Endstation Südpol: Ein Luxemburger Extremsportler auf der Mission seines Lebens

Endstation Südpol: Ein Luxemburger Extremsportler auf der Mission seines Lebens

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Wenn sich Patrick Peters nicht gerade um seine Patienten oder seine Familie kümmert, trotzt er höchstwahrscheinlich gerade dem rauen Klima der Polarregionen. Sein nächstes Projekt: Bis zum Südpol reisen. Getrieben wird er nur von seiner Muskelkraft – und vom Wind. 

Von Steve Peffer

Der 53-jährige Patrick Peters aus Dippach ist ein Sportler der besonderen Art. Auf wagemutigen Expeditionen schleppt er sich und seine Ausrüstung kilometerweit durch die kältesten Regionen der Welt und stellt dabei immer wieder seine Disziplin auf die Probe. Am Donnerstag begann für ihn sein bisher anspruchsvollstes Abenteuer, das ihn vier Wochen durch die frostige Einöde Grönlands führen wird. Es ist die letzte Prüfung vor dem eigentlichen Ziel: dem Südpol. Diesen zu erreichen, würde für Patrick Peters die Erfüllung eines Lebenstraums bedeuten – hiermit wäre er wahrhaftig ein Beweis dafür, dass man mit Beharrlichkeit und Zielbewusstsein das Unmögliche schaffen kann.

Der Kampf gegen die Naturgewalten ist seit jeher ein untrennbarer Teil von Peters’ Leben. Bereits in seiner Kindheit und Jugend trieb es ihn in die Berge – und auch als Student verbrachte er viele Wochenenden damit, die Alpen zu bezwingen. Irgendwann kam der Wunsch nach einer neuen Herausforderung: die Messlatte höher zu legen, abseits vom Alltagstourismus. Auf einer geführten Skiwanderung durch das schwedische Lappland schnupperte Peters im Jahr 2002 zum ersten Mal Polarluft. Sie entfesselte in ihm eine neue Leidenschaft: das ewige Eis.

Nur ein Jahr später war er der erste Luxemburger auf dem Nordpol. Seither zieht es den lizenzierten Bergführer und Orthopäden fast jährlich in Gebiete, an denen Minusgrade herrschen, sei es für einen vergnüglichen Skiurlaub mit Frau und Kindern oder – wie jetzt – für eine gefährliche Expedition, die einem das volle Leistungsvermögen abverlangt. Gemeint ist die Süd-Nord-Durchquerung der größten Insel der Welt von Narsarsuaq nach Quaanaag. Laut Plan wird Peters innerhalb von vier Wochen mit seinem Team 2.300 Kilometer bei Temperaturen von weit unter dem Gefrierpunkt zurücklegen – und das nur mithilfe von Wind- und Muskelkraft.

Morgens zwischen 6 und 7 Uhr klingelt der Wecker. Der Tag beginnt erst einmal damit, die Zeltinnenwände von gefrorenem Tau zu befreien. Anschließend werden die Schlafsäcke zusammengepackt und ein Brenner angelassen, mit dem das Frühstück zubereitet wird. Auf dem Speiseplan steht ein Brei aus Butter und Getreideflocken oder ein Müsli. Nur manchmal darf man sich Eier und Speck gönnen. Zum Trinken gibt es Kaffee auf Basis von geschmolzenem Schnee, denn Wasservorräte von zu Hause mitzubringen, wäre eine unnötige Last – das Wasser würde ohnehin gefrieren.

„Wenn man es vorher abkocht, kann man das Schneewasser bedenkenlos trinken. Im Grunde genommen könnte man es auch so zu sich nehmen, denn in dieser Eiseskälte gibt es keine Bakterien“, erläutert Peters. Nach einem sättigenden Mahl wird sogleich das Zelt abgebaut und die Ausrüstung zur Fortbewegung vorbereitet. Zwischen Aufstehen und Aufbruch sollen nicht mehr als zwei Stunden vergehen, so will es der strenge Zeitplan.

Die kleinen Notwendigkeiten

Über zweitausend Kilometer durch eine nahezu endlose Schneewüste mit bis zu hundert Kilo Gepäck im Schlepptau – diesen Weg ausschließlich zu Fuß in Angriff nehmen zu wollen, wäre unklug. Schließlich hat man in einem weiten, offenen Areal ohne vertikale Barrieren einen hilfreichen Gefährten, nämlich den Wind. Dieser erlaubt es, sich mit einem sogenannten Kite fortzubewegen. Hierbei handelt es sich um eine Art Drachen mit einer Oberfläche von zwischen 5 und 12 Quadratmetern, der am Rumpf befestigt wird und den Träger in Windrichtung nach vorne zieht – wie bei einem Segelschiff. „Hat man nicht gerade Rückenwind, dann muss man sich im Zickzack auf das Ziel zubewegen. Je nach Windgeschwindigkeit und -richtung kann einem dieser Prozess viel Geduld und Durchhaltevermögen abverlangen – doch Hauptsache, man kommt voran.“ In Momenten absoluter Windstille erfolgt der Fortgang zeitweilig auf Schusters Rappen, jedoch stets mit Skiern als Unterlage.

