Feiern oder fordern? – Zum Welttag der Gebärdensprache

Feiern oder fordern? – Zum Welttag der Gebärdensprache

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Heute ist der internationale Tag der Gebärdensprache. Der perfekte Moment also, um sich die Geschichte dieser vielfältigen Sprache sowie ihrer Nutzer aus der luxemburgischen Perspektive anzuschauen.

Von Anne Schaaf*

Im Fernsehen läuft die „Sendung mit der Maus“. Der kleine Fernand** sitzt gebannt vor dem Bildschirm. Zwar interessiert sich der wissbegierige Neunjährige auch für Lach- und Sachgeschichten, aber seine Begeisterung gilt in der Hauptsache etwas anderem: der Gebärdensprach-Übersetzung, die am Rand eingeblendet wird. Dort ist ein Dolmetscher zu sehen, der mithilfe von Mimik und Handbewegungen das Unhörbare für ihn und andere hörgeschädigte Kinder hörbar macht. „Er weiß, dass das für ihn ist, und genießt es in vollen Zügen“, erklärt seine Mutter.

Wie fast alle Kinder in seinem Alter sei er etwas hibbelig und habe manchmal Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Wenn man ihm aber Geschichten gebärde, lasse er die Augen nicht von einem ab und sei kaum aus der Ruhe zu bringen. „Fernand will alles genau wissen und lässt sich nicht mit knappen Antworten abspeisen. Um seinen Wissensdurst stillen können, ist die Gebärdensprache unentbehrlich“, so Fernands Mutter.

 „Cochlea-Implantate“ 

Fernands natürliche Hörfähigkeit ist seit seiner Geburt stark eingeschränkt. Rechts und links über dem Ohr trägt er Geräte, die aussehen, als sei er ein Geheimagent in besonderer Mission. Das ist er gewissermaßen auch, denn schließlich gilt es als Kind, alles Mögliche zu entdecken. Dabei helfen ihm diese Apparate, die man als „Cochlea-Implantate“ bezeichnet. Die auf und unter der Kopfhaut angebrachte Elektronik wandelt Audiosignale so um, dass Fernand sie besser verarbeiten kann. Sie ersetzt kein voll funktionales Hörorgan, unterstützt ihn jedoch bei der Wahrnehmung seines Umfelds.

Wenn Fernand sich über etwas freut, aufregt oder seine Familie mit Fragen löchert, dann kann er das lautsprachlich machen oder eben durch die Gebärdensprache. Nach wie vor wird für hörgeschädigte Menschen häufig irrtümlicherweise pauschal der Begriff „taubstumm“ verwendet. Diese Bezeichnung trifft oftmals nicht zu, da wie in seinem Fall nicht zwingend eine Beschädigung der Stimmbänder vorliegt.

Eine Sprache, die man leben muss

Überhaupt kursieren noch immer zahlreiche Missverständnisse über die Gebärdensprache sowie hörgeschädigte Menschen. Kleine kecke Jungs wie Fernand können da Abhilfe leisten, da er keine Berührungsängste hat und sie somit auch anderen nimmt. Durch den direkten Kontakt lernt man definitiv dazu.

Wenn Menschen sich in Gebärdensprache unterhalten, dann sind diese Diskussionen oft von einer ganz besonderen Stille geprägt. Das heißt aber nicht, dass man sich nichts zu sagen hat. Ganz im Gegenteil. Wie bereits am Dienstag im Tageblatt zu lesen war, kann man unter anderem beim Gebärdensprach-Treffen im Escher Kafé lebhaft debattieren.

Laut Fernands Mutter ist es gar nicht anders möglich, diese vielfältige Sprache zu erlernen. „Es reicht nicht, sich Bilder in Lehrbüchern anzuschauen und zu üben. Das muss man leben.“ Sie selbst hat mehrere Kurse besucht und ihr Sohn lernt die Gebärdensprache im „Centre de logopédie“ in Strassen.

Gesetzliche Anerkennung in Luxemburg

Seit zehn Jahren unterrichtet Nicole Sibenaler (selbst gehörlos) zusammen mit Jacqueline Winandy die Gebärdensprache in Luxemburg-Stadt. Beide konnten bereits vielen Eltern, Erziehern, Sozialarbeitern, aber zum Beispiel auch einer Polizistin und einer Krankenschwester wichtige Gebärden mit auf den Weg geben.

Sibenaler erklärt, was besonders wichtig ist: „Viele Hörende haben einen kalten Ausdruck im Gesicht. Gehörlose sind aber auf diese Komponente angewiesen, denn sie müssen die Kommunikation visuell erfassen können. Dabei geht es neben dem Weg, den die Hände ‚beschreiten‘, auch um das Gesicht.“ Hier verweist sie auch auf ein weiteres Missverständnis: Längst nicht alle hörgeschädigten Menschen können Lippenlesen!

