KinoFilmfestspiele in Venedig: La hoguera de las vanidades – Le bûcher des vanités

Kino / Filmfestspiele in Venedig: La hoguera de las vanidades – Le bûcher des vanités
V.l.: Jaume Roures, Mariano Cohn, Antonio Banderas, Penélope Cruz, Oscar Martínez und Gastón Duprat Foto: AFP/Miguel Medina

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„Competencia oficial“ des Regie-Duos Gastón Duprat und Mariano Cohn und „Illusions perdues“ von Xavier Giannoli – zwei Filme, die nicht grundverschiedener sein könnten, wurden übers Wochenende im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig vorgestellt. Der spanische Beitrag kommt als bissige schwarze Komödie, der französische als pompöser Kostümfilm daher. Und trotzdem verbindet die beiden Filme mehr, als es auf den ersten Blick scheint.

Giannolis Film ist die Literaturadaption des gleichnamigen Romans von Honoré de Balzac. Der Film konzentriert sich auf den Aufstieg und Fall der Figur Lucien de Rubempré, gebürtig Lucien Chardon. Der „petit bourgeois“ aus Angoulême – von Ozons „Eté 85“-Entdeckung Benjamin Voisin gespielt – muss nach einer aufgeflogenen Affäre mit der von Cécile de Frances verkörperten Baronin Louise de Bargeton aus gesellschaftlichem Druck die Provinz verlassen, und macht sich auf den Weg Richtung Paris.

Dort trifft der junge Dichter auf eine ganze Reihe von Figuren, die ihm mehr oder weniger treue Wegbegleiter werden, und auf andere, die ihm aufgrund seines sozialen Standes Steine in diesen legen werden. Und irgendwann werden die Fronten verwischt, weil sich die Kunst, die Poesie und jegliche Prinzipien den Gesetzen des Kapitals beugen.

Dieser Ausverkauf steht in „Competencia oficial“ schon zu Filmbeginn im Raum. Ein alternder Industriepatriarch macht sich Sorgen über sein Vermächtnis. Wie wäre es mit einer nach ihm benannten Brücke? Ja, gute Idee. Aber wie wäre es, als Produzent eines großen Films in die Geschichte einzugehen? Einfach die besten Schauspieler und die beste Regisseurin buchen sowie die Filmrechte des besten Buches kaufen. Das Buch hat er nicht gelesen, die Künstler kennt er auch nicht. Aber solange es das Beste ist, reicht das allemal aus. Auftritt Penélope Cruz, Antonio Banderas und Oscar Martínez. Doch mit dem Clash der narzisstischen Künstleregos hat der gute Mann nicht gerechnet.

Egos und Eitelkeiten

V.l.: Xavier Giannoli, Cécile de France und  Benjamin Voisin
V.l.: Xavier Giannoli, Cécile de France und  Benjamin Voisin Foto: AFP/Filippo Monteforte

„Competencia oficial“ und „Illusions perdues“ sind sehr verschiedene formulierte Deklinationen des Fegefeuers der Eitelkeiten. Die Oberflächen, hinter denen sich leere, korrumpierte Existenzabgründe befinden, sehen sehr verschieden aus. Im spanischen Film sind sie wortwörtlich auf Hochglanz poliert und steril minimalistisch, während sich im französischen Film alles und jeder hinter einem komplett dekadenten Prunk zu verstecken versucht.

Der spanische Film, der sehr wahrscheinlich das Resultat der Arbeitsverhältnisse des letzten Jahres ist – wenige Schauspieler, übersichtliches Set etc. – lässt sich als ein Riff verstehen auf eine böse Abrechnung mit der eigenen Zunft und ihren Egos und Eitelkeiten, wie man sich diese in der Filmwelt vorstellt. Ähnlich wie in Andreas Marbers Theaterstück „Die Lügen der Papageien“ zerfleischen sich hier Schauspieler gegenseitig. Wenn etwa Martínez’ versnobte Theaterschauspielerfigur Antonio Banderas von den Latz knallt, nicht den Quotenbraunen für das imperialistische Hollywood-Kino sein zu wollen, weiß man, wie der „Mise en abyme“-Hase läuft. Das Resultat ist ein, wenn auch auf ganzer zweistündiger Länge etwas forciert, durchwachsen, zum Teil außerordentlich schwarz-humorig lustiges Stück Pandemiekino, was sich nicht schämt, platt und doof sein zu dürfen. Und das sieht man allen Beteiligten an. Und das Trio um Cruz, Banderas und Martínez hat sichtlichen Spaß daran, komplett die Sau rauszulassen.

Das Aufdecken der gesellschaftlichen Normen und ihrer systematischen Verlogenheit schlägt bei Xavier Giannolis Balzac-Verfilmung einen komplett anderen Weg ein. Was natürlich mit der Literaturvorlage zu tun hat. Dort, wo die Spanier reduzieren, schöpft Gianolli aus dem Vollen. Lässt in groß aufgelegten Szenen das Pariser 19. Jahrhundert mächtig aufleben.

Sensiblen Nerv getroffen

Der Regisseur und seine Koautoren inszenieren jedoch keinen willkürlich ausgewählten französischen Literaturklassiker. Ganz im Gegenteil haben sich die Autoren die Freiheit genommen, die Aktualität und den außerordentlich modernen Charakter des Romans hervorzuheben. Und zwar wie Kapital, Kommerz, Kunst und die Menschen hinter alledem eng miteinander verbunden sind und wie alle Hände sich gegenseitig waschen. Dass dabei die Kunst und die Schönheit auf der Strecke bleibt, scheint allen nicht von größter Wichtigkeit zu sein.

Welcher von den beiden Filmen letztendlich der zynischere ist, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Doch beide Filme in einer Pressevorführung zu sehen, die ausschließlich von sogenannten Professionellen besucht wird, die mit der Rezension dieser Filmer ihr Brot verdienen, hat seine nicht ungewollte Perfidie. Beide Filme machen die potenzielle Dumm- und Kaufbarkeit der sogenannten unabhängigen Kritik zum Thema und treffen auf ähnliche – mehr oder weniger lustige – Art und Weise einen sensiblen Nerv. „Competencia oficial“ ergötzt sich vielleicht einen Ticken zu lange an seinem Witz, bleibt trotzdem durch seine vollends engagierten Schauspieler am Ball, während „Illusions perdues“ weit mehr als nur ein weiterer langweiliger französischer Kostümfilm ist.