Finanzkrise in Luxemburg 2008: Für die Dexia kommt der Anfang vom Ende

Finanzkrise in Luxemburg 2008: Für die Dexia kommt der Anfang vom Ende

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Die Dexia-Gruppe hatte sich einen denkbar schlechten Zeitpunkt für ihren Hilferuf ausgesucht. Die zuständigen Politiker waren bereits müde, als sie am Montag, 29. September 2008, mit den Verantwortlichen der Finanzgruppe verhandelten. Am Vortag hatten Belgien und Luxemburg bereits zugestimmt, jeweils 49 Prozent „ihrer“ Fortis-Bank zu kaufen.

Ende September 2008, vor genau zehn Jahren, passierte das Undenkbare: Die ein Jahr zuvor in den USA ausgebrochene Finanzkrise schlug mit voller Wucht in Luxemburg ein.

In der Serie „Die Banken im Sturm“ will das Tageblatt daran erinnern, was sich im Herbst 2008 in Luxemburg abgespielt hat. Als Quellen für die Artikel der Serie dienen Gespräche mit zahlreichen Zeitzeugen sowie Zeitungsartikel und Geschäftsberichte von damals.

„Die Banken im Sturm“ erscheint täglich im Tageblatt und auf Tageblatt.lu.

„Am Montag kehrten wir (von den Fortis-Verhandlungen, Anm. der Red.) nach Luxemburg zurück“, erzählt der damalige Schatzmeister im Finanzministerium, Jean Guill, nach fast zehn Jahren gegenüber dem Tageblatt. „Doch da war auch Dexia in Schwierigkeiten … und es ging wieder nach Brüssel“ zum belgischen Premierminister. Anstelle der Niederländer vom Vortag waren am Montag jedoch die Franzosen in Brüssel mit dabei.

Die Dexia-Gruppe war in Nöten. Seit der Pleite von Lehman Brothers spürte auch sie den Druck der Finanzmärkte. Die Kosten für Kreditausfallversicherungen stiegen. Für Verunsicherung sorgten unter anderem Milliardenverluste aus schiefgelaufenen Übernahmen. Hinzu kamen Spannungen zwischen den belgischen und französischen Besitzern der Bank.

Mangel an Kapital

Dexia war abhängig von billigen kurzfristigen Krediten. Das Institut hatte langfristige Kredite vergeben, sich das dafür notwendige Kapital aber immer nur für kurze Zeitspannen an den Märkten besorgt. Der Zinsunterschied ermöglichte es Dexia so, jahrelang eine gute Marge zu verdienen. Nun jedoch wurde es – falls überhaupt noch jemand Geld anbot – immer teurer für Dexia, sich auf den Märkten zu finanzieren. Das Institut saß auf krisenbedingt unverkäuflichen Schuldscheinen, konnte sie aber nicht mehr finanzieren.

„Es war absehbar, dass es mit der Dexia Probleme geben würde“, so Pol-Henry Bonte, der damals bei BNP Paribas in Brüssel für den Bereich „Mergers and Acquisitions“ in Brüssel tätig war. „Kurzfristige Kredite nehmen, um langfristig Geld zu verleihen, kann nun mal schiefgehen.“ Dexia brauchte dringendst eine Kapitalerhöhung.

Geld vom Staat

„In dem Gebäude sah es leicht chaotisch aus“, so Jean Guill weiter. In jeder Ecke hatten sich irgendwelche Delegationen niedergelassen. Die Luxemburger Delegation bei den Krisentreffen bestand zumeist aus Finanzminister Luc Frieden und Wirtschaftsminister Jeannot Krecké sowie den hohen Beamten aus dem Finanzministerium: Jean Guill, Gaston Reinesch und Georges Heinrich.

Ziel der Luxemburger Delegation war es, die BIL aus dem Schlamassel der Dexia-Gruppe herauszulösen. „Sowohl die BIL als auch die BGL waren in einem annehmbaren Zustand“, erklärt Guill, der später oberster Aufseher der Luxemburger Finanzbranche wurde, weiter. „Die Gruppen waren es nicht – daher wollten wir die guten Teile herauslösen. Die sollten weiterleben.“

Die gewünschte Unterstützung erhielt die Dexia-Gruppe dann trotzdem: In der Nacht von Montag auf Dienstag (30. September 2008) einigten sich die Vertreter Belgiens, Frankreichs und Luxemburgs auf eine staatliche Geldspritze für die Dexia-Gruppe.
Sowohl Belgien als auch Frankreich brachten je drei Milliarden Euro frisches Geld ein. Luxemburg bot der Dexia-BIL eine Wandelanleihe (also einen Kredit, der später in Aktien umgewandelt werden kann) in Höhe von 376 Millionen Euro an. „Die Frage, wie wir es umsetzen, war aber noch offen“, so Guill. Das war aber auch nicht wichtig, da es nie umgesetzt wurde.

