Finanzkrise 2008: Hunderte Millionen als Entschädigung für die Kunden der isländischen Banken

Finanzkrise 2008: Hunderte Millionen als Entschädigung für die Kunden der isländischen Banken

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Vor der Finanzkrise zählte Luxemburg drei isländische Bankgruppen am Finanzplatz: Glitnir, Landsbanki und Kaupthing. Alle drei gerieten ins Straucheln – und heute gibt es keine isländische Bank mehr in Luxemburg. Während der Krise mussten die anderen Banken des Finanzplatzes Hunderte Millionen Euro zur Entschädigung der Kunden der Isländer aufbringen.

Ende September 2008, vor genau zehn Jahren, passierte das Undenkbare: Die ein Jahr zuvor in den USA ausgebrochene Finanzkrise schlug mit voller Wucht in Luxemburg ein.

In der Serie „Die Banken im Sturm“ will das Tageblatt daran erinnern, was sich im Herbst 2008 in Luxemburg abgespielt hat. Als Quellen für die Artikel der Serie dienen Gespräche mit zahlreichen Zeitzeugen sowie Zeitungsartikel und Geschäftsberichte von damals.

„Die Banken im Sturm“ erscheint täglich im Tageblatt und auf Tageblatt.lu.

Das Jahr 2008 war ein historischer Moment: Zum ersten Mal in der Geschichte des Finanzplatzes mussten Kunden mittels der Luxemburger Einlagensicherung („garantie des dépôts“; in der die Gemeinschaft der Banken garantiert, dass Bankkunden im Falle einer Pleite angesparte Gelder zurückerhalten) entschädigt werden. Mehr als 15.000 Menschen waren betroffen. Das hatte es bis dahin in Luxemburg noch nie gegeben.

Kaupthing

Vom Volumen der verwalteten Gelder her war Kaupthing das wichtigste und größte der drei isländischen Finanzinstitute in Luxemburg. Zudem verfügte die Luxemburger Kaupthing über eine Zweigstelle in Belgien.

Und „die sind mit Kaupthing Edge sehr aggressiv im Markt aufgetreten“, erinnert sich Joseph Delhaye, damaliger Präsident der AGDL („Association pour la garantie des dépôts Luxembourg“), im Gespräch mit dem Tageblatt. Die Bank versprach ihren Kunden damals deutlich höhere Zinssätze als konkurrierende Finanzinstitute.

Am 8. Oktober 2008 – nur wenige Tage nach dem Zusammenbruch von Fortis und Dexia – waren dann die isländischen Banken an der Reihe. In Luxemburg entschied das Handelsgericht, die drei Banken unter Zahlungsaufschub („sursis de payement“) zu setzen. Damit wurden die in Schieflage geratenen Banken im „Ist-Zustand“ eingefroren. Das gab den dann eingesetzten Verwaltern die Zeit, die Bücher der Institute unter die Lupe zu nehmen.

Kunden in Belgien

Kaupthing Luxembourg hatte jedoch Tausende Kunden in Luxemburg und Belgien. Und nicht nur sehr vermögende Menschen, sondern vor allem kleine Sparer mit einem Tagesgeldkonto. Und bei all denen war die Luxemburger Einlagensicherung AGDL zuständig. Sie musste jeden Kontoinhaber mit bis zu 20.000 Euro entschädigen.
Schlussendlich hat die AGDL „206 Millionen Euro an 15.387 Kunden direkt ausbezahlt“, so Joseph Delhaye.

„In jedem Land, in dem die Isländer aktiv waren, hat die Einlagensicherung dran glauben müssen.“

Joseph Delhaye, damaliger Präsident der AGDL

Bis Mitte Oktober 2008 lag die von der AGDL garantierte Mindestsumme bei 20.000 Euro. Mit einer fast unnatürlichen Geschwindigkeit beschloss der Ministerrat in Luxemburg dann am Freitag, 17. Oktober, eine neue, nur wenige Tage alte EU-Finanzdirektive in ein Gesetz zu gießen. Die von der Einlagensicherung garantierte Mindestsumme wurde verfünffacht: von 20.000 auf 100.000 Euro.

Für die Kunden der Kaupthing kam das Gesetz aber zu spät. Für sie bedeutete das, dass derjenige, „der mehr als 20.000 Euro Sparguthaben hatte, weiterhin Gläubiger blieb“, so Delhaye. Auch nach der Auszahlung der 206 Millionen.

