Radfahren in Luxemburg (8)Fahrradaktivisten melden sich zu Wort: „Entscheidend sind die Dinge, die man macht“

Radfahren in Luxemburg (8) / Fahrradaktivisten melden sich zu Wort: „Entscheidend sind die Dinge, die man macht“
Die Fahrradaktivisten von ProVelo organisieren regelmäßig Protestaktionen Foto: Editpress/Tania Feller

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Das Fahrrad boomt und spielt eine Schlüsselrolle bei der Verkehrswende. Warum aber tut sich Luxemburg beim Schaffen einer modernen Radinfrastruktur so schwer? Dieser Frage ist das Tageblatt nachgegangen. Es entstand eine neunteilige Serie. Im achten Teil kommentieren die Radaktivisten von ProVelo, Siggy The Cyclist, EschBiken und Méco die Artikel der letzten Tage.

 Illustration: Tageblatt

EschBiken vs. Mischo

Gemessen an seinen Aussagen im Tageblatt-Interview zeigt Eschs Bürgermeister Georges Mischo erneut keinerlei Interesse, etwas zu ändern und verkehrspolitisch im 21. Jahrhundert anzukommen. Man wird das Gefühl nicht los, dass die Gemeinde Esch nichts vorzuzeigen hat. Es reiht sich Ausrede an Ausrede. ‚Esch ist nicht vergleichbar mit anderen Städten’, ‚Wir arbeiten dran’, ‚Nicht von heute auf morgen möglich’. Schlussendlich ist es egal, was Mischo sagt. Entscheidend sind immer die Dinge, die man macht … und das sind nun mal nicht sehr viele.

Besonders Familien mit Kindern und Menschen, die es mangels sicherer Radwege nicht wagen, das Fahrrad im Alltag zu benutzen, werden durch die aktuelle Verkehrspolitik in der Gemeinde Esch im Stich gelassen. Diese Personen sollten bei jeder Planung eines Radwegnetzes im Mittelpunkt stehen (und nicht Personen mit 40 Jahren Erfahrung auf dem Drahtesel).

 Bild: Esch Biken

Immer wieder weicht Mischo der Frage nach getrennten Fahrradwegen aus. Wieso? Gibt es etwa Widerstand innerhalb der Gemeinde oder fehlt schlicht und ergreifend der Wille? Zwar meint Mischo, dass ‚Gebastel’ immer eine schlechte Lösung sei, doch genau das tut die Gemeinde Esch seit Jahren. Angebotsstreifen statt getrennter Radwege, Flickenteppich statt durchgängiges Radwegnetz, breite Straßen, die zum Rasen einladen, statt verkehrsberuhigende Maßnahmen, um die Geschwindigkeit und den Durchgangsverkehr zu reduzieren.

Würde das Fahrrad tatsächlich eine Hauptrolle in den Planungen der Gemeinde Esch spielen, würde man diese Thematiken schnellstmöglich angehen und endlich eine Stadt für Menschen schaffen (und nicht für Autos). Esch hat das Potenzial, nur fehlt es den politischen Verantwortlichen an Mut. Mit Minimallösungen geben wir uns jedenfalls nicht zufrieden und werden weiterhin Druck auf die Escher Gemeinde ausüben.

Siggy The Cyclist: Mangelnde Kompetenz bei der Stadt?

 Bild: Siggy The Cyclist

Der hauptstädtische Schöffenrat und die Stadtverwaltung ignorieren die Sorgen der Radfahrer schon seit langem. So werden die Verbesserungsvorschläge der Radfahrer standardmäßig mit der Antwort abgekanzelt, die Fahrradinfrastruktur wäre konform zum ‚Code de la Route’.

Die Rücknahme der Pläne für die Verschmälerung des Fahrradstreifens auf dem Pont Bech nach heftiger Kritik der Radfahrer zeigt allerdings, dass der Druck neuerdings wirkt. Politiker verstecken sich zwar gerne hinter den Ingenieuren, um jegliche Diskussion mit der Argumentation ‚Es ist technisch nicht anders möglich’ (Simone Beissel am 29.3.2021) im Keim zu ersticken. In diesem Fall scheint eine andere Lösung dann trotz ‚technischer Nichtmachbarkeit’ auf einmal doch möglich.