Der belgische Geschäftsführer Alex Miller musste auf das Drängen Frankreichs hin seinen Hut nehmen. Ein paar Tage später wurde der Franzose Pierre Mariani, ein guter Bekannter von Präsident Nicolas Sarkozy, zu seinem Nachfolger ernannt. Von 1993 bis 1995 war Mariani „directeur de cabinet“ bei Nicolas Sarkozy im „ministère du Budget“. Etwas später fanden auch die belgischen Aktionäre mit dem ehemaligen Premierminister Jean-Luc Dehaene einen überaus starken Kandidaten für den Posten des Präsidenten des Verwaltungsrates.


Staatliche Garantien bis 2031

Es ist ein schlaues Finanzkonstrukt: staatliche Garantien für Kredite. Die Organisation, die sie erhält, kann sich an den Märkten billiger – oder überhaupt erst – Geld leihen. Der Staat, der die Garantie gibt, dass der Kredit zurückbezahlt wird, muss selbst nichts bezahlen. Im Gegenteil: Er erhält von der Organisation Gebühren für die Garantie.

Insgesamt hat die Dexia-Gruppe dem Luxemburger Staat bisher 31,4 Millionen Euro an Gebühren für die Staatsgarantie bezahlt. Diese Zahl teilte das Finanzministerium auf Nachfrage mit.
Solange sich die gestützte Organisation wieder über Wasser halten kann, zählt diese Konstruktion nur Gewinner. Sollte aber etwas schieflaufen, dann muss der Staat mit echten Milliarden bereitstehen, um die gegebenen Garantien auch zu erfüllen. Erst im Jahr 2031, wenn der letzte der von Luxemburg für die Dexia Crédit Local garantierten Kredite ausgelaufen ist, wird der Beobachter mit Sicherheit sagen können, ob der luxemburgische Staat mit der „Rettung“ der BIL im Jahre 2008 viel Geld verdient hat oder ob eine böse Überraschung nachgekommen ist.


Keine Spaltung

Zu einer Spaltung der Gruppe, wie es sich viele in Belgien und Luxemburg erhofft hatten, kam es damals nicht. Die neue Führungsspitze der Gruppe wollte den Konzern retten. Das sollte jedoch nur noch während einiger Jahre gelingen.

Hintergrund der damaligen Spaltungsüberlegungen war, dass es den größten Kapitalmangel im französischen Teil der Gruppe gab. Dort verfügte die Dexia über keine Schalterbank und somit auch nicht über Spareinlagen, hatte aber viele Kredite an Kommunen vergeben. Die Gegenseite erklärte: In Frankreich gibt es keine Krise. Es ist eine belgische Krise.

„Es war absehbar, dass es mit der Dexia Probleme geben würde. Kurzfristige Kredite nehmen, um langfristig Geld zu verleihen, kann nun mal schiefgehen.“

Pol-Henry Bonte, bei BNP Paribas für den Bereich „Mergers and Acquisitions“ zuständig

Keine Beruhigung

Doch sollte es der Dexia in dieser Woche nicht besser ergehen als der Fortis. Eine Unterstützung von drei Staaten wird angekündigt – und es interessiert niemanden. An den Märkten kehrt das Vertrauen nicht zurück. Die liquiden Mittel des geretteten Instituts schrumpfen immer weiter. Am 1. Oktober fragt Dexia eine Kreditlinie von über 60 Milliarden Euro bei den Zentralbanken von Frankreich und Belgien an. Doch es half nichts. Das Vertrauen der Märkte kehrte nicht zurück. Die Hilfen wurden gar als Bestätigung von negativen Szenarien wahrgenommen.

Und auch bei den Bürgern sorgten sie nicht für Beruhigung. „Komischerweise begannen die Kunden erst, Angst zu haben, als die Staaten bereits erklärt hatten, bereit zu sein, die Banken zu unterstützen“, wie sich der damalige Direktor der Bankenvereinigung ABBL, Jean-Jacques Rommes, auch heute noch wundert. „Also … als die Sparguthaben auf den Banken bereits gesichert waren.“

Zweite Rettung

Dexia gerät immer mehr unter Druck. Während das Tageblatt am Montag, den 6. Oktober 2008, „Aus Fortis Luxemburg wird BGL BNP Paribas“ titelt, bricht in Deutschland die Hypo Real Estate zusammen. In Island wackelt gleich das ganze Land. Die Ansteckungsgefahr steigt. An nur einem Tag bricht der Aktienkurs um satte 20 Prozent ein. Währenddessen läuft der Run der Institutionellen und wohlhabenden Menschen, die nicht durch die Einlagensicherungsgarantie abgedeckt sind, auf Hochtouren. Dexia sucht händeringend nach Liquidität.

