Soziale Lage Eschs unter der LupeErschwinglichen und lebenswerten Wohnraum schaffen

Soziale Lage Eschs unter der Lupe / Erschwinglichen und lebenswerten Wohnraum schaffen
Der Escher Sozialschöffe Christian Weis: „Es geht darum, erschwinglichen, aber gleichzeitig auch lebenswerten Wohnraum zu schaffen“  Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Die „Assises sociales“ in Esch beschäftigen sich mit sozialen Fragen der „Minettemetropole“. Im Rahmen dieser Veranstaltung wird am Freitag auch die Erstausgabe des „Observatoire social“ vorgestellt. Es ist eine erweiterte Form des sonst üblichen Sozialberichtes. Ausgearbeitet wurde es vom Luxemburger Institut für sozioökonomische Studien (Liser). Es handelt sich dabei um eine wichtige Unterstützung für Politik, die tatkräftig, aber mit Herz planen und gestalten will, so Sozialschöffe Christian Weis im Tageblatt-Gespräch. 

Seit Oktober 2016 sitzt Christian Weis für die CSV im Gemeinderat der Stadt Esch. Seit September 2020 ist er Schöffe, zuständig für die Ressorts Schule, Chancengleichheit und Soziales. Eine Aufgabe, die dem ausgebildeten Sozialarbeiter und Politikwissenschaftler offensichtlich gut liegt. Der 35-Jährige redet jedenfalls mit viel Anteilnahme über die Situation in Esch und mit viel Energie über mögliche Entwicklungen. Christian Weis ist wohl in Luxemburg-Stadt geboren, aber in Esch aufgewachsen, wo er die Brill-Schule besuchte. Sozialpolitik müsse man mit Kopf, Hand und Herz machen, sagt er im Gespräch.

Tageblatt: Im Rahmen der bereits traditionellen „Assises sociales“ am Freitag wird das erste Escher „Observatoire social“ vorgestellt. Ausgearbeitet wurde es von dem in Belval ansässigen Luxemburger Institut für sozioökonomische Studien (Liser). Was unterscheidet das neue Werk denn von den Sozialberichten, die es bereits seit 2003 in Esch gibt?

Christian Weis: Der große Unterschied ist der Kontext, der im „Observatoire social“ deutlich hervorgehoben wird. Grundidee ist es, dass in Zukunft aufgrund der regelmäßig gesammelten Daten Vergleiche möglich sind und so eine Entwicklung aufgezeigt werden kann. Mit dem Ziel, daraufhin Politik gestalten zu können. Der Sozialbericht dagegen war eher eine Momentaufnahme und nicht wirklich geeignet, um eine Evolution deutlich zu machen. Er war von den Themenbereichen her auch nicht so umfassend.

Ist der Sozialschöffe denn nun bei der Lektüre dieses neuen Berichts überrascht gewesen?

Ja. Zum Beispiel, wenn es um die Stadtviertel und die Altersstrukturen in diesen Vierteln geht. Die Zahlen entsprechen nicht immer dem, was man sich als Escher vorstellt und zu wissen meint. So wohnen in Lallingen beispielsweise viele Kinder, was sich aber nicht unbedingt in den kinderspezifischen Einrichtungen widerspiegelt. Das ist eine Feststellung, die wir auch in anderen Vierteln gemacht haben.

Aber so ’ne richtige Überraschung?

Ja, hätten Sie gedacht, dass es im Viertel Dellhéicht mit am meisten Sozialwohnungen in Esch gibt. Für mich war das eine Überraschung. Interessant ist auch, dass es dort mit die größten Unterschiede zwischen hohen und niedrigen Einkommen gibt. Dann etwas, woran man oft nicht so denkt, was das „Observatoire“ aber sehr deutlich zeigt, nämlich dass wir in Esch rund 30.000 Arbeitsplätze haben, die aber nur minimal von Eschern besetzt werden. Eine andere Feststellung ist, dass Esch immer als die Arbeiterstadt dargestellt wird, dabei arbeiten 15 Prozent der Bevölkerung im öffentlichen Dienst.

Was sind denn die großen Herausforderungen für Esch?

Zusammenfassend würde ich sagen, dass wir wieder Wohlstand für jeden hier in Esch hinkriegen müssen. Klassische Politik. Wir müssen eine Begegnung und Vermischung aller Bevölkerungsschichten ermöglichen. Es muss möglich sein, dass sich jeder in Esch seinen Wohlstand aufbauen kann und dass jeder sein Leben in unserer Stadt gestalten kann. Ich sehe das Zusammenleben als größte Herausforderung.

Dieser Zielsetzung dürften aber die Wohnungsmarktpreise im Wege stehen …

Auch, ja. Wenn man an Wohnungen denkt, denkt man natürlich an die hohen Preise. Ich denke in Esch aber auch daran, wie unsere Wohnungen aussehen. An die Größe der Wohnungen zum Beispiel. Wir haben in Esch flächenmäßig viele kleine Wohnungen. Bei den neuen Objekten haben wir sogar mit die kleinsten Flächen im Land. Das macht es für einige Leute unattraktiv, um nach Esch zu kommen oder in Esch zu bleiben. Besonders junge Paare, die ihre Zukunft planen, oder Menschen mit Familie, die sich in Esch niederlassen wollen. Also der Preis ist natürlich ein Faktor, gegen den man ankämpfen muss; auf der anderen Seite darf das aber nicht auf Kosten der Größe und der Qualität der Wohnungen gehen.