100 Millionen Euro

Hinzu kam, dass nicht alle Kunden die Einlagensicherung beantragt hatten. Hätte jeder Kunde, der das Recht auf eine Auszahlung der Einlagensicherungsgarantie hatte, diese auch eingefordert, dann hätte die bezahlte Summe um 92 Millionen Euro höher gelegen, erzählt der damalige Präsident der Luxemburger Einlagensicherung weiter. „Theoretisch hätten wir rund 300 Millionen auszahlen sollen.“

Im Laufe der weiteren Verhandlungen hat die AGDL diese Summe von 92 Millionen, die sie verpflichtet war, auszuzahlen, dann doch noch ausgeschüttet. „Wir wollten sicherstellen, dass wir nicht in einigen Jahren von schlechten Überraschungen heimgesucht werden.“ Nach der Auszahlung der Einlagensicherungsgarantie stellte sich die Frage, wie es nun weitergeht mit Kaupthing: eine Auflösung oder eine Umstrukturierung? Dass es schlussendlich zu Letzterer kam, lag vor allem an der Lobbyarbeit der belgischen Kaupthing-Kunden, erinnert sich Delhaye. „Sie brachten Bewegung. Es war ein sehr sensibles Thema für die Politik. Es ging um die Interessen des kleinen Sparers.“ Zu den Verhandlern zählten: der luxemburgische und der belgische Staat, die AGDL und eine Gruppe von Bankgläubigern. Die hatten akzeptier, dass Sparer bevorzugt behandelt wurden.

Aufspaltung

Im Endeffekt wurde Kaupthing in zwei Teile gespalten. Den guten Teil übernahm die Familie Rowland aus Großbritannien. Sie brachte ein neues Geschäftsmodell mit sich und nannte die Bank in Havilland um. Zuvor wurde während vieler Monate mit einem libyschen Staatsfonds verhandelt. Die Verhandlungen hatten aber zu keinem Ergebnis geführt.

Die sogenannte „Bad Bank“, in die die schwierigen Wertpapiere eingebracht wurden, wurde vom Luxemburger und vom belgischen Staat mit je 160 Millionen Euro gestützt – um Liquidität zu schaffen. Das wurde in einem Treffen zwischen dem Luxemburger Premierminister Jean-Claude Juncker und dem belgischen Finanzminister Didier Reynders entschieden.

68 Prozent zurück

„In der Zwischenzeit wurde diese Summe fast komplett zurückgezahlt“, erklärt Jean Guill, damals Schatzmeister im Finanzministerium.

Und auch die 300 Millionen, die die AGDL einbrachte, „sind heute zu 68 Prozent zurückbezahlt“, so Delhaye. Das liege daran, dass die Bad Bank in den vergangenen Jahren positive Ergebnisse erwirtschaftet hat. „Und da wird auch noch mehr zurückkommen“, ist Joseph Delhaye überzeugt. „Aber keine 100 Prozent.“

Die 185 Millionen Euro, die so nach Luxemburg zurückgeflossen sind, wurden wieder an die rund 100 Banken verteilt, die die 300 Millionen ursprünglich geliefert hatten. Die Einlagensicherung wird nicht von staatlichen Geldern gespeist. Laut den damaligen Regeln musste jede Bank des Platzes (proportional zum Volumen ihrer Spareinlagen) für das Versagen von anderen Banken aufkommen.

So wie es der AGDL ergeht, ergeht es auch den anderen institutionellen Gläubigern der Kaupthing. Sie haben bisher 68 Prozent ihrer Forderungen erhalten – alles werden sie nicht zurückerstattet bekommen.

Und auch für den Luxemburger Staat könnte, im Gegensatz zu all den anderen Rettungsaktionen, mit denen er bisher eher Geld verdient hat, bei der Kaupthing-Rettungsaktion „vielleicht ein sehr kleiner Restverlust übrig bleiben“, schätzt Jean Guill heute. Um wie viel Geld es schlussendlich gehen wird, ist derzeit noch unklar.

Landsbanki

Die beiden anderen isländischen Banken waren in Luxemburg deutlich kleiner. „Glitnir war nur ein Mini-Dossier“, erinnert sich Guill. Das Institut wurde aufgelöst. Doch in den Büchern gab es noch genügend Aktiva, um die Gläubiger auszuzahlen. Ähnlich sah es bei Landsbanki aus. „Als Bank hat das Institut nicht viel dargestellt“, so Guill. Trotzdem kam auch hier die AGDL zum Zug. „Mit vier Millionen Euro haben wir 300 Kunden entschädigt“, so Delhaye. „Dieses Geld haben wir mittlerweile zurück. Für uns ist es heute kein Thema mehr. Alles ging schnell, zwei, drei Jahre.“ Insgesamt folgten bei Landsbanki aber noch Gerichtsprozesse, die sich noch bis zum heutigen Tag hinziehen.