In der Nacht vom 8. auf den 9. Oktober einigte man sich schließlich auf eine Garantie in Höhe von 150 Milliarden Euro für die Dexia-Gruppe. Davon steht der Luxemburger Staat für drei Prozent gerade, Belgien für 60,5 und Frankreich für 30,5 Prozent. Staatsgelder sind im Rahmen dieser zweiten Rettungsaktion keine geflossen.

Im Prinzip wäre es nicht undenkbar gewesen, bei der BIL genauso vorzugehen wie bei der BGL und die gute Luxemburger Bank aus der strauchelnden Gruppe herauszukaufen. Das erwies sich allerdings als nicht machbar, wie sich Jean Guill erinnert.

Dass beide Fälle so unterschiedlich abliefen, erklärt er auch damit, dass die Gruppen Dexia und Fortis unterschiedlich strukturiert waren: „Fortis war einfacher aufzuteilen, während bei Dexia die Verflechtungen innerhalb der Gruppe komplexer waren.“

Oktober 2011

Lange sollte die BIL trotzdem nicht mehr zur Dexia gehören. Im Oktober 2011 wurde die Dexia erneut zum Opfer einer Krise, diesmal der europäischen Schuldenkrise. Sei es Griechenland, Italien oder Portugal … an jeden hatte Dexia Geld verliehen. Die Finanzgruppe musste wieder gerettet werden.

Im Rahmen dieser dritten Dexia-Krise erhielt Luxemburg 2011 dann die Gelegenheit, die BIL aus der maroden Gruppe herauszukaufen.

BIL-Käufer gesucht

Dazu musste jedoch erst ein Käufer aus der Privatwirtschaft gefunden werden. Ein ernsthafter Kandidat, um die BIL zu kaufen, war der libysche Staatsfonds, den das Land mit Einnahmen aus dem Ölgeschäft füttert. „Daraus wurde jedoch nichts“, erinnert sich Guill. „Es waren lange Verhandlungen, aber sie verliefen ohne Ergebnis.“
Schließlich wurde die BIL von der Luxemburger Gesellschaft Precision Capital gekauft, zu deren Besitzer Mitglieder der königlichen Al-Thani-Familie aus Katar zählen. Zehn Prozent der Anteile übernahm der Luxemburger Staat. Im Gegenzug boten die drei Staaten der französischen Dexia Crédit Local (Teil der Dexia-Gruppe) eine neue Garantie an. Ende 2011 wurde sie in Luxemburg vom Parlament gestimmt. Hier geht es für Luxemburg um 2,7 Milliarden Euro. Insgesamt beträgt die Summe der Garantien der drei Staaten 90 Milliarden Euro. Luxemburg steht erneut für drei Prozent der gesamten Summe gerade.

Erneuter Verkauf

Im Jahr 2017 wurde der Anteil von Precision Capital an der BIL dann zu fast dem doppelten Preis an die chinesische Legend Holdings, zu der der Computerkonzern Lenovo zählt, weiterverkauft. (Die Privatbank KBL, ehemalige Luxemburger Tochter der belgischen Finanzgruppe KBC, wurde ebenfalls während der Finanzkrise von Precision Capital gekauft und zählt auch heute noch zum Portfolio des katarischen Fonds.) Die neuen Aktionäre aus China wollen sich langfristig engagieren. Der Staat hat seine Anteile behalten. Verwaltungsratspräsident der Gruppe ist heute der damalige Finanzminister Luc Frieden.
Und die Dexia-Gruppe? Am Ende des Jahres 2011 verbuchte sie einen Rekordverlust von zehn Milliarden Euro. 2012 trat Pierre Mariani von seinem Posten zurück – und Dexia ging pleite. Derzeit ist die Gruppe immer noch dabei, abgewickelt zu werden – und zwar unter der Kontrolle der EZB.

Auch dass der Aktienkurs der Dexia im ersten Halbjahr 2016 plötzlich nicht mehr bei 2,1 Cent, sondern bei satten 21,01 Euro pro Titel lag, hatte keinen Hintergrund, der optimistisch stimmen könnte: Die Gruppe hatte Aktien zusammengelegt. Für 1.000 alte Aktien gab es je eine neue. Laut Plan soll die Gruppe, die zu ihren besten Zeiten – als die Dexia BIL und RBC Dexia aus Esch-Belval noch zum Konzern zählten – satte 35.000 Angestellte zählte, keine Zukunft mehr haben.