So darf man auch die Fachkompetenz bezüglich Radverkehrsplanung des Service de Circulation anzweifeln, wenn der Mobilitätsschöffe seine eigenen Leute davon überzeugen muss, den Fahrradstreifen auf der Avenue Marie-Thérèse, einer vierspurigen Hauptverkehrsader mit Tempolimit 50 km/h, von der Fahrbahn abzutrennen. Jean-Luc Weidert, Leiter der Mobilitätsabteilung von Schroeder&Associés, sagte zu diesem Thema in dieser Serie: ‚Auf einer viel und schnell befahrenen Straße ist nur ein vom motorisierten Verkehr getrennter Radweg ein sicherer Radweg.’ Eine Aussage, die zumindest in Fachkreisen eigentlich seit längerem nicht mehr angezweifelt wird. Die Liste der Negativbeispiele in der Hauptstadt ist allerdings lang: Avenue Guillaume, route d’Esch, Boulevard Pierre Dupong, Avenue Du X Septembre, rue de Mühlenbach, Boulevard Joseph II.

Bei neuen Projekten sind die Radwege oft zu schmal und gehen zu Lasten der ohnehin schon zu schmalen Gehwege. Dies führt zu vermeidbaren Konflikten zwischen Radfahrer und Fußgänger, wie z.B. an der Bushaltestelle Roosevelt. Wenn Verkehrsschöffe Patrick Goldschmidt also von einer guten Lösung für die Radfahrer spricht, gleichzeitig aber nicht sagen kann, wie breit der Radweg wird, muss man hellhörig werden. In der Hauptstadt werden die offiziellen Empfehlungen für die Breite von Radwegen nämlich nicht angewendet und durchgehend Minimallösungen umgesetzt, so jetzt auch in der Avenue Pasteur.

Es gibt keine klare Strategie für eine durchgehende Radinfrastruktur. Die Hoffnung bleibt allerdings, dass unter dem Impuls des PNM 2035 auch in der Festungsstadt ein Umdenken stattfindet.

ProVelo: Es gibt noch viel zu tun

 Foto: Editpress/Tania Feller

Die nationalen und kommunalen Wahlen rücken immer näher und man wird das Gefühl nicht los, dass das Thema Fahrradpolitik eine größere Rolle spielen wird als je zuvor. Auch im neuen PNM2035 nimmt das Fahrrad eine wichtige Rolle ein und soll in den nächsten Jahren in Luxemburg die wichtigste Alternative zum Auto werden. Zudem nutzen immer mehr Menschen das Fahrrad als Verkehrsmittel im Alltag, dies bestätigen zumindest die Verkehrszähler der Stadt Luxemburg.

Jedoch stimmen wir dem Konsens aus den verschiedenen Artikeln zu, dass es noch viel zu tun gibt, bevor sich Luxemburg als Fahrradland ausgeben kann. Gerade jetzt, vor den Wahlen, würden wir uns mehr Mut zum Wandel wünschen. Mit dem neuen PNM werden sich ambitionierte Ziele in Richtung Verkehrswende gesetzt. Die Gemeindeverantwortlichen müssen jedoch jetzt mitziehen und die sanfte Mobilität in ihren Ortschaften priorisieren. In Luxemburg-Stadt werden wir als Radfahrer jedoch zu oft auf einen späteren Termin vertröstet. Die Avenue Pasteur und die rue du Fossé sollen erst in den nächsten Jahren autofrei werden. Wieso nicht gleich?

Wollen wir in Zukunft aber noch mehr Leute aufs Fahrrad bekommen, müssen die Rahmenbedingungen außerhalb der eigentlichen Fahrt mit dem Fahrrad gegeben sein. Wir brauchen an den Arbeitsplätzen oder an öffentlichen Einrichtungen sichere Abstellmöglichkeiten sowie Umkleidekabinen inklusive Duschen am Arbeitsort. Auch muss in den nächsten Jahren der Multimodalität eine wichtigere Rolle zugewiesen werden. Die Mitnahme des Fahrrades im Zug oder Bus sollte dem Nutzer erleichtert werden. Auch sollte das Fahrradverleihsystem gemeindeübergreifend ausgebaut werden.