Vergangenes Jahr erlangte die deutsche Gebärdensprache (kurz DGS) in Luxemburg gesetzliche Anerkennung. Nun haben alle hörgeschädigten Kinder ein Recht darauf, die Sprache zu erlernen, und können für alle anderen Kurse eine Übersetzung in Gebärdensprache einfordern. Außerdem haben Angehörige von hörgeschädigten Kindern jetzt die Möglichkeit, kostenlose Kurse in Anspruch zu nehmen.

Erinnerungen aus der Schulzeit

Davon hätte die luxemburgische Aktivistin, die sich als Mitglied des Vereins „daaflux“ in den vergangenen 15 Jahren intensiv für diese Anerkennung einsetzte, als Kind nicht einmal träumen können. In Fernands Alter wusste Nicole Sibenaler nämlich gar nicht, dass es die Gebärdensprache überhaupt gibt.

Als sie klein war, herrschte noch die Meinung vor, dass die „orale Methode“, also eine exklusiv lautsprachlich geprägte Vorgehensweise, die einzig richtige sei. Sibenaler erlernte die Gebärdensprache erst mit 16 Jahren, als sie in Trier die Gehörlosen-Schule besuchte. Demzufolge war die Schulzeit davor nicht ausschließlich von schönen Erinnerungen geprägt: „Im Deutschunterricht hatte ich ein weißes, leeres Blatt vor der Nase, konnte aber nicht hören, was der Lehrer sagte. Ich fühlte mich hilflos. Das war keine schöne Erfahrung.“

Beschluss aus dem Jahr 1880

Trotzdem nimmt die heute Anfang-40-Jährige ihrem damaligen Umfeld diesen Umstand nicht übel: „Meine Eltern wussten zu dem Zeitpunkt nichts von der Existenz der Gebärdensprache und hielten sich an das, was die Lehrer sagten. Ein ehemaliger Lehrer hat sich sogar später bei mir entschuldigt und zugegeben, dass es sinnvoller gewesen wäre, die Gebärdensprache früher zu fördern. Heute bin ich zwar dankbar, auch lautsprachlich gut unterwegs zu sein, aber Bildung war das damals nicht.“

Als Jacques Bruch, Präsident des Dachverbandes Solidarität mit Hörgeschädigten Asbl., sowie Pasquale Milano, Präsident der Vereinigung der Gehörlosen und Schwerhörigen Luxemburg Asbl., erste Schritte auf dem Bildungsweg machten, war die Gebärdensprache sogar noch verboten. Diese Restriktion geht auf einen Beschluss aus dem Jahr 1880 zurück, der das gesellschaftliche Bild von Gehörlosen und der Gebärdensprache langfristig negativ geprägt hat. Er wurde auf dem sogenannten „Mailänder Kongress“ (auch zweiter internationaler Taubstummenlehrer-Kongress genannt) von einem Komitee gefasst, zu dem keine einzige gehörlose Person gehörte.

„Anerkennung ist ein wichtiger Schritt“

„Der Kampf darum, die Gebärdensprache innerhalb der Gesellschaft hörbar zu machen, hat lange gedauert“, erzählt Jacques Bruch, selbst gehörlos, der sich seit seinem Informatikstudium in der 80ern für mehr Barrierefreiheit einsetzt. Der mittlerweile pensionierte, ebenfalls schwerhörige Milano ist sich wie Bruch bewusst, dass der Kampf noch längst nicht vorbei ist: „Die Anerkennung ist ein wichtiger Schritt, aber meiner Auffassung nach muss mindestens noch fünf Jahre daran gearbeitet werden, dass das alles klappt.“

Dem schließt sich Nicole Sibenaler an, die Enttäuschung darüber ausdrückt, dass nun, wo das Gesetz auch einen Gebärdensprachdolmetscher bei jeglichen Behördengängen garantieren soll, die einzigen zwei luxemburgischen Dolmetscher, die es in Luxemburg gibt, ins „Centre de logopédie“ gewechselt sind und es somit an Dolmetschern fehlt. Zur praktischen Umsetzung des Gesetzes bleibt jetzt nur noch ein Jahr übrig. Dann wird sich herausstellen, ob den im Gesetz verbuchten Rechten Rechnung getragen werden kann. Für Sibenaler steht fest: „Es ist schwierig, aber wir werden definitiv nicht aufgeben!“

* Anmerkung in eigener Sache: Dieser Artikel entstand im Auftrag der Hörgeschädigten-Beratung. Anne Schaaf wurde als Journalistin engagiert, hatte jedoch während des gesamten Projekts freie Hand über die Interviewfragen sowie den endgültigen Text.
** Name wurde von der Redaktion geändert.

 

Lesen Sie dazu auch unseren Artikel zur Gebärdensprache-Veranstaltung im Escher Kafé:

„Die ehrlichste Sprache der Welt“: Das Gebärdensprachenkafé verbindet Hörende und Nicht-Hörende

 

Jek Hyde
23. September 2019 - 16.06

Eng Frô. Kënne Leit mat engem Arm oder enger Hand och "d'Gebärdesproch" erléieren/benotzen? Merci fir d'Info.