FußballEin seltener Einblick in den Profialltag des Nationalspielers Enes Mahmutovic

Fußball / Ein seltener Einblick in den Profialltag des Nationalspielers Enes Mahmutovic
Nur auf dem Platz brüllt Enes Mahmutovic wie ein Löwe Fotos: Jeff Lahr

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Von Enes Mahmutovic hört man nicht viel. Der Luxemburger Fußball-Nationalspieler meidet die Öffentlichkeit, lebt zurückgezogen und allein in Maastricht. Erst mit dem Überstreifen des Trikots kommt die andere Persönlichkeitsseite des MVV-Profis zum Vorschein. Dem Tageblatt gewährte der 22-Jährige am vergangenen Wochenende einen seltenen Einblick in Privatleben und Profialltag.

Woher seine Zurückhaltung kommt, wird deutlich, als die familiäre Unterstützung aus Esch die Rezeption eines Maastrichter Hotels betritt. Geduldig wartet der kleine Bruder auf das Ende des Interviews, um Enes zu begrüßen. Auf dem Rücken des Vaters prangt das Fola-Logo auf dem knallroten Rucksack. „Sie kommen zu jedem Heimspiel“, sagt Mahmutovic. Und begeben sich nach Schlusspfiff gleich wieder auf die Heimreise.

Als bodenständig ließe sich dieser kurze gemeinsame Auftritt des Luxemburger Mahmutovic-Trios zusammenfassen. Doch auch andere Werte haben für den 22-jährigen Profifußballer große Bedeutung: beispielsweise die Tatsache, dass er noch jedes Wochenende nachschaut, wie sich die ehemaligen Kollegen von der „Doyenne“ geschlagen haben. Der Nationalspieler weiß ganz genau, wem er den Sprung ins Profigeschäft zu verdanken hat. Sportdirektor Pascal Welter oder Vizepräsident Gilbert Goergen pflegen den Kontakt mit dem ehemaligen Fola-Defensivspezialisten, der das Kicken auf dem Galgenberg erlernte. „Als 16-Jähriger bin ich damals zur ersten Mannschaft gestoßen. Dort traf ich auf viele Ex-Profis mit Erfahrung. Trainer Jeff Strasser hat mir viel beigebracht. Diesen Klub trage ich in meinem Herzen.“

Bietet sich die Gelegenheit, fährt der 22-Jährige zurück in die Heimat. Ansonsten braucht er das eigene Auto in der 130.000-Einwohner-Stadt kaum. Seine Wohnung liegt fünf Minuten vom Stadiongelände entfernt. Obschon Mahmutovic die aktuelle Umgebung als „sehr schön“ bezeichnet und Valkenburg als tolles Ausflugsziel beschreibt, hat Ruhe in den eigenen vier Wänden höchste Priorität. Im Normalfall endet der offizielle Arbeitstag nach der morgendlichen Trainingseinheit gegen 13.00 Uhr. Reis und Nudeln sind die Speisen, die er mittlerweile selbst gerne zubereitet  – ansonsten steht ihm auch das gemeinsame Frühstück oder Mittagessen mit den Teamkollegen zur Verfügung. „Ich gehe nicht oft raus. Aber die Stadt ist klein und so kommt es, dass ich auch erkannt werde.“ Ruhe, Abkapselung: Mahmutovic bevorzugt es, den Rest des Tages allein in seiner Wohnung zu verbringen. Die Netflix-Serien „You“ oder „The Sinner“ waren zuletzt ausreichende Abwechslung vom Profialltag. Zieht es den jungen Fußballer doch nach draußen, sind die Gründe meist sportlicher Natur. „Dann gehe ich zum Fitness oder ins Schwimmbad.“

Die Schattenseiten

Auf dem Platz ist von dieser Reserviertheit nichts mehr zu spüren. Mahmutovic ist ein Platzhirsch in Maastricht. Laut- und zweikampfstark. Der Nationalspieler dirigiert eine Elf aus der zweiten niederländischen Liga. So will es sein türkischer Trainer Fuat Usta. „Ich muss ein Leader sein. Der Coach verlangt, dass ich die Mannschaft dirigiere. Zudem ist es hier so, dass sich die Innenverteidiger am Aufbauspiel beteiligen sollen und versuchen, den guten Pass nach vorne zu machen.“ Usta, vorher Assistenztrainer der türkischen Nationalauswahl, lotste neben dem Luxemburger u.a. auch den Deutsch-Türken Serhat Kot nach Maastricht. Ausgebildet bei Borussia Dortmund und Fenerbahçe, ist der Gleichaltrige einer der Teamkollegen, mit denen sich Mahmutovic auf einer Wellenlänge befindet. Nicht nur aufgrund der Sprache. Kot ist zum engen Vertrauten geworden und erscheint sichtlich interessiert mit dem Luxemburger zum Interviewtermin.

