DeutschlandEnergiekrise: Ampel-Regierung setzt 200 Mrd. Euro schweren Energiepreisdeckel ein

Deutschland / Energiekrise: Ampel-Regierung setzt 200 Mrd. Euro schweren Energiepreisdeckel ein
Wirtschaftsminister Robert Habeck (l.), Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner (r.) präsentierten gestern den neuen „Abwehrschirm“ der Koalitionsregierung gegen die Energiekrise Foto: John MacDougall/AFP

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Mit einem 200 Milliarden Euro schweren „Abwehrschirm“ will die Bundesregierung kraftvoll gegen den Energiepreiswucher angehen. Die Preise für Strom und Gas sollen gedeckelt werden, die umstrittene Gasumlage ist stattdessen passé. Das Ganze soll gelingen, ohne die Schuldenbremse erneut auszusetzen.

Die umstrittene Gasumlage ist Geschichte, die Gaspreisbremse kommt: Mit einem „Abwehrschirm“ über satte 200 Milliarden Euro will die Bundesregierung gegen die hohen Energiepreise angehen. Am Donnerstag stellten Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) die Pläne vor. „Die Preise müssen runter“, sagte der Kanzler, der wegen seiner Corona-Infektion virtuell zugeschaltet war. Zur geplanten Stützung der Energieversorgung und den Preisbremsen sagte Scholz: „Das ist ein Doppelwumms“. Die Details.

Wie funktioniert die Strom- und Gaspreisbremse? Im dritten Entlastungspaket hat die Bundesregierung bereits eine Strompreisbremse angekündigt. Danach soll den privaten Haushalten ein Basisverbrauch gutgeschrieben werden, für den sie einen vergünstigten Preis bekommen. Nur für das, was sie darüber hinaus verbrauchen, müssen sie den vollen Preis zahlen. An den Details arbeitet das Wirtschaftsministerium noch. Eine Idee ist es, den Haushalten 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs gutzuschreiben. Ähnliches ist nun beim Gaspreis geplant. Ende Oktober soll die vom Bund eingesetzte Gas-Kommission hierzu Vorschläge vorlegen. Die Stadtwerke warnen bereits, sie könnten keine personenscharfen Basisverbräuche festlegen.

Was wird aus Gasumlage und Mehrwertsteuer-Senkung? Die Umlage tritt nicht wie geplant am Samstag in Kraft, sondern wird gekippt. „Sie geht in die Annalen der Geschichte ein“, sagte Habeck. Sollte es bei einzelnen Versorgern schon Abzüge gegeben haben, müssten diese zurückgezahlt werden. „Die Senkung der Mehrwertsteuer bleibt aber erhalten und soll auch auf Fernwärmekunden ausgedehnt werden“, so Habeck weiter. Zum 1. Oktober sinkt die Steuer bei Gas von 19 auf sieben Prozent.

Wie soll das Ganze finanziert werden? Der „Abwehrschirm“ soll aus dem Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds (WSF) gespeist werden, den die Bundesregierung mit 200 Milliarden Euro ausstatten will. Die Summe soll über einen Kredit finanziert werden. Mit diesem Finanzvolumen werde man in der Lage sein, bis 2024 „die Aufgaben zu bewältigen, die jetzt vor uns stehen“, sagte Scholz. Zum Vergleich: In der Bankenkrise waren es 500 Milliarden Euro, in der Coronakrise 600 Milliarden. Lindner betonte: „Deutschland zeigt hier seine wirtschaftliche Schlagkraft in einem Energiekrieg.“

Was wird aus der Schuldenbremse? Der Finanzminister bedient sich eines alten Tricks und setzt auf ein neues Sondervermögen. Die Schuldenbremse soll weiterhin gelten. Lindner betonte, man schlage nicht den Weg einer „expansiven Fiskalpolitik“ ein. „Aus diesem Grund wählen wir ja das Instrument Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds mit einer klaren gesetzlichen Zielbestimmung auf Krisenbewältigung.“ Für den Bundeshaushalt 2023 und für die allgemeinen politischen Vorhaben gelte weiterhin die Regelgrenze der Schuldenbremse, so Lindner.

Gasverbrauch höher als im Vorjahr

Wie werden Uniper und andere wichtige Versorger gerettet? Die Gasumlage ist vom Tisch. Stattdessen will der Staat großen Gasimporteuren Uniper, Sefe/Gazprom Germania und VNG direkt helfen. Besonders bei Uniper drängt die Zeit: Das Unternehmen macht jeden Tag einen Verlust von mehr als 100 Millionen Euro. Die Verstaatlichung dauert aber laut Habeck noch drei Monate. Dafür gibt es womöglich eine weitere Ausweitung der KfW-Kreditlinie.

Reichen die Gasspeicher? Nein. Sie sind zwar aktuell zu über 90 Prozent gefüllt. Doch sie decken nur ein Viertel des deutschen Bedarfs. Habeck appellierte: „Die Verbräuche müssen runtergehen.“ Man werde nicht den Spitzenverbrauch bei Energie subventionieren. Die Bundesnetzagentur sieht mit Sorge, dass in den vergangenen kalten Tagen der Gasverbrauch in die Höhe geschnellt ist und 20 Prozent über dem Vorjahreswert liegt.

Wie sind die Reaktionen aus dem Parlament? Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge stellte den „Abwehrschirm“ als entscheidenden Schritt gegen eine schwere Wirtschaftskrise in Deutschland dar. „Das ist ein starkes Zeichen, dass die Ampel in dieser Krise handlungsfähig ist“, sagte Dröge dem Tageblatt. Wirtschaftspolitisch sei die wichtigste Aufgabe, eine „tiefgreifende Wirtschaftskrise in Deutschland“ zu verhindern. „Die angekündigten Hilfen bei den hohen Preisen für Energie sind dabei entscheidend.“ FDP-Fraktionschef Christian Dürr betonte erneut das Festhalten an der Schuldenbremse. Man werde den WSF mit zusätzlichen Kreditermächtigungen in Höhe von 200 Milliarden Euro ausstatten. „Dadurch entlasten wir, ohne die Schuldenbremse auszusetzen und ohne die Inflation anzuheizen – und verteidigen zugleich die wirtschaftliche Substanz unseres Wohlstands“, so der FDP-Politiker. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch begrüßte, dass es nun mehr Sicherheit für Bürger und Wirtschaft gibt. „Der von der Ampel beschlossene Abwehrschirm ist wichtiges und notwendiges Signal, das Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen die dringend nötige Sicherheit gibt“, sagte Miersch dem Tageblatt. Es sei gut, dass die Expertenkommission nicht mehr über das Ob, sondern das Wie einer Energiepreisbremse diskutiere.