Im Nachhinein denkt Jean Guill, dass man durch mehr Hinterfragen des Geschäftsmodells, auch bei den isländischen Aufsichtsbehörden, die Probleme der isländischen Banken hätte vermeiden oder zumindest begrenzen können. In dieser Hinsicht sei die Bankenaufsicht in Europa heute aber sicherlich besser aufgestellt als damals.

 

Island: Wie es dazu kam

Im Jahr 2008 brach das komplette Bankensystem Islands innerhalb von nur einer Woche zusammen. Wegen Massenprotesten musste schlussendlich die Regierung zurücktreten. Hintergrund der isländischen Krise war unter anderem eine schlecht umgesetzte Privatisierung der Banken im Jahr 2003. Das Problem: Die drei Banken waren an eng miteinander verbundene Investorengruppen verkauft worden, die sich gegenseitig Geld geliehen hatten, um die Bankkäufe finanzieren zu können. Und auch in den Folgejahren sammelten sie weiter weltweit Gelder ein und verteilten diese zum Teil als millionenschwere Kredite an die Besitzer und die Manager der Banken.
Damit hatten die Banken von Anfang an eine schwache Kapitalstruktur und waren untereinander sehr stark vernetzt.

Die drei Banken waren also konstant auf der Suche nach Kapital. In einer ersten Phase (2004, 2005) finanzierten sich die drei Banken in Europa über den Anleihemarkt. Als diese Finanzierungsquelle im Jahr 2006 austrocknete, wandten sich die drei Kreditinstitute an den US-Anleihemarkt. Als auch dort die Kosten für neue Darlehen stiegen, entdeckten die Isländer den „normalen“ europäischen Kunden. Mittels Internet versuchten sie so (mit besseren Zinssätzen als die Konkurrenz), Gelder von Europas Sparer anzuziehen. Bis Mitte des Jahres 2008 war diese Summe auf 16 Milliarden Euro gewachsen.

Doch diese Politik, sich selber Geld zu leihen, wurde nicht nur in Island getätigt. Auch in den Luxemburger Niederlassungen der Kaupthing und der Landsbanki sollen Insider sehr hohe Kredite erhalten haben, heißt es in einer akademischen Aufarbeitungsstudie vom akademischen Wirtschaftsmagazin Brookings Papers on Economic Activity.

Ein finanzielles Kartenhaus

Als dann im September 2008 der Bank Glitnir die Devisen ausgingen, brach das gesamte finanzielle Kartenhaus zusammen. Das Vertrauen in die Banken war hin. Im Oktober wurden alle drei teilverstaatlicht. Wegen der internationalen Verflechtungen der Banken litten nach dem Platzen nicht nur Isländer an den Folgen, sondern Sparer in ganz Europa – auch in Luxemburg.

Nach der Verstaatlichung spaltete die Regierung die Banken in zwei Teile. Den neuen (in Island tätigen Instituten) wurde neues Kapital zur Verfügung gestellt. Die Spareinlagen wurden abgesichert. Die ausländischen Geschäfte hingegen flossen in eine „Bad Bank“. Doch trotz all der Härte der wirtschaftlichen und finanziellen Folgen hat sich Island bereits heute aus der Krise herausgearbeitet. Und obwohl der nationale Schuldenstand bis 2011 um satte 67,6 Prozentpunkte anstieg, sind die Autoren der Studie überzeugt, dass der isländische Staat es mittelfristig sogar schaffen wird, einen kleinen finanziellen Gewinn aus der Bankenrettung zu ziehen.

Das kann Luxemburg, was die Aufarbeitung der isländischen Banken angeht, nicht behaupten.

 

Die Einlagensicherungsgarantie – ein ungerechtes Instrument?

Im Rahmen der Finanzkrise hat die Einlagensicherungsgarantie eine wichtige Rolle bei der Beruhigung der Bankkunden gespielt. Doch das Instrument ist umstritten.

