Elektrisch und gratis: Differdingen ist ein Pionier des öffentlichen Transports in Luxemburg

Elektrisch und gratis: Differdingen ist ein Pionier des öffentlichen Transports in Luxemburg

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Der Bus summt leise heran. Und stinken tut er auch nicht. Denn der Diffbus funktioniert seit zwei Jahren rein elektrisch. Und gratis ist er obendrein. Damit spielt der öffentliche Verkehr (ÖV) der Gemeinde Differdingen eine Vorreiterrolle. Wir unterhielten uns mit Bürgermeister Roberto Traversini („déi gréng“) sowie mit Georges Hilbert, dem beim Busunternehmen Sales-Lentz für die gesamte Fahrzeugflotte verantwortlichen Ingenieur und Generaldirektor.

Differdingen, die einst stolze „Cité du fer“, befand sich seit der Stahlkrise 1973 auf dem absteigenden Ast. Zwar ebbte der Absatz der berühmten Grey-Träger auf den Weltmärkten nie ab, doch mit der Schließung der letzten Minettegrube und der Verschrottung der Hochöfen und des Blasstahlwerkes schien die einst stolze Gemeinde ihre Seele verloren zu haben.

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Lesen Sie zum Thema auch unseren Kommentar.

Das langsame Dahinsiechen von Luxemburgs drittgrößter Stadt war nicht zu übersehen.
Doch die Stadt des Eisens erwacht offenbar wieder zu neuem Leben. Wozu nicht zuletzt die Schaffung eines gemeindeinternen Busnetzes beigetragen hat, welches die Ortsteile Oberkorn, Fousbann, Differdingen und Niederkorn engmaschig erschließt und untereinander verbindet.

Es war der liberale Bürgermeister (und heutige Bildungsminister) Claude Meisch, der 2003 den „Diffbus“ einführte, welcher landesweit für Aufsehen sorgte, vor allem weil er gratis verkehrte. Aber auch weil er nicht von dem in öffentlicher Hand befindlichen regionalen Bussyndikat TICE („Transport intercommunal de personnes dans le canton d’Esch-sur-Alzette“) betrieben wurde. Sondern vom Privatunternehmen Sales-Lentz.

 

Ein Diffbus „tankt“ am Niederkorner Spital. Das automatisch ausgeführte Laden dauert je nach Bedarf drei bis sechs Minuten – bei einer Ladeleistung von bis zu 300 kW und einer Stromstärke von bis zu 400 Ampere. Der Stromabnehmer (rot) ist nicht am Bus, sondern am Lademast angebracht.

Meischs Amtsnachfolger Roberto Traversini ist seit 2005 Gemeinderatsmitglied und seit 2014 Bürgermeister. Das Projekt Diffbus genoss für ihn von Anfang an Priorität. Im Mai 2017 konnte endlich die Umrüstung der Flotte auf Elektrofahrzeuge verwirklicht werden. Auf die Frage „et si c’était à refaire?“ antwortet Roberto Traversini, dass er den seit 2003 eingeschlagenen Weg jederzeit wieder gehen würde: „Sofort! Die Bürger haben gemerkt, dass der Diffbus die Lebensqualität in den Stadtvierteln deutlich verbessert hat. Er war einer der Faktoren, die dazu beitrugen, dass Claude Meisch bei den Gemeindewahlen 2005 ein Bombenresultat einfahren konnte. Nachdem diese Stadt 20 Jahre lang geschlafen hatte, entstand hier wieder eine neue Dynamik. Hierzu gehören selbstverständlich auch die Neugestaltung des Stadtzentrums, des Spitals oder des Schwimmbades.“

Als die wiedergewählte Regierungskoalition im vergangenen Herbst ankündigte, den ÖV auf Landesebene kostenlos anzubieten, malten zahlreiche Gegner des Projektes den Teufel an die Wand. „Was nichts kostet, wird auch nicht respektiert“, lautet einer der Haupteinwände. Doch in Differdingen konnte man keinerlei Zusammenhang zwischen Gratisangebot und Vandalismus feststellen.

Mit Watt und Volt für Klima und Lebensqualität: Roberto Traversini und Georges Hilbert sind stolz auf ihre Partnerschaft mit der schwedischen Volvo Bus Corporation.

