ProzessEntscheidung in Sekunden: Gericht befindet über tödlichen Polizei-Einsatz in Luxemburg

Prozess / Entscheidung in Sekunden: Gericht befindet über tödlichen Polizei-Einsatz in Luxemburg
Die Polizei ist bewaffnet, um sich notfalls damit zu verteidigen. Doch was ist notfalls? Wann geschieht der Gebrauch der Dienstwaffe in Notwehr? Mit dieser Frage muss sich die Kriminalkammer des Luxemburger Gerichts zurzeit beschäftigen. Hintergrund ist ein tödlicher Schuss aus einer Polizeipistole im April 2018 in Bonneweg. Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Bei einer Routinekontrolle in Bonneweg, die offensichtlich aus dem Ruder gerät, tötet im April 2018 ein Polizist einen Autofahrer. War es Notwehr? Um die Antwort darauf geht es nun vor einer Kriminalkammer des Luxemburger Bezirksgericht. Der Polizist ist wegen Totschlags angeklagt.

Was hat sich abgespielt am Nachmittag des 11. April 2018 in Bonneweg, als ein Polizist mit seiner Dienstwaffe einen Autofahrer erschoss?

Um sich ein möglichst genaues Bild davon machen zu können, wurden die Geschehnisse am 19. September 2019 unter der Regie einer Untersuchungsrichterin genau nachgestellt. Am Originalschauplatz, mit den damals beteiligten Polizisten sowie mithilfe der Experten, deren Hypothesen und den Aussagen von Zeugen. Zwei Stunden und 48 Minuten dauert der Film, der am vergangenen Freitagmorgen integral vor Gericht gezeigt wurde. 

Klar wird von Anfang an, dass die sogenannte Routinekontrolle nicht unbedingt Business as usual war und dass mitunter von Anfang an eine gewisse latente Bedrohung vom Fahrer eines schwarzen Mercedes ausging. Beispielsweise als er nicht auf Haltezeichen der Polizei reagierte, nicht mal auf einen Schlag gegen das Beifahrerfenster.

Unpräzise Erinnerungen

Klar wird im Film auch, dass bereits damals, knapp anderthalb Jahre nach den Geschehnissen, nicht mehr alles so ganz klar ist, in den Aussagen der Beteiligten und Zeugen. Wo stand beispielsweise ein Auto, wie hat es sich bewegt oder wo stand die Polizei. Vor allem geht es natürlich um den Schützen selbst? Wie hat er sich verhalten, hat er seine Position verändert als er dreimal sehr kurz hintereinander schießt? Wirklich klare Antworten darauf hat es am Freitag nicht gegeben.

„Ja, so ungefähr, vielleicht ein wenig mehr nach rechts oder nach links, kann ich nicht mehr genau sagen, weiß ich nicht mehr, erinnere mich nicht mehr, ich war etwas in Panik, in Sorge wegen meiner Kinder ob der Geschehnisse, ob der Schüsse, meiner Meinung nach geschah das binnen ein paar Sekunden, ich habe Schüsse gehört, aber nicht alles genau gesehen.“  So lauten kurz zusammengefasst die Aussagen der Zeugen. Aber auch die beteiligten Polizisten sind sich ihrer Aussagen nicht mehr hundertprozentig sicher. 

Klar wird bei der Filmvorführung auch, dass sich die Aussagen der Zeugen oft nicht decken mit den Aussagen der Gutachter, ja sich sogar widersprechen. 

Reale Lebensgefahr

Eines wird aber letztendlich, dank der von der Untersuchungsrichterin gewollten minutiösen Nachstellung der Geschehnisse, mehr als deutlich: Nämlich, dass für den jetzt angeklagten Polizisten damals eine reale Lebensgefahr bestanden hat. Während ein paar Sekunden. Während dieser paar Sekunden, gar nur Bruchteilen einer Sekunde aber hat er entscheiden müssen. Ob diese Entscheidung Notwehr war, ist die einzig relevante Frage bei diesem Prozess.

Polizist M. hat sich damals entschieden, zu schießen, als der Mercedes mit rund 30 Kilometern pro Stunde auf ihn zusteuerte. Hätte er zur Seite springen müssen? Hätte er es können? Musste er drei Schüsse abgeben? Der Vertreter der „Inspection générale de la Police“ (IGP), ein Kontrollorgan, das mögliches Fehlverhalten von Polizisten überprüft, ließ letzte Woche durchblicken, dass seiner Meinung nach Polizist M. eine andere Wahl gehabt habe. Der Inspektor ist um einiges älter als der Polizist, der damals 22 Jahre alt und erst seit rund einem halben Jahr bei der Polizei war.

Der Prozess wird diese Woche fortgesetzt. Mit Aussagen der Zeugen und mit der Schilderung des Beschuldigten selbst.