Die Lösung ist also erschwinglicher und lebenswerter Wohnraum.

Ja, und da gehört das Umfeld der Wohnung dazu. Aber ein kleiner Park zum Beispiel, eine Grünfläche, Luft zum Atmen, das wirkt sich auf den Preis aus. Da müssen wir auf den Preis einwirken, aber auch für ausreichend Lebensqualität im Viertel sorgen.

Der frühere Escher Bürgermeister Josy Brebsom hat Politik mit viel Bauchgefühl gemacht. Reicht das heute noch?

Es darf jedenfalls auch heute nicht fehlen. Ich denke, dass man Politik mit Kopf, Hand und Herz macht. Je nach Situation, Herausforderung oder Tragweite von Entscheidungen und Planungen sind Statistiken und Forschungen nötig und wichtig. Diese sind aber mit Herz, also dem nötigen Bauchgefühl, zu nutzen und sie werden nie den direkten Kontakt zu den Menschen ersetzen.

Sie reden davon, verschiedene Bevölkerungsschichten zusammenzubringen. Wie geht das?

Das hängt vom jeweiligen Viertel ab, seinen Eigenarten. Es ist vor allem wichtig, dass jeder ein Einkommen hat, mit dem er über die Runden kommen kann. Das ist die Basis, um Zukunft zu gestalten, sich etwas aufzubauen, Stabilität zu schaffen und natürlich, um soziale Kontakte zu pflegen. Wenn finanzielle Sorgen die Familie plagen, dann ist alles viel komplizierter. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass wir den Menschen die Möglichkeit geben müssen, dass sie sich keine Sorgen über ihr Einkommen mehr zu machen brauchen.

Und wie?

Hauptpunkt für mich ist immer die Arbeit. In dem Kontext stellt sich die Frage, wie wir die Menschen, die in Esch leben und keine Arbeit haben, in ein Arbeitsverhältnis bringen können. Es stellt sich auch die Frage, wie wir den Arbeitsmarkt in Esch mit neuen Betrieben so gestalten können, dass Escher eine Chance haben, dort unterzukommen.

Was wäre das konkret?

Ich denke, dass wir noch traditionelle Arbeiterbetriebe brauchen, Industrie. Das heißt nicht, dass wir wieder Schmelzen öffnen, derentwegen man das Gemüse im Garten nicht mehr essen kann, aber Betriebe, in denen die Qualifikationen arbeitsloser Escher gebraucht wird. Ich möchte aber hinzufügen, dass wir es auch besser hinkriegen müssen, dass Leute, die bereits in Esch arbeiten, auch hier wohnen wollen. Stichwort hier ist natürlich die Attraktivität unserer Stadt.

Welche Rolle spielt in dem Kontext die Universität in Belval?

Sie ist bereits ein Teil der Stadt Esch. Durch neue Viertel, angepasste Wohnstrukturen, Verkehrswege, bessere Anbindungen ans Zentrum kann sie aber noch stärker ein Teil des Ganzen werden und noch mehr zur Attraktivität der Stadt beitragen. Das „Südspidol“ und Forschungsinstitute gehören da auch dazu.

Alles planen kann man aber auch nicht …

Ich denke nicht, dass Politiker alles selber planen und gestalten sollen und können. Ich bin von der Dynamik der Gesellschaft überzeugt. Menschen mit Ideen – Geschäftsideen – sollen in die Stadt kommen und hier etwas aufbauen können. Die Stadt soll allerdings dort eingreifen, wo es an etwas mangelt. Wenn Kinderbetreuungsstätten fehlen, zum Beispiel. Da ist Planung wichtig, und da man muss die Entwicklung im Blick haben.

Besonders wenn man weiß, dass die Stadt weiter wachsen wird.

Wie schnell und wie viel Esch realistisch wachsen wird, werden wir sehen. Klar ist aber, dass neue Viertel wie „Rout Lëns“ oder das Arbed-Gelände zwischen Schifflingen und Esch mehr Menschen anziehen werden.

Ein Stichwort vielleicht noch im Kontext Attraktivität. Esch2022!

Ich denke, dass Esch2022 wie aber Kultur im Allgemeinen eine sehr wichtige Sache für die Zukunft der Stadt ist. Kultur schafft Arbeitsplätze. Kultur lockt Menschen an. Im besten Fall übernachten sie in Esch, essen hier, kaufen vielleicht auch noch ein. Deshalb ist das Kulturjahr sehr wichtig. In zwei, drei Jahren werden wir sehen, welchen nachhaltigen Einfluss es auf das Leben in Esch hat. Wenn es keinen hat, haben wir ein Problem. Nur eine lebendige Stadt zieht Menschen an. Daran arbeiten wir. Dazu gehört auch, dass wir uns Gedanken machen über unsere Integrationspolitik. Und Instrumente wie das „Observatoire social“ helfen uns dabei.

Details zu den „Assises sociales“ und dem „Observatoire social“ in unserer Donnerstagsausgabe.

Mike P.
8. Juni 2021 - 12.34

"Kultur schafft Arbeitsplätze." ... ja, aber nur so lange wie der Staat die Gehälter bezahlt.

Spurnik
7. Juni 2021 - 20.38

Nemmen warm loft äre Kommentar Herr Weis!