In der Auflösung

In Luxemburg ist die Präsenz der Dexia-Finanzgruppe bereits Geschichte. Vor allem in Frankreich lebt sie jedoch weiter. Und es wird noch einige Zeit verstreichen, bis sie tatsächlich ganz „abgewickelt“ ist. Die Gruppe hat noch eine Bilanzsumme von rund 168 Milliarden Euro (Stand Juni 2018). Ende 2007 lag sie bei über 600 Milliarden. Erwirtschaftet werden weiterhin jedoch Verluste. Im ersten Halbjahr 2018 belief sich das Ergebnis auf minus 419 Millionen Euro.

Es wird noch bis mindestens 2031 dauern, bis die letzten Kredite, die der Luxemburger Steuerzahler garantiert, auslaufen. „So lange werden wir das Risiko mitzutragen haben“, erklärt Guill. Er ist aber sehr zufrieden mit den Ergebnissen der Luxemburger Verhandler: „Wir stehen heute für weniger als drei Prozent an der Garantie – da hatten wir schon gut verhandelt.“

Doch zurück zu dem, was vor zehn Jahren Anfang Oktober in Luxemburg passierte. Praktisch zeitgleich mit den jeweils doppelten „Rettungen“ von Fortis und Dexia brach in Island das Finanzsystem des Landes komplett zusammen. Drei Banken aus dem nordeuropäischen Land waren bis zur Finanzkrise in Luxemburg vertreten – heute ist es keine mehr.


Die Rolle der ABBL inmitten der Finanzkrise

Mit der Rettungsaktion selbst hatte der Bankenverband ABBL nichts zu tun. „Indirekt waren wir natürlich stark betroffen“, erinnert sich der damalige Direktor Jean-Jacques Rommes. Immerhin seien die BIL und die BGL seit der Gründung der ABBL die beiden stärksten Pfeiler der Vereinigung gewesen. „Und dann sind beide innerhalb von 72 Stunden umgefallen … Es war ein schwieriger Moment“, so der damalige ABBL-Direktor weiter. „Das Risiko einer Panik bestand. Die Banken hatten allgemein Schwierigkeiten, glaubwürdig zu kommunizieren, und die meisten wollten es auch nicht.“ Daher sei der Bankenverband in der Krise zu einer Art „Anlaufstelle für Journalisten“ geworden, erinnert sich Rommes. „Wir waren das Sprachrohr der Banken.“ In dem Zusammenhang habe er in den kritischen Tagen einmal mit Premierminister Jean-Claude Juncker und mehrmals mit Finanzminister Luc Frieden telefoniert. „Es ging immer um Kommunikation.“

Schließlich hatte die ABBL aber noch mehr Aufgaben zu meistern als nur die Kommunikation. Sie war nämlich der zuständige Verwalter der Luxemburger Einlagensicherungsgarantie (bei der die Gemeinschaft der Banken den Bankkunden versichert, dass sie im Falle einer Pleite ihre angesparten Gelder zurückerhalten). „Da mussten wir intern viele Kräfte mobilisieren“, so Rommes. „Im Alltag ist das ein schlafender Mechanismus ohne eigene Mitarbeiter. Die ABBL musste also spontan einspringen, aber es hat gut funktioniert.“

Letztlich kam die Einlagensicherungsgarantie nur zweimal in Luxemburg zum Zug – und zwar beim Auszahlen der Sparguthaben der Kunden der Kaupthing Bank und bei der Landsbanki.


Am Rande

Tageblatt: Wie schwierig war es, in den Verhandlungen Luxemburger Interessen durchzusetzen?
Jean Guill: Bei Verhandlungen gilt es, dranzubleiben. Vor allem bei Dexia war es wichtig, dass unser Anteil an der staatlichen Garantie für die gesamte Gruppe, also auch für den nicht luxemburgischen Teil, nicht zu hoch wurde. Der dreiprozentige Anteil ist aber ein gutes Resultat gewesen.

Bei Fortis wollten wir auch nicht die Gruppe als solche rekapitalisieren – unsere Priorität war es, sich um den Luxemburger Teil zu kümmern.

Ist es schwer, in einer Krise einen Käufer für eine Bank zu finden?
Wenn eine Bank zum Verkauf steht, dann ist das in den betreffenden Bereichen auch bekannt. Es werden Gespräche geführt … und Gelegenheiten ergeben sich.

Muss man einfach dem Minister folgen oder hat man ein Mitspracherecht?
Der Chef vom Trésor hat zu zahlen – wenn man ihm das sagt. Er kann höchstens anmerken: „Moment, dieses Geld müssen wir uns leihen.“ Die politischen Entscheidungen nach Verhandlungen müssen umgesetzt werden.

Wie legt man in Krisenzeiten einen Kaufpreis fest?
Es fehlt die Ruhe. Es ist keine Zeit für eine lange Analyse der Zahlen da. In einen solchen Kaufvertrag werden daher im Normalfall Klauseln eingebaut, die es ermöglichen, dass im Nachhinein Anpassungen vorgenommen werden. Das ist normal so.