Für Traversini ist das u.a. dadurch zu erklären, dass es sich beim Diffbus um einen City-Bus, einen „bus de proximité“ handelt, der hauptsächlich von Stammkunden benutzt wird. Was eben auch zu einer gewissen sozialen Kontrolle führt. Georges Hilbert kann ebenfalls keinerlei Zusammenhang zwischen Gratis-ÖV und asozialem Verhalten erkennen. Überhaupt sei das Problem in Luxemburg im Vergleich zur Großregion ziemlich gering. Es gebe im ganzen Land keine Linie und kein Stadtviertel, das in dieser Hinsicht besonders negativ auffallen würde. Wenn man dem Publikum modernes, sauberes, komfortables und zuverlässiges Material anbiete, werde dies offensichtlich auch respektiert.

Im Mai 2017 wurde der Diffbus-Fuhrpark auf vier Volvo-Busse vom Typ 7900 electric umgestellt. Gemeinde und Sales-Lentz wurden damit zu Pionieren. Heute, fast zwei Jahre danach, bietet sich die Gelegenheit, eine erste Bilanz zu ziehen. Für Hilbert gibt es keinen Zweifel daran, dass auch die Qualität des neuen Materials neue Kundschaft gebracht hat. „Davon abgesehen hat wirklich jeder Bürger der Stadt etwas davon, wenn die Busse ohne Lärm und Abgase verkehren.“

Roberto Traversini fügt hinzu, dass die Gemeinde sich schon sieben Jahre vor der tatsächlichen Einführung der Elektro-Traktion auf dem Markt umschaute. Die Technik war für den tagtäglichen Linienverkehr damals allerdings noch nicht reif. Er gibt zu bedenken, dass die Gemeinde ebenfalls die erforderliche Infrastruktur, wie z.B. die beiden Ladestationen beim Park Gerlache und dem CHEM in Niederkorn, bereitstellen musste. „Eine Elektrobusflotte in Betrieb nehmen ist ja nun doch etwas ganz anderes, als wenn man ein Bügeleisen ans Netz hängt!“

Traversini gesteht freimütig, dass er den Elektrobus noch vor den Gemeindewahlen 2017 im täglichen Einsatz sehen wollte: „Wir wollten den Bürgern dadurch zeigen, dass wir innovativ sind und hierfür kalkulierte Risiken in Kauf zu nehmen bereit sind.“

Mit Strom aus erneuerbaren Quellen

Georges Hilbert weist auf die weltweite Vorreiterrolle von Sales-Lentz auch auf dem Gebiet der Hybridbusse hin: „Wir setzten im Jahre 2009 den allerersten Volvo-Hybridbus im Liniendienst ein. Die Schweden haben bereits angefragt, ob sie dieses Exemplar nach seiner Außerdienststellung für ihr Betriebsmuseum in Göteborg haben können.“

Hilbert gibt zu bedenken, dass Differdingen im Rahmen seiner Ausschreibung – denn sämtliche Diffbus-Aufträge werden selbstverständlich öffentlich ausgeschrieben – keinen befristeten Testbetrieb wünschte, sondern vielmehr gleich die definitive Umstellung des gesamten Verkehrs auf Elektrobusse.

Und tatsächlich: In Fachkreisen hat das Beispiel Differdingen für Aufsehen gesorgt. „Wir empfangen regelmäßig ausländische Delegationen, die sich den Betrieb mit eigenen Augen ansehen wollen. Wir hatten sogar schon Gäste aus Neuseeland hier“, so Traversini. Hilbert ergänzt, dass auch die Firma Heliox, welche die Ladestationen aufgebaut hat, immer wieder potenzielle Kunden nach Differdingen bringt, während ausländische Busunternehmen auch ganz gerne in den Ateliers von Sales-Lentz in Bascharage, wo die Diffbusse beheimatet sind, den Volvos „unter die Haube“ schauen. „Manche Interessenten melden sich auch spontan bei uns, nachdem sie den Fahrbetrieb in Differdingen inkognito ausprobiert haben.“

Roberto Traversini bestätigt, dass seine Busse, genauso wie die CFL-Züge und die Luxtrams, mit Strom aus erneuerbaren Quellen gespeist werden. „Das gilt aber ebenso für die gemeindeeigenen Gebäude und Installationen. Zudem betreiben wir elektrische Kehrmaschinen und Dienstautos, während die Müllabfuhr demnächst auf Strom umgestellt wird.“

In den Straßen Differdingens verkehren im Auftrag der Gemeinde derzeit elektrische Schulbusse, ebenfalls in den Farben von Sales-Lentz. Georges Hilbert erläutert, dass diese vom chinesischen Fabrikanten BYD stammen, dem größten Elektrobus-Hersteller der Welt, der u.a. im Begriff ist, 37 rote Doppeldecker-Elektrobusse an „Transport for London“ zu liefern.

Bei den BYD-Bussen handelt es sich aber vorläufig nur um einen Test. Europäische Hersteller haben, so Hilbert, aktuell kein im gleichen Ausmaß für Schulkinder geeignetes Fahrzeug im Angebot.

