TürkeiErdogan tritt drittes Jahrzehnt seiner Herrschaft an

Türkei / Erdogan tritt drittes Jahrzehnt seiner Herrschaft an
Erdogan-Anhänger feiern ihren „Reis“ am Sonntagabend in Istanbul Foto: AFP/Umit Turhan Coskun

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Die Opposition kam ganz nah an einen Machtwechsel in der Türkei heran. Doch Erdogan hat es nach 20 Jahren an der Macht wieder geschafft.

Es war nicht ganz so leicht wie sonst – doch er hat es tatsächlich wieder geschafft: Nach seinem knappen Sieg in der historischen Stichwahl wirkt Recep Tayyip Erdogan am Sonntagabend sichtlich erschöpft. Der Wahlkampf gegen seinen sozialdemokratischen Rivalen Kemal Kilicdaroglu wurde mit harten Bandagen geführt, nun aber ruft der Staatschef in seiner Ansprache vor dem Präsidentenpalast in Ankara die Türkei zur „Einheit und Solidarität“ auf.

Viele von Erdogans Gegnern fürchten allerdings, dass der islamisch-konservative Präsident seinen autoritären Kurs weiter verschärfen – und so die Spaltung des Landes vertiefen könnte. Während viele Türkinnen und Türken mit Hupkonzerten und Autokorsos feiern, sind andere resigniert. „Ich habe keine Hoffnung mehr, ich werde so schnell wie möglich ins Ausland gehen“, sagt etwa der 20-jährige Ingenieurstudent Kerem.

Erdogan regiert die Türkei seit 2003 als Ministerpräsident, seit 2014 als Präsident. Seit Republikgründer Atatürk hat niemand das Land so sehr geprägt wie er: Erdogan trieb gigantische Infrastrukturprojekte voran, verabschiedete sich vom strengen Laizismus und wandte sich außenpolitisch zunehmend vom Westen ab und Asien und Russland zu. Jetzt erhielt Erdogan nach vorläufigen Ergebnissen rund 52 Prozent der Stimmen, Kilicdaroglu rund 48 Prozent. Die Opposition, die in einem Sechser-Bündnis angetreten war, beklagte einen unfairen Wahlkampf.

Weiterer Autoritarismus?

Nicht nur seine Gegner im eigenen Land, sondern auch westliche Länder werfen dem türkischen Staatschef vor, in einen Autoritarismus abgeglitten zu sein. Hunderte Regierungskritiker sitzen in den Gefängnissen. 2017 führte Erdogan durch eine Verfassungsänderung das Präsidialsystem ein und weitete damit seine Befugnisse aus.

Für seine Unterstützer hingegen bleibt Erdogan – trotz der aktuell hohen Inflation und anderer Wirtschaftsprobleme – der Mann, der der Türkei über Jahre hinweg ein „Wirtschaftswunder“ beschert hatte. Weder ein Gefängnisaufenthalt, Massendemonstrationen noch ein Putschversuch konnten den Siegeszug des „Reis“ – des „Chefs“, wie ihn seine Anhänger nennen – aufhalten.

Unsere Demokratie hat gesiegt

Der türkische Präsident Erdogan

Dass er sich einen Palast mit 1.000 Zimmern in Ankara bauen ließ, hält Erdogan nicht davon ab, sich als „Mann des Volkes“ zu präsentieren. Der 69-Jährige ist frommer Muslim und verkörpert traditionelle Familienwerte, er ist verheiratet und hat vier Kinder. Der hochgewachsene Mann versteht es zudem, die Menschen durch emotionale Reden mitzureißen, in denen er nicht selten nationalistische Gedichte oder Koranverse rezitiert.

Auch auf der außenpolitischen Bühne demonstriert Erdogan Einfluss und Stärke – etwa als Vermittler im Ukraine-Krieg, der sowohl zu Russland als auch zur Ukraine gute Beziehungen pflegt, oder durch seine Blockade von Schwedens NATO-Beitritt.

Erdogan wurde im armen Istanbuler Hafenviertel Kasimpasa geboren und strebte zunächst eine Karriere als Fußballer an, bevor er in die Politik ging. 1994 wurde er Bürgermeister seiner Heimatstadt. Vier Jahre später musste er kurzzeitig ins Gefängnis, weil er bei einem Auftritt ein religiöses Gedicht rezitiert hatte. Die von ihm mitbegründete islamisch-konservative Partei AKP gewann 2002 die Parlamentswahl, im Jahr darauf wurde er Ministerpräsident.

Anfangs war Erdogan für den Westen als Reformer ein Hoffnungsträger. Spätestens seit er aber 2013 regierungsfeindliche Demonstrationen brutal niederschlagen ließ, steht er im Westen stark in der Kritik. Drei Jahre später, in der Nacht zum 16. Juli 2016, folgte die wohl größte Bewährungsprobe für Erdogan: ein Putschversuch von Militärs. Aus dem Urlaub rief Erdogan „sein Volk“ zur Hilfe – und erklärte am Morgen danach den Aufstand für gescheitert.

Der Präsident beschuldigte seinen ehemaligen Verbündeten, den in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen, hinter dem Putschversuch zu stehen, und ließ zahlreiche „Gülenisten“ und Oppositionelle festnehmen. Unerbittlich geht er seither gegen alle Gegner vor. Auch Medien, Justiz, Armee und Polizei wurden umgebaut und auf Erdogan ausgerichtet. Seine Wiederwahl könnte nun bedeuten, dass der „Reis“ seine Macht weiter zementiert. (AFP)

Phil
29. Mai 2023 - 21.09

An där aktueller weltpolitescher Situatioun, besonnesch wat den Ukrainkrich ubetrefft, ass et vläicht net de Moment d'Karten komplett nei opzemëschen. Dofir géif ech mengen, dass eng politesch Stabilitéit an der Türkei wichteg wär... och wann et net déi ideal Besetzung ass.

Leila
29. Mai 2023 - 19.07

Die in Deutschland lebenden Türken haben ihn gewählt und gefeiert! Fraglich, ob sie das auch getan hätten, wenn sie in der Türkei leben würden und u.U. einen Angehörigen dort im Zuchthaus wüssten...