Erträumte Reisen – Umfassende Ausstellung in Bonn ehrt Ernst Ludwig Kirchner

Erträumte Reisen – Umfassende Ausstellung in Bonn ehrt Ernst Ludwig Kirchner

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„Das Neue in geistigen Dingen wird nie zu der Zeit richtig verstanden, in der es geschaffen wird“, schreibt Ernst Ludwig Kirchner ein Jahr vor seinem Freitod im Jahre 1938 in einem Brief.

Von unserem Korrespondenten Andreas Maria Baumeister

Es scheint wirklich so zu sein, dass heute erst die Bandbreite seines Schaffens richtig bewertet werden kann. Als Künstler, der in vielen Bereichen aktiv und engagiert war, als Bildhauer, Fotograf, Gestalter und Maler erforschte er seine Umwelt, seine Zeit und auch die Welt, ohne dass er Deutschland und die Schweiz je verlassen hat. Seine Suche nach einer „authentischen“ und „ursprünglichen“ Lebensweise begann 1905.

Gemeinsam mit weiteren Architekturstudenten gründete er die Künstlergruppe „Die Brücke“. Die gab sich ein Programm, das schon die weitere Herangehensweise Kirchners an die Kunst beschreibt: „Mit dem Glauben an Entwicklung, an eine neue Generation der Schaffenden wie der Geniessenden rufen wir alle Jugend zusammen. Und als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlangesessenen, älteren Kräften. Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt.“

Leben und Werk als roter Faden

Kirchner gilt als einer der herausragenden Vertreter des deutschen Expressionismus. Die Ausstellung „Erträumte Reisen“ geht auf alle Facetten Ernst Ludwig Kirchners ein und auch kontrovers diskutierte Aspekte seines Oeuvres werden thematisiert. Allen voran Kirchners künstlerische Rezeption außereuropäischer Kulturen sowie sein idealisierender Blick auf die alpine Schweizer Volkskultur. Die Ausstellung versammelt zahlreiche großartige, teils selten ausgestellte Werke, öffnet aber gleichzeitig eine kritische Perspektive auf den Künstler und sein Schaffen“, resümiert Intendant Rein Wolfs.

Durch sein Leben und Werk zieht sich wie ein roter Faden die Suche nach dem „Exotischen“ und Ursprünglichen, nach anderen Ländern und Kulturen. Obwohl er nie über die Grenzen Deutschlands und der Schweiz hinaus reiste, zeigt Kirchners künstlerische Arbeit eine leidenschaftliche Auseinandersetzung mit außereuropäischen Kulturen. Entstanden sind farbenprächtige Bilder aus der Fantasie, in denen er mit schnellem Strich fremde Welten erschuf und durch gesellschaftliche und künstlerische Einflüsse immer wieder malerisches Neuland betrat.

Kompromissloser, progressiver Künstler

Dank internationaler Leihgaben, insbesondere aus der Schweiz und den USA, gelangt es den Ausstellungmachern, durch geschickte Anordnung seiner Werke als Bildhauer und Maler die wiederkehrenden Motive in seinen Schaffen zusammenzubringen. Durch eine Kooperation mit dem Völkerkundemuseum Dresden können Kirchners prägende Besuche der ethnografischen Sammlungen und sein künstlerischer Prozess zum ersten Mal nachvollziehbar gemacht werden: Skizzenbücher, Briefe und historische Fotografien stehen ebenso im Dialog mit bedeutenden historischen Erzeugnissen außereuropäischer Kulturen.

Kirchners begeisterte Rezeption dieser Kulturen wird auch kritisch hinterfragt und der schwierige Umgang mit dem kolonialen Erbe wird in einen historischen Kontext gesetzt. In der Ausstellung wird Kirchners Schaffen vollumfänglich beleuchtet und den bekannten Werken der früheren Dresdner und Berliner Jahre auch die Werke aus seinem Schweizer Spätwerk gegenübergestellt. Kirchner offenbart sich als kompromissloser, progressiver Künstler, der bemüht war, einer sich stetig wandelnden Welt adäquaten Ausdruck zu verleihen.

Die sehr angenehm gestaltete und gut beschriftete Ausstellung zeigt rund 220 Werke – 56 Gemälde, 72 Grafiken, vier Skizzenbücher, zehn Skulpturen, fünf Wirkereien, 45 Fotografien sowie 26 ethnografische Objekte von 40 Leihgebern aus sieben Ländern.
Darunter sind zahlreiche bedeutende und selten ausgestellte Werke wie z.B. die Gemälde „Der Trinker“ oder „Sitzendes Mädchen (Fränzi Fehrmann)“ sowie das von Kirchner für seine Lebensgefährtin Erna Schilling geschnitzte Bett und die Gelbguss-Platten aus Benin.