Die Messlatte legte der Präsident des EU-Rechnungshofes, Tony Murphy, selbst bewusst auf, als er am Mittwoch auf das Mega-Milliarden-Projekt der EU, den mit 724 Milliarden Euro gefüllten Corona-Wiederaufbaufonds, zusteuerte: „Die Bürgerinnen und Bürger werden neuartigen EU-Finanzierungen nur dann Vertrauen entgegenbringen, wenn sie sicher sein können, dass ihr Geld ordnungsgemäß ausgegeben wird“, gab der vormalige irische Wirtschaftsprüfer zu bedenken, als er den 40-seitigen Prüfbericht der Luxemburger Behörde vorstellte. Das Ergebnis: Die Kommission hat zwar in großem Tempo doppelte und dreifache Sicherungen eingebaut, doch eine große Lücke übersehen. Daraus entstehe ein „ernstes Risiko für die finanziellen Interessen der EU“.
Die Reaktion der EU auf die alle Bürger betreffenden und viele Wirtschaftsbranchen hart treffenden Auswirkungen der Corona-Pandemie bestehen in einem beispiellosen finanziellen Kraftakt. Erstmals ermächtigten die Mitgliedstaaten die EU-Zentrale, selbst Schulden aufnehmen zu dürfen, damit sie den EU-Staaten üppige Zuschüsse und Kredite zum Ankurbeln der Wirtschaft zur Verfügung stellen kann. Detaillierte Vorschriften legen fest, wofür die EU-Gelder beantragt werden dürfen, welche Ziele damit zu verfolgen sind und welche Meilensteine erreicht sein müssen, bevor das Geld fließt. Um das Erreichen dieser Schritte sicherstellen zu können, seien „umfangreiche“ Vorkehrungen getroffen worden, bescheinigte der Rechnungshof.
Unklarheiten
Allerdings unterscheide sich die Zuteilung der Corona-Gelder in einem wesentlichen Umstand von übrigen EU-Programmen. Es werde nicht geprüft, ob die geplanten Maßnahmen auch mit nationalem und europäischem Recht übereinstimmten. Darüber hinaus fehle jede Methode für den Umgang mit Veränderungen, wenn also Meilensteine oder Ziele nicht erreicht oder wieder aufgegeben würden. Welche Auswirkungen hat das auf die EU-Gelder? In welchem Umfang müssen diese zurückgezahlt werden? Welche Kriterien gelten dann? Auf diese Fragen fehlen aus Sicht des Rechnungshofes schlüssige Antworten.
Aber es kommt noch dicker. Zwar hat sich die Kommission vorbehalten, in Fällen von Betrug, Korruption oder Interessenkonflikten bestimmte Beiträge zurückzufordern. Aber laut Kritik des Rechnungshofes ist weder ausreichend definiert, wie viel das in welchem Fall sein soll, noch verfügt die Kommission über genügend eigene Erkenntnisse. Sie überlasse die Überprüfung im Wesentlichen den Mitgliedstaaten. Auf EU-Ebene gebe es damit „nur begrenzt verifizierte Informationen“.
Damit steige insgesamt das Risiko, dass rückabgewickelte Ziele gar nicht erst entdeckt würden. Bei den inzwischen eingeführten Pauschalkorrekturen fehlten noch entsprechende Leitlinien, damit diese EU-weit auch einheitlich angewandt werden könnten. Als Ergebnis attestiert Murphy der EU-Kommission sowohl eine „Lücke“ bei der Gewährleistung ordnungsgemäßer Mittelverwendung als auch einen „Mangel an Rechenschaftspflicht auf EU-Ebene“.
Die politische Diskussion ist zudem weit über die ursprünglichen Absichten der wirtschaftlichen Konjunkturförderung durch gezielte Investitionen hinweggegangen. Weil mehrere Hundert Milliarden der vorgesehenen Mittel noch nicht ausgezahlt wurden, wird längst daran gedacht, sie für andere Vorhaben zu verwenden. So spielen sie bei der Antwort der EU auf das 240-Milliarden-Dollar Klimaschutzprogramm der USA eine wesentliche Rolle. Die Unklarheiten bei den Bedingungen für die laufenden Auszahlungen dürften damit im Ergebnis noch zunehmen.
De Maart
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