Die BYD-Busse werden nachts im Depot aufgeladen, weil sie täglich nur Laufleistungen von 150 Kilometern erbringen müssen. Jeder Diffbus läuft dagegen tagein, tagaus 250 km. Hinzu kommt, dass alle 500 Meter an den Haltestellen drei Türen geöffnet werden, wodurch enorm viel Heizungs- oder Kühlungsenergie verloren geht. „Im Sommer braucht ein Elektro-Stadtbus mehr Strom für die Klimatisierung des Fahrgastraumes als für die reine Fortbewegung“, wie Hilbert erklärt. Deshalb werden sie während jeder Fahrt einmal an einer der beiden Ladestationen drei bis sechs Minuten lang „aufgetankt“.

Was aber nichts daran ändert, dass die Elektromotorisierung über einen Wirkungsgrad von gut 80 Prozent verfügt, während sich selbst die effizientesten Verbrennungsmotoren mit rund 20 Prozent begnügen müssen.

Laut Georges Hilbert werden in Differdingen durch den Einsatz der Elektrobusse jährlich rund 96.000 Liter Dieselkraftstoff eingespart. Dies im Vergleich zu 12-m-Dieselfahrzeugen der aktuellen Euro-6-Norm. Alles in Butter ist aber dennoch nicht mit der Elektromotorisierung. Besonders der Abbau der für die Batterien erforderlichen Rohstoffe erweist sich mancherorts als schädlich für Mensch und Umwelt.

„Da ist noch manches verbesserungswürdig, da sollte man nichts schönreden“, gibt Traversini offen zu. Er gibt aber zu bedenken, dass auch in diesem Sektor Technik und Prozeduren rasch voranschreiten. In der Tat haben sowohl Volvo wie BYD in ihren Batterien die positive Elektrode aus Lithium-Cobaltdioxid (LiCoO2) bereits durch eine solche aus Lithium-Eisenphosphat (LiFePO4) ersetzt.

In der Summe würden, so Traversini, die Vorteile der Elektromotorisierung bereits jetzt deren Nachteile klar überwiegen. Es sei aber nicht verwunderlich, dass die Verbrennungsmotoren-Lobby die elektrische Alternative mieszumachen versuche.
Diese Kreise würden allerdings auffälligerweise nie von jenen Menschen reden, die der von Verbrennungsmotoren verursachten Luftverschmutzung zum Opfer fallen. „Doch hoffentlich erreicht die Brennstoffzelle in absehbarer Zukunft ihre Alltagstauglichkeit, dann ist das Problem der Batterien eh gelöst.“

Genau genommen ist in Differdingen nur der ÖV innerhalb der Agglomeration elektrifiziert. Der TICE setzt auf der lokalen Linie 6 nach Lasauvage weiterhin konventionelle Busse ein, die aber mit Erdgas betrieben werden. Welches immerhin der klimafreundlichste unter den fossilen Brennstoffen ist.

Roberto Traversini hat aber die Hoffnung nicht aufgegeben, dass er bzw. Schöffe Georges Liesch („déi gréng“), der Differdinger Vertreter im TICE-Verwaltungsrat, das Syndikat doch noch dazu breitschlagen kann, auch die Linie 6 zu elektrifizieren. Auf die Frage, wie denn die Beziehungen zwischen Gemeinde und TICE seien, erklärt Traversini ohne Zögern „Exzellent!“

Mit der Einführung des landesweiten Gratis-ÖV werde sich die Gemeinde allerdings darauf einstellen müssen, dass ab dem Moment ein Teil der Diffbus-Kundschaft auf TICE, RGTR-Überlandbusse oder CFL umsteigen werde, da diese – im Gegensatz zu einem City-Bus – direktere und schnellere Verbindungen anbieten. „Sollte dies tatsächlich der Fall sein, werden wir das Diffbus-Angebot stellenweise reduzieren, da es natürlich für uns keinen Sinn macht, leere Diffbusse parallel zu den anderen Anbietern verkehren zu lassen.“ Doch sieht Traversini in dieser Neuausrichtung die Möglichkeit, dafür die ÖV-Anbindung an anderen Stellen zu verbessern oder überhaupt erst einzuführen.

Hier sei die Gemeinde entschlossen, in enger Abstimmung mit Sales-Lentz, noch vor dem Stichdatum 1. März 2020 mit einem Angebot bereitzustehen, das den veränderten Beförderungsbedürfnissen Rechnung trägt.

Jacques Zeyen
8. März 2019 - 15.20

Also. Geht doch. Bravo Déifferdang.