Dass die nationalen Ingenieurbüros sich in den letzten Jahren immer mehr dem Thema Fahrrad zuwenden und in ihren neuesten Mobilitätskonzepten die sanfte Mobilität stark priorisiert wird, ist begrüßenswert. Wir würden uns jedoch freuen, wenn ein Austausch in Zukunft wieder vermehrt stattfinden könnte.

Méco: Das Fahrrad als zentrales Element der Transition

 Bild: Mouvement écologique

Das Mouvement écologique begrüßt, dass auf nationaler Ebene Strategien zur Förderung des Fahrrades vorangebracht und auf Gemeindeebene ein gewisses Umdenken in Bezug auf das Fahrrad – zumindest in der öffentlichen Kommunikation – zu erkennen ist. Dies ist sicherlich auch Initiativen und Projekten wie u.a. jene der ‚Vëloskaart.lu’ oder lokalen ‚Protestaktionen’ zu verdanken. Sie zeigen, dass Bürger:innenengagement sich lohnt.

Fakt ist jedoch, dass Fahrradfahrer:innen immer noch feststellen müssen, dass das Fahrradnetz nicht konsequent benutzerfreundlich gestaltet ist. Die Liste der Maßnahmen, die SOFORT konsequent und sinnvoll umgesetzt werden könnten, damit noch mehr Menschen das Fahrrad im Alltag nutzen, ist lang:

Hindernisse auf Fahrradwegen entfernen, Bordsteine absenken, Fahrradspuren einzeichnen, Gefahrenpunkte ausmachen und absichern, das Fahrrad in Einbahnstraßen im Gegenverkehr zulassen, Transitstraßen für den Autoverkehr schließen und, und, und … So müssen alle für den Alltag wichtigen Orte mit dem Fahrrad bequem/mühelos/bedenkenlos erreichbar sein. Für die Umsetzung der einzelnen Punkte braucht es aber vor allem dringend mehr (fahrradaffine) Verantwortliche in den jeweiligen Abteilungen der Gemeinden sowie konkrete Ansprechpartner für Bürger:innen.

Besonders am Herzen liegt dem Mouvement écologique aber, dass die Diskussion über die Förderung des Fahrrades nicht rein aus der Perspektive der „Infrastrukturen“ geführt wird. Es gilt weitaus stärker noch als in der Vergangenheit zu vermitteln, dass das Fahrrad ein zentrales Element in der Transition hin zu lebenswerten Städten und Dörfern ist. Es steht für eine Neugestaltung des öffentlichen Raumes, in dem nicht mehr der Privatwagen dominieren soll, sondern auch ein verstärktes soziales Miteinander im Fokus steht.


Radfahren in Luxemburg – die Serie:

1. Auf dem Weg zum vollwertigen Individualverkehrsmittel: Das will der nationale Mobilitätsplan 2035
2. Acht Thesen, acht Antworten: Beliebte Vorurteile gegenüber dem Rad
3. Bürgermeister Mischo über Escher Radwege: „Habe kein Problem damit, Parkplätze zu opfern“

4. Hauptstädtischer Verkehrsschöffe Patrick Goldschmidt: „Radfahren in der Stadt ist nicht überall so ohne“
5. Der lange Weg zur Mobilität der Zukunft: Blick hinter die Kulissen
6. Wenn eine Luxemburger Stadtplanerin in den Niederlanden lebt: So sieht gute Fahrradinfrastruktur aus
7. Mobilitätsminister François Bausch: „Das alte Lagerdenken muss aufgebrochen werden“
8. Fahrradaktivisten melden sich zu Wort: „Entscheidend sind die Dinge, die man macht“
9. Das Fazit der Fahrradserie: Von Verkehrskrieg und sicheren Wegen