„Mann sein“ in der heutigen ZeitEine Psychologin spricht über Genderstereotypen und typische Bewältigungsstrategien

„Mann sein“ in der heutigen Zeit / Eine Psychologin spricht über Genderstereotypen und typische Bewältigungsstrategien
Jeder geht mit seinen Emotionen anders um Foto: Editpress/Isabella Finzi

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Vielen Menschen fallen zu dem Wort „Mann“ immer noch Attribute wie „beschützend“, „ehrgeizig“ und „unabhängig“ ein. Wie wirkt sich diese Auffassung von Männlichkeit auf die mentale Gesundheit des sogenannten starken Geschlechts aus? Ein Gespräch mit Psychologin Patricia Marques vom Düdelinger „Service suivi psycho-social“ über Genderstereotypen und typische Bewältigungsstrategien.

Tageblatt: Können zwei Frauen so wie wir beide überhaupt über die Psyche des Mannes reden und schreiben?

Patricia Marques: Die Geschlechter verbindet vieles. Die psychische Gesundheit ist etwas, das wir gemeinsam haben. Nur die Art, wie wir sie erleben und ausleben, ist ganz individuell. Auch unter Frauen ist dies ganz unterschiedlich. Bei vier Menschen mit Depressionen fällt die Erkrankung jeweils anders aus, genau wie die Art, damit umzugehen. Hier spielen viele Faktoren mit, beispielsweise die Erziehung, die Arbeitssituation oder die Unterstützung, die jemand erhält.

Wie wirkt sich das „Mann sein“ auf die psychische Gesundheit aus?

In unserer Gesellschaft existieren Genderstereotypen, wie eine Frau oder ein Mann zu funktionieren hat. Manchmal haben Männer Schwierigkeiten, Hilfe zu suchen, da sie in ihrer Rolle als Mann denken – oder in dem Glauben aufgewachsen sind, sie müssten alles alleine hinbekommen.

Welche Themen beschäftigen Männer besonders?

Bei meinem „service“ in der Stadtverwaltung kommen viele Orientierungsfragen auf, beispielsweise dazu, wie sich Betroffene in ihrer beruflichen Rolle und in der Rolle als Mann durchsetzen können. Doch vor allem werden Ängste angesprochen. Ängste sind generell sehr präsent in der Gesellschaft.

Positiv fällt auf, dass die Männer, die zu mir kommen, sich schon viele Gedanken gemacht haben. Sie können ihre Gefühle benennen oder haben ihre Situation bereits analysiert. Andere hingegen wissen selbst nicht, was sie plagt.

Die Psychologin Patricia Marques (33) steht den Angestellten der Stadtverwaltung bei Sorgen und Problemen zur Seite
Die Psychologin Patricia Marques (33) steht den Angestellten der Stadtverwaltung bei Sorgen und Problemen zur Seite Foto: Editpress/Tania Feller

Kommen mehr Männer oder Frauen zu Ihnen in den „Service psycho-social“?

Der „service“ besteht seit September 2019. Ich bin für die rund 650 Angestellten der Stadtverwaltung zuständig. Wenn das Personal Probleme hat, können wir eine Hilfestellung anbieten. Zu Beginn waren die Männer noch etwas zurückhaltender. Das hat sich mit der Zeit geändert: 48 Prozent der Anfragen kommen mittlerweile von Männern.

Macht es einen Unterschied, wenn eine Frau einen Mann psychologisch betreut?

Zu Beginn dachte ich, dass es einen Einfluss haben und auch mein junges Alter ein Faktor sein könnte. Ich muss sagen, bisher waren die Erfahrungen und das Feedback positiv. Die Männer können sich mir gegenüber öffnen, auch wenn es um intimere Themen geht.

Was hat das Geschlecht mit psychischer Gesundheit zu tun? 

Unbewusst bekommt jeder von uns durch die Erziehung einige Dogmen mit auf den Weg, wie er oder sie sich als Frau oder als Mann zu verhalten hat. Das prägt uns, selbst wenn wir uns dessen nicht bewusst sind. Der Junge wächst oft mit dem Gefühl auf, der Mann des Hauses oder des Betriebs sein zu müssen. Ich will das jedoch nicht verallgemeinern.

