahreszeiten op. 8 von Antonio Vivaldi, dazwischen die Erstaufführung von Unsuk Chins Auftragswerk Gran Cadenza für 2 Violinen und das Streichquintett Nr. 6 KV 614 von Wolfgang Amadeus Mozart.

Wer sich auf einen klassisch-virtuosen Abend gefreut hatte, der wurde reichlich belohnt. Spielfreude und Dynamik, Kurzweile und spieltechnisches Können zeichneten das Konzert von der ersten bis zur letzten Minute aus. Auch nach über fünfundvierzigjähriger Bühnentätigkeit ist Anne-Sophie Mutter noch immer auf dem Zenit ihres Könnens und verfügt auch heute immer noch über ein in allen Punkten glanzvolles und technisch überragendes Spiel.

Dieses einmalige Violinspiel ist so dominant, dass sie sich manchmal schwertut, im Ensemble zu bleiben. Immer wieder spielt sie die „erste“ Geige. Das sowohl bei dem Vivaldi Konzert mit den Solisten Ye-Eun Choi, Linus Roth, Agata Szymczewska, wie auch bei Gran Cadenza mit Ye-Eun Choi und dem Streichquintett von Mozart mit Ye-Eun Vhoi, Hwayoon Lee, Vladimir Babeshko und Brannon Cho.

Mutters Präsenz ist übermächtig, so toll die anderen Musiker auch spielen. Vivaldis Vier Jahreszeiten sind natürlich ein Klassiker des Ensembles und werden auch so gespielt. Vielleicht etwas routiniert in der ersten Hälfte, doch dann einfach überragend in Zusammenspiel, Virtuosität und Dynamik. Auch hier Riesenapplaus, einmal zum Schluss und zweimal während der Jahreszeiten-Aufführung (war es Ignoranz oder ganz einfach Begeisterung?). Auf jeden Fall war es ein überdurchschnittliches Konzert, das einfach nur Spaß machte. Die Zugabe, Cinderella liberty von John Williams in einer Bearbeitung speziell für Mutter’s Virtuosi, schloss das Konzert zumindest spieltechnisch auf höchstem Niveau ab.

Rigoletto hier, Juan Diego Florez dort

Im hauptstädtischen Theater holt Regisseur Richard Brunel Verdis Rigoletto in die Gegenwart und lässt das Drama im Rahmen eines Tanzensembles im Backstage-Bereich eines Theaters spielen. Der Herzog ist der Choreograf, Rigoletto der behinderte Portier, Gilda ein moderner Teenager und Sparafucile ein Türsteher und Rausschmeißer.

Hinzu kommt der omnipräsente Geist von Gildas verstorbener Mutter, einer ehemaligen Tänzerin (dargestellt von der bekannten Primadonna der Pariser Oper, Agnes Letestu). Brunel schafft es zum großen Teil, die Geschichte in dem hervorragenden variablen Bühnenbild von Etienne Pluss modern und konsequent, vor allem aber ohne peinliche Ausrutscher zu erzählen.

Zwei hochkarätige Sänger dominieren: Juan Jesus Rodriguez, der ebenfalls den Rigoletto bei den Bregenzer Festspielen singt, beeindruckt durch eine schöne, kräftige und sehr lyrische Stimme, sowie einen exzellenten Vortrag. Auch die junge Marina begeistert durch ihren schönen, höhensicheren Sopran und ihre ausdrucksvolle und intensive Darstellung der Gilda.

Alexey Tatarintsev singt zwar schön, seine kleine, eher eng geführte Stimme ist allerdings die eines Kravattentenors und passt nicht in das sonst stimmprächtige Ensemble mit eher großen Stimmen. Alexander Joel versucht im Orchestergraben, ein Maximum aus dem eher bescheidenen und nicht sonderlich attraktiv spielenden Orchester der „Opéra national de Lorraine“ herauszuholen. Er punktet außerdem mit einer hervorragenden Sängerbegleitung und einer an sonst intensiv-dramatischen Interpretation.

Mit Juan Diego Florez hatten die Solistes Européens Luxembourg einen der weltbesten Tenöre des Belcanto eingeladen
Mit Juan Diego Florez hatten die Solistes Européens Luxembourg einen der weltbesten Tenöre des Belcanto eingeladen Foto: Luc Deflorenne

Zurück in die Philharmonie: Mit Juan Diego Florez hatten die „Solistes Européens Luxembourg“ einen der weltbesten Tenöre des Belcanto eingeladen. Dieses Galakonzert fand in Zusammenarbeit mit der Vereinigung „Amis de l’Opéra“ statt, das deren letzte Veranstaltung vor ihrer Auflösung sein sollte.

Und es wurde ein regelrechtes Feuerwerk an schönen musikalischen Momenten. Man kann nur von der einmaligen Stimme des peruanischen Tenors begeistert sein, der mit einer atemberaubenden Technik und einer selten gewordenen Gestaltungskunst singt und somit der würdige Erbe eines Carlo Bergonzi oder Alfredo Kraus ist. Florez sang Arien von Rossini, Donizetti, Verdi, Lalo, Massenet und Puccini, die ihm wie auf den Leib geschnitten waren.

Die Phrasierung war an Schönheit und Ausdruck nicht zu übertreffen, weil der Tenor quasi ohne Verismo und virtuose Übertreibungen auskam. Florez folgte ganz einfach der melodischen Linie und ließ die Noten wie Pralinen auf seiner Zunge zergehen. Ein Wohlklang für die Ohren und einmalig in der internationalen Opernszene.

Das Publikum raste und Juan Diego Florez legte noch einige Zugaben drauf: drei italienische Canciones, Ernesto de Curtis „Torna a Surrieno“ und abschließend Puccinis „Nessun dorma“ aus Turandot. Christoph König zeigte sein Talent als Operndirigent. Nicht nur, dass er Florez quasi auf Händen trug, er leistete eine Feinarbeit, die man bei Ouvertüren ansonsten nicht gewohnt ist. Die SEL spielten auf höchstem Niveau und bewiesen sich nun auch als Opernorchester.

Was natürlich den Wunsch aufkommen lässt: Warum nicht einmal eine komplette Oper spielen? Konzertant müsste es ja möglich sein. Vielleicht eine Entführung aus dem Serail …?