Die Kite-Session wird in mehrere Intervalle von jeweils zwei Stunden aufgeteilt, dazwischen werden Pausen eingelegt, in denen eine Zwischenmahlzeit gegessen werden kann. Patrick Peters nennt das „stuff your face“, denn es geht darum, sehr kalorienreiche Nahrung in kurzer Zeit zu sich zu nehmen. „Ich nehme hierfür gerne Marshmallows. Das ist zwar purer Zucker, aber in einer solchen Situation genau das, was ich brauche.“ Als Alternative bieten sich auch gewürzte Salamistückchen an. Hauptsache, es schmeckt und liefert Energie.

Auch im ewigen Eis muss der Mensch seine täglichen Bedürfnisse stillen. Wie erledigt man eigentlich sein Geschäft bei Minusgraden? In kilometerweiter Entfernung zur Zivilisation ist schließlich nirgendwo ein Klo aufzufinden. „Wasserlassen und Stuhlgang erfolgt stets mit dem Rücken zum Wind, wenn möglich in Deckung. Man schaufelt einfach eine Grube in den Schnee, erledigt sein Geschäft und schaufelt sie wieder zu.“ Ganz unverblümt. Zum Saubermachen werden feuchte Tücher verwendet, die nach der Benutzung verbrannt werden. Den Körper reinigt man ebenso mit feuchten Tüchern, denn Duschen ist in der Einöde unmöglich. Die Haut kommt jedoch längere Zeit auch ohne Wasser und Seife aus.

Empfindliche Körperstellen wie Achseln und Leiste, die dauerhafter Reibung ausgesetzt sind, werden mit einer Fettcreme eingerieben, um Entzündungen vorzubeugen.
Schlafen ist ebenfalls ein wenig komplizierter als zu Hause. Als Schlafunterlage dienen eine Isolier- und eine Daunenmatte, dazu ein sogenannter Mumienschlafsack, der lediglich Augen und Nase freilässt. Je nach Modell hält ein solcher seinen Benutzer sogar bei unter -40 Grad mollig warm. Dies wird allerdings zum Problem, wenn es nicht kalt genug ist. Geschlafen wird daher in Unterwäsche und falls notwendig lässt man den Schlafsack sogar zum Durchlüften teilweise offen.

Dank vergleichbarer Topografie bietet die Grönland-Traverse eine ausgezeichnete Vorbereitung auf die Antarktis-Expedition, die Peters spätestens 2021 unternehmen möchte. Klimatisch herrschen jedoch viel extremere Bedingungen, sprich Temperaturen bis zu -40 Grad bei Sturmwind mit einer Spitzengeschwindigkeit von 100 Stundenkilometern.

Um in einem solchen Umfeld zu überleben, muss alles bis ins kleinste Detail vorbereitet werden. Dazu stetiger Kontakt mit jeweils einer Außenbasis am Start- und Endpunkt der Odyssee, einwandfreies und bewährtes Equipment und natürlich jahrelanges physisches und mentales Training. Von der russischen Forschungsstation Nowolasarewskaja an der antarktischen Küste aus werden sich Peters und sein Begleiter auf den 2.000 Kilometer langen Weg zum südlichsten Punkt der Erde machen. Danach folgen weitere 1.200 Kilometer zum Union-Gletscher.

Kein leichtes Unterfangen – und dessen ist sich der Extremsportler sehr wohl bewusst. Doch für ihn bedeutet das Erreichen des Südpols mehr als bloß Nervenkitzel. „Ich möchte anderen ein Vorbild sein und zeigen, zu welchen Meisterleistungen der menschliche Geist fähig ist. Wenn ich es mit Mitte 50 schaffe, das lebensfeindlichste Umfeld auf der Erde zu durchqueren, dann gelingt es jüngeren Menschen auch, ihren Lebensweg zu meistern und ihre Träume zu verwirklichen. Aber dafür muss man nun mal gegen den Strom schwimmen.“

Selbst nach der Rückkehr aus der Antarktis kann sich Peters nicht vorstellen, den Ruhestand anzutreten. Was er dann wohl vorhat? „Dann gönne ich mir erst einmal ein extragroßes Stück Rhabarbertorte von meiner Frau. Ich glaube, das habe ich mir dann redlich verdient“, meint Peters und lacht.