EditorialEsch und der Blick von außen

Editorial / Esch und der Blick von außen
Qualifikation Mann, Luxemburger: der Escher Schöffenrat Foto: Editpress/Philip Michel

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Zum Abschluss gab es noch einen Lacher, wobei die Botschaft genau genommen nicht witzig ist: „Die Hälfte der Menschen in Esch sind Frauen. Die Hälfte sind Immigranten“, wurde in großen Lettern an die Wand projiziert. Darunter waren die Porträts der Mitglieder des Schöffenrats abgebildet. Unter jedem Foto die Bilderzeile „Qualifikation: Mann, Luxemburger“.

So gezeigt bei der ersten Auflage der „Esch Clinics“, bei denen Architekturstudenten ihre Projekte für eine bessere Nutzung des öffentlichen Raums zum Wohle der Menschen und somit für ein besseres (Zusammen-)Leben vorstellten. Sie kommen fast alle aus dem Ausland, ihr Blick auf Esch ist demnach neutral. Die Ideen für ihre Projekte entstanden in zahlreichen Spaziergängen und Gesprächen mit den Einwohnern. 

Es ist schwer vorstellbar, dass diese Projekte einmal realisiert werden, interessant sind sie aber allemal. So nahmen sich zwei Studenten den Brillplatz vor und kamen zum Schluss, dass er in seiner aktuellen Konzeption ein Zusammenkommen von Menschen nicht fördert, sondern erschwert. Ein anderes Projekt beschäftigte sich mit der Fläche unter dem Viadukt und der Möglichkeit, sie den Menschen zugänglich zu machen und dadurch auch die Trennung zwischen einzelnen Vierteln, und sei es nur die in den Köpfen, zu überwinden. 

Für die Studenten ist Esch eine Stadt, die nach den Bedürfnissen der Industriearbeiter konzipiert und gebaut wurde. Industriearbeiter, die es kaum noch gibt. Heute haben die Menschen andere Bedürfnisse und deshalb müssten Städte auch anders gestaltet werden, so die logische Schlussfolgerung. Was in einer Phase besonders wichtig ist, in der auf den Industriebrachen der Brasseur- und Metzeschmelz neue Stadtviertel entstehen und auch die Urbanisierung des grenzüberschreitenden „Crassier Terres-Rouges“ in den Startlöchern steht. Langfristig wird Esch auf 60.000 Einwohner zusteuern und von neuen Stadtvierteln geprägt sein. 

Die Herausforderung ist, das „alte“ Esch als Stadtkern zu erhalten und die neuen Viertel in das Bestehende zu integrieren. Sie sollen für die Menschen und nicht an ihnen „vorbei“ gebaut werden, wobei Belval als schlechtes Beispiel dient. Der Blick von außen kann dabei nur helfen.

Das wissen auch die Luxemburger Männer aus dem Escher Schöffenrat. Für das Missverhältnis zwischen den Geschlechtern sind sie nicht direkt verantwortlich, und auch nicht für die Unterrepräsentanz der Ausländer in der Politik. Immerhin hat die Regierung den Zugang zu den nächsten Gemeindewahlen erleichtert. Die Fünf-Jahre-Residenz-Klausel zur Aufnahme in die Wählerlisten fällt weg und auch die Einschreibefrist wurde verkürzt. Das war aber nicht das Thema der Studenten, auch lag es ihnen fern, den Schöffenrat zu kritisieren oder gar zu verspotten. Vielmehr wollten sie zeigen, dass Städteplanung nicht an denen vorbeigehen darf, die direkt von ihr betroffen sind: die Bewohner der Viertel. Egal, wo sie letztendlich herkommen.

Nombre
30. Januar 2022 - 14.22

@HeWhoCannotBeNamed als Puerto Rikaner, der in Luxemburg wohnt, war es für mich eine echte Überraschung, dass Sie die Insel als Beispiel genommen haben, da die politische Situation von Puerto Rico nicht verstanden oder einfach ignoriert wird in Europa. Ich meine natürlich nur Laien, nicht Politiker oder Diplomaten (obwohl es mich nicht überraschen würde, wenn einige Politiker keine Ahnung davon hätten). Leider muss man immer davon ausgehen, dass Leute in Europa überhaupt nicht wissen, dass Puerto Rico kein unabhängiges Land ist. Eine Diskussion über die Situation von Puerto Rico ist daher notwendig und begrüßenswert.

Jacky Wano
29. Januar 2022 - 15.16

Fühle mich auch mit 8000 im Moment sehr wohl in Esch, sorry?. Und was heißt hier Esch? Lieber in Bonneweg wohnen als in Wobrécken? Wir nicht!

Jemp
28. Januar 2022 - 16.43

In Esch gab es doch mehrere Bürgermeisterinnen. Soweit ich weiß, sind die auch von Frauen abgewählt worden.

Sammy
28. Januar 2022 - 15.40

Ich hab 'mal einen Kollegen gefragt warum er noch immer in Esch wohnt. Weil man mit 3000 Euro Monatsgehalt King of Esch ist.

Tainia
28. Januar 2022 - 10.05

Woke cancel culture gehört in die USA.

HeWhoCannotBeNamed
28. Januar 2022 - 9.58

So sehr ich kritisches Denken begrüße, so sehr ich akademische Projekte zum Thema Zusammenleben schätze, so sehr missfällt mir diese plakative und einseitige Betrachtung der Escher Verhältnisse. Hier werden wieder "woke" Klischees des alten weißen Mannes forciert, zudem, wie es scheint, ohne die politische Geschichte Eschs zu kennen - was hätten die StudentInnen wohl VOR den letzten Wahlen beanstandet? Man mag nicht mit der politischen Couleur und den Projekten des Schöffenrats einverstanden sein (so wie ich) - aber was hat das bitte mit der Person des jeweiligen Schöffen zu tun? Zum Thema Brillplatz : es mag sein, dass viele (oder die meisten) die aktuelle Gestaltung als nicht besonders gelungen bezeichnen werden - aber bleibt er nicht auch ein Symbol des Aufschreis der Escher Bevölkerung gegen das Projekt Heller? Und wieso wird hier der "Blick von außen" mit "neutral" gleichgesetzt? Was würde passieren wenn ich die politische Marschrichtung einer vergleichbaren Stadt in Puerto Rico (oder sonstwo) kritisieren würde - man würde mich wohl des Neo-Kolonialismus beschuldigen (zu Recht übrigens). Vieles wird hier dargestellt als wäre die Escher Bevölkerung nicht imstande über ihr eigenes Los zu entscheiden... Zusammenfassend : gute Absichten, plakative und bevormundende Umsetzung. Danke für ihre Präsentation.