Hilfe annehmen ist eine Stärke. Vor diesem Schritt vergeht manchmal viel Zeit.

Patricia Marques, Psychologin

Leiden Männer weniger an depressiven Erkrankungen? Oder zeigen sie diese nur anders?

Jeder hat eine eigene Strategie, um mit der Situation umzugehen, egal ob Mann oder Frau. Vielleicht reden Männer weniger darüber und lenken sich mehr ab, etwa beim Sport. Sie versuchen ihr Verhalten besser unter Kontrolle zu bekommen. Sie kommen später in die Betreuung und weniger häufig als Frauen. Frauen drücken sich eher verbal aus. Doch natürlich gibt es auch Männer, die gerne über ihre Gefühle reden.

Wenn nun jemandem auffällt, dass mit einer Person im familiären Umfeld etwas nicht stimmt, was kann derjenige dann tun?

Das ist schwierig. Es gibt Menschen, die im Laufe ihrer Kindheit oder im Jugendalter nicht gelernt haben, ihre Gefühle in Wörtern auszudrücken. Das heißt, irgendetwas stimmt nicht, doch sie können es nicht benennen.

Einige haben auch Angst, Hilfe anzunehmen, da dies sonst heißt, dass sie es nicht alleine schaffen. Doch Hilfe annehmen ist eine Stärke. Vor diesem Schritt vergeht manchmal viel Zeit.

Es gibt mittlerweile viele Beratungsstellen, die auch extra für Männer zuständig sind, wie etwa den sozialen Dienst „Infomann“ oder den „Service à l’égalité des chances“, wo ebenfalls auf die jeweiligen Bedürfnisse geachtet wird.

Egal welches Geschlecht, die Corona-Krise hat bei uns allen das Leben auf den Kopf gestellt. Haben sich in den vergangenen Monaten mehr Menschen als sonst an Sie gewandt? 

Ich merke schon, dass – wie immer im Herbst – mehr Menschen zu mir kommen. Die Corona-Krise und die ständige Ungewissheit bedrücken zusätzlich, denn niemand kann sagen, wann dies ein Ende haben wird. Dann fallen die Hobbys, bei denen viele ihre Energie tanken, zum Teil weg. Diese Balance fehlt momentan.

Vieles ist kompliziert geworden, was vorher einfach war, wie etwa ein Restaurantbesuch. Dann haben wir die Einschränkungen, den Mund- und Nasenschutz, die Desinfektion der Hände: Es sind viele Fragen hinzugekommen, die wir uns vorher nicht stellen mussten.

Zur Person

Patricia Marques ist 33 Jahr alt und bezeichnet sich als eine echte Düdelingerin. Ihr „Service suivi psycho-social“ der Stadtverwaltung Düdelingen existiert seit September 2019. Sie ist für 650 Mitarbeiter zuständig. Für Marques ist es wichtig, einen guten Dienst zu leisten, da sie eine Art Kettenreaktion auslösen kann, erzählt sie: „Wenn es den Menschen auf der Arbeit gut geht, dann leisten sie eine gute Arbeit und das kommt der Stadt zugute.“ Und die Stadt Düdelingen sei ihr nicht egal. Solche Dienste wie ihr „Service suivi psycho-social“ werden laut Marques progressiv in vielen größeren Unternehmen eingeführt. Sie dienen den Mitarbeitern als Anlaufstelle für verschiedene Problematiken. Sie sollen auch präventive Maßnahmen für eine psychische Gesundheit auf der Arbeit fördern. Alle Beratungsgespräche werden vertraulich behandelt.

Im November war ein Forum zum Thema Männlichkeit und psychische Gesundheit geplant. Der Düdelinger „Service à l’égalité des chances” hat dies im Rahmen seines alljährlichen interkommunalen Zyklus „Les enjeux actuels de l’égalité” in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Bettemburg organisiert. Aufgrund der aktuellen Situation musste die Veranstaltung auf das nächste Jahr verschoben werden.