„Es ist nicht richtig, wenn (…) gut geführte Banken für die Fehler von schlecht geführten Banken gerade- stehen müssen:“

Jean Guill, damals Schatzmeister im Finanzministerium

Als in Europa 2008 das Finanzsystem wackelte und die Kunden begannen, das Vertrauen in einzelne Finanzinstitute zu verlieren, suchten die Behörden nach Wegen, um mehr „Sicherheit“ zu schaffen. Europaweit setzte man auf die Einlagensicherungsgarantie. Bei diesem Instrument garantieren alle Finanzinstitute eines Landes, dass die Kunden einer Bank, die pleitegeht, eine Mindestsumme von ihrem angesparten Vermögen zurückerhalten werden.

Mitte Oktober 2008 wurde dann auch die in Luxemburg von der Einlagensicherung garantierte Mindestsumme von 20.000 auf 100.000 erhöht. Und die Beruhigungspille half.
Doch das Instrument ist nicht ohne Schwierigkeiten, wie gerade am Beispiel Kaupthing gut sichtbar wird. Die isländische Bank versuchte in den Vorjahren, anderen Finanzinstituten Kunden abzugewinnen, indem sie höhere Zinsen anbot. Eine ganze Reihe Kunden ließ sich locken. Doch Kaupthing konnte seine Versprechen nicht halten. Und dann wurden die Banken, denen die Isländer Kunden abgeluchst hatten, zur Zahlung von mehreren hundert Millionen Euro verpflichtet.

„Im Prinzip bin ich der Meinung, dass Banken so gut aufgestellt sein sollten, dass sie keine Hilfen benötigen“, erklärt der ehemalige Aufseher der Finanzbranche Jean Guill, der heute in Rente ist, gegenüber dem Tageblatt. „Daher bin ich auch kein Freund einer Einlagensicherungsgarantie. Dies bedeutet nämlich, dass die einzelne Bank den Druck der Verantwortung weniger spürt. Im Zweifelsfall werden ja die anderen Banken einspringen müssen.“

Eine Frage der Verantwortung

Und auch die Kunden müssten sich mit einer solchen Garantie keine Fragen mehr stellen, etwa wenn eine Bank überdurchschnittlich hohe Zinsen verspricht, fügt er hinzu. „Ich bin der Meinung, dass jeder Verantwortung tragen muss. Es ist nicht richtig, wenn wie damals und heute gut geführte Banken für die Fehler von schlecht geführten Banken geradestehen müssen. Wie das bei Kaupthing der Fall war.“

Seiner Ansicht nach sollte die Einlagensicherung auf die wirklich schützenswerten Spareinlagen der Privatkunden begrenzt werden und sollten in jeder einzelnen Bank entsprechende, gesonderte Aktiva, z.B. in Staatsanleihen, im Notfall zur privilegierten Verfügung stehen. In Europa habe man jedoch inzwischen ein Modell gewählt, das sich erst noch bewähren müsse.

Auch der ehemalige Investmentbanker Pol-Henry Bonte ist kein Freund der Einlagensicherungsgarantie. Er geht sogar noch weiter: Man könnte „die Manager der Banken persönlich für die Risiken verantwortlich machen – mit dem eigenen Vermögen“, meint er. Jeder müsse für sein Tun verantwortlich sein. Eine staatlich garantierte Einlagensicherungsgarantie werde damit überflüssig.

 

Extra: Die Einlagensicherungsgarantie

Heute ist die Einlagensicherungsgarantie anders organisiert als noch vor zehn Jahren.
Damals war es die beim Bankenverband ABBL angesiedelte Vereinigung AGDL („Association pour la garantie des dépôts Luxembourg“), die sich darum bekümmerte. Heute ist es der FGDL („Fonds de garantie des dépôts Luxembourg“), der bei der Finanzaufsicht CSSF angesiedelt ist.

Das liegt unter anderem daran, dass nicht mehr nur das Volumen der Spareinlagen in Betracht gezogen wird, sondern auch das Risiko, mit dem die Gelder angelegt wurden. Früher zählte (bei der Rechnung, welche Bank welchen Anteil der Entschädigungen zu stemmen hat) nur das Volumen der Spareinlagen.

Weitere Neuerungen sind, dass die Banken mittlerweile im Vorfeld Geld in den Fonds einzahlen müssen – früher war das erst erforderlich, sobald eine Auszahlung anstand. Hinzu kommt die Erhöhung der garantierten Spareinlagen auf 100.000 Euro sowie die Verpflichtung, die Entschädigung innerhalb von sieben Tagen (früher 20) auszuzahlen.