Ein stiller Wegbereiter: Vor 25 Jahren starb der luxemburgische Maler Emile Kirscht

Ein stiller Wegbereiter: Vor 25 Jahren starb der luxemburgische Maler Emile Kirscht

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So still und bescheiden Emile Kirscht als Mensch war, so dynamisch und kraftvoll war sein Werk. In seinem Atelier im Reihenhaus in Tetingen entstanden im Laufe der Jahrzehnte hunderte Arbeiten. Kleine Formate waren es meist, aber ganz große Kunst: Am heutigen Samstag (26. Oktober) ist es genau 25 Jahre her, dass er, einer der Wegbereiter der Moderne in Luxemburg, die Palette auf ewig beiseitelegte.

Von François Besch

Es gibt nur sehr wenige Künstler im Land, denen das Nationale Museum für Geschichte und Kunst (MNHA) bereits zu Lebzeiten eine Retrospektive gewidmet hat. Der am 11. Juni 1913 in Rümelingen geborene Emile Kirscht war einer von ihnen. Anlässlich seines 80. Geburtstags füllten seine „Kënnercher“, wie er selbst die von ihm geschaffenen Werke liebevoll nannte, gleich mehrere Säle des Museums auf dem hauptstädtischen Fischmarkt.

Es sollte der Höhepunkt seiner künstlerischen Karriere sein, die mehr als sechs Jahrzehnte zuvor begonnen hatte. Dass er nur ein Jahr später nicht mehr unter den Lebenden sein würde, ahnte damals wohl niemand, obwohl Familie und enge Freunde wussten, dass er gesundheitlich angeschlagen war. Als am 26. Oktober 1994 die Nachricht von seinem Tod die Runde machte – er starb im Escher Krankenhaus –, löste dies in der luxemburgischen Kunstszene große Bestürzung aus.

EXTRA: „Iconomaques“

Bei den „Iconomaques“ handelt es sich um eine 1954 gegründete Künstlergruppe, die den Stellenwert der Abstraktion im Land einen großen Schritt weiterbrachte. Zu den Gründungsmitgliedern zählten neben Emile Kirscht auch Joseph Probst, Colette Würth, Will Dahlem, Henri Dillenburg, François Gillen, Frantz Kinnen, Wenzel Profant, Michel Stoffel und Lucien Wercollier. Zeitgleich veranstaltete die Künstlergruppe im Juni 1954 Ausstellungen im MNHA in der Hauptstadt und im Rathaus in Esch. Kunstkritiker Lucien Kayser zufolge markierte diese Doppelausstellung die endgültige Ankunft der Modernen Kunst in Luxemburg. Nach einer zweiten gemeinsamen Ausstellung im Jahr 1959 wurden die Aktivitäten der Gruppe eingestellt.

Emile Kirscht wurde ein Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs als eines von sechs Kindern einer Rümelinger Arbeiterfamilie geboren. Als er gerade mal vier Jahre alt war, starb sein Vater. Dies zog als Konsequenz nach sich, dass der Nachwuchs so schnell wie möglich selbst arbeiten musste, um für das tägliche Brot zu sorgen. So wurde die Kindheit Kirschts jäh beendet. In einem Gespräch, das wir 1987 mit dem Künstler anlässlich der Erscheinung seiner von Guy Wagner und Léonce Koehnen herausgegebenen Monografie bei Editpress führten, hatte er uns erzählt, dass er bereits als Siebenjähriger eine Schreinerlehre beginnen musste.

Mit 14 Jahren trat er dann seine Arbeitsstelle bei Hadir (spätere Arbed) an, wo er bis zum Eintritt in den Ruhestand bleiben sollte. Etwa zeitgleich begann er zu zeichnen und zu malen. Emile Kirscht brachte sich als Autodidakt die Malerei selbst bei, startete zunächst figurativ, unter anderem mit Landschaftsbildern, Porträts und Stillleben. Im Laufe der folgenden Jahre sollte er sich schließlich der Abstraktion zuwenden und eines der Gründungsmitglieder der sogenannten „Iconomaques“ werden (siehe Infokasten).

Vom Figurativen zum Abstrakten

In einem Nachruf schrieb Guy Wagner (1938-2016), ein langjähriger Freund des Malers, am 27. Oktober 1994 im Tageblatt : „Emile Kirscht mußte ganz einfach, zu einem bestimmten Zeitpunkt in seiner künstlerischen Entwicklung, in die Dimensionen der Abstraktion vorstoßen, die soviel Freiheit versprechen aber ebensoviel inneren Zwang auferlegen, damit die Freiheit nicht zur ‚Losigkeit‘ (Beckett) ausartet. Emile Kirscht wußte um seine inneren Möglichkeiten, und, obschon er bis zur Zeit, da Robert Krieps erstmals Kulturminister war, auf drei Schichten arbeiten musste, ließ er nie in seinem Ringen um die Wahrheit der künstlerischen Aussage los. Nie. (…) Er wurde der freieste der Künstler.“

Diese „Freiheit“ fand ihren Ursprung im Jahr 1957, als in Kirschts Atelier im Dachgeschoss seines Wohnhauses die ersten abstrakten Werke entstanden. Ohne es zu ahnen, wurde der Künstler damit zu einer Art Leitfigur für viele andere. Wagner schreibt diesbezüglich: „Gerade er wurde für eine Anzahl von jüngeren Malern zu einem Vorbild, denn Lehrmeister wollte er nicht sein. Er sah sich immer als Lehrling, er, der Meister, der wahre Meister.“

„Kirscht-Museum“ in Tetingen vorgesehen

Obwohl Emile Kirscht in Rümelingen geboren wurde, erinnert bis heute nichts – nicht einmal ein Straßenname – an den großen Künstler. Dafür aber wird in der Nachbargemeinde, in der er viele Jahrzehnte lang lebte, schon bald ein kleines „Kirscht-Museum“ sein Oeuvre in Ehren halten. Im Zuge der Ausbau- und Umbauarbeiten an der „Schungfabrik“, die noch in diesem Jahr beginnen, wird unter anderem eine gut 145 Quadratmeter große Kunstgalerie entstehen.

Davon soll ein Teil einzig und allein Arbeiten von Emile Kirscht vorbehalten sein. Der Kayler Bürgermeister John Lorent hatte diesbezüglich in einem früheren Tageblatt -Gespräch hierzu erklärt: „Die Familie Haan-Duval hat uns 120 Arbeiten dieses bedeutenden Künstlers vermacht, unter der Bedingung, dass die Sammlung nicht ,auseinandergerissen‘ werden dürfe und regelmäßig der Öffentlichkeit zugängig gemacht werden müsse.“ Bis Ende 2021 sollen die Arbeiten beendet sein und die neuen Einrichtungen in Betrieb genommen werden können.

Schorsch
1. November 2019 - 10.09

Menschen die Grosses leisten und Meister auf ihrem Gebiet sind, zeichnen sich meistens durch ihre Bescheidenheit aus.