Beide haben bereits die Schattenseiten der Fußballerkarriere erlebt. Mahmutovic berichtet von den kurzen Einsatzzeiten des zentralen Mittelfeldspielers. In der dreijährigen Profilaufbahn hat auch der Innenverteidiger etliche Lehren ziehen müssen. Eine untergeordnete Rolle bei den Präferenzen der Trainer hatte zur Folge, dass sein erster Profiklub Middlesbrough den Defensivspezialisten gleich zweimal auslieh. „Das erste Mal war ich wirklich nicht begeistert. Ich wollte nicht nach Yeovil Town (4. Liga). Beim Debüt mit den Boro-Profis hatte ich gleich ein Tor gemacht und auch beim zweiten Spiel eine korrekte Leistung abgeliefert. Doch am letzten Tag der Transferperiode haben sie mich weggeschickt. Der Coach (Tony Pulis) hat mir deutlich gemacht, dass ich nicht spielen würde.“ 

Sechs Monate später kehrte er nach Middlesbrough zurück und erhielt im Sommer zum zweiten Mal den Rat, sich nach anderen Optionen umzusehen. Diesmal von Coach Jonathan Woodgate. „Ich hatte ein paar andere Optionen, in anderen Ländern.“ Er nennt Belgien und Frankreich in einem Atemzug. „Auch in den ersten Ligen. Doch Spielpraxis war für mich ausschlaggebend. Das Wichtigste in meinem Alter ist, zu spielen.“ So landete er mithilfe der Kontakte seines Managers in der niederländischen Studentenstadt. Bis Juni kickt Mahmutovic noch in der Provinz Limburg, danach wird entschieden, ob der englische Zweitligist von seinem Optionsrecht Gebrauch machen wird. 

Das Schaufenster

An diesem Punkt seiner Karriere will sich der zurückhaltende Profi nicht weiter über konkrete Zukunftspläne äußern. Wohin es ihn am Saisonende ziehe, sei nicht entschieden. Diese Gespräche seien die Rolle seines Agenten. Nur eines ist sicher: „Mein Plan ist es nicht, zu bleiben. Ich will auf einem höheren Level spielen.“ Auch im Fall eines Aufstiegs „müssten für eine weitere Saison hier noch einige Dinge geklärt werden“.

Mein Plan ist es nicht, zu bleiben. Ich will auf einem höheren Level spielen.

Enes Mahmutovic, MVV Maastricht

Umso wichtiger ist es, in den kommenden Monaten verletzungsfrei zu bleiben: „Es befinden sich immer wieder Scouts auf der Tribüne, da wir uns ja hier auch in Zentraleuropa befinden. Hoffentlich steche ich jemandem ins Auge.“ Die zweite Möglichkeit, sich für höhere Ziele zu bewerben, sind die Auftritte mit der Nationalmannschaft.
Im vergangenen Herbst wurde Mahmutovic nicht von Trainer Luc Holtz nominiert. Grund war ein Bänderriss im Fuß. Nach einer vielversprechenden Vorbereitung und der Gewissheit, das Vertrauen des Vereins gewonnen zu haben, erlitt der Verteidiger diese Verletzung im letzten Testspiel. Ein Rückschlag, der sich länger hinzog als erhofft: „Obwohl bei Transfermarkt etwas anderes steht, habe ich zu Beginn der Saison kein Spiel gemacht. Es handelte sich um einen Fehler im System. Ich bin zunächst von ein paar Wochen Verletzungspause ausgegangen. Im Endeffekt fand man bei der Kernspintomografie heraus, dass das Band im Fuß gerissen war. Die Heilung war wichtig, denn sonst kommt es an dieser Stelle immer wieder zu Komplikationen.“

So wartete Mahmutovic in seinem neuen Verein geduldig auf seine Chance. Mitte November war es so weit: Der in Pec (Ex-Jugoslawien) geborene Fußballspieler feierte seinen Einstand in den Niederlanden. „So kurz vor dem Saisonstart auszufallen, war hart, da der Verein mit mir geplant hatte.“ Der Weg zurück auf den Platz war steinig, denn in den ersten Begegnungen wurde der fehlende Rhythmus deutlich. Doch MVV Maastricht zählte auf seinen Hoffnungsträger – und ließ Mahmutovic die Zeit, die er brauchte. Seit November stand er vierzehn Mal in Folge über 90 Minuten auf dem Platz.

Luc Holtz, FLF-Nationaltrainer, erkundigt sich regelmäßig beim 1,90-m-Mann. „Für mich wäre es wichtig, ein paar Minuten gegen große Mannschaften antreten zu können“, sagt Mahmutovic – wohlwissend, dass Ende März Scouts und Späher aus aller Herren Länder bei den Testspielen in Montenegro und Zypern zuschauen werden. Den internationalen Durchbruch schaffte er nämlich auch auf diese Weise. Nach vier Begegnungen im Dress der U21 stellte Holtz den damals 18-Jährigen 2016 beim WM-Qualifikationsspiel gegen die Niederlande in der Startelf auf. Einige Wochen später beobachteten ihn daraufhin die englischen Transferexperten beim Meisterschaftsduell gegen Differdingen, luden ihn zum Test nach Middlesbrough ein – und die Karriere kam ins Rollen. 

Die englische Mentalität

Der Aufenthalt in England habe ihm viel gebracht, sagt der Fußballer. Knallhartes Verteidigen und Stellungsspiel waren die Tugenden, die man ihm dort eingetrichtert hat. Drei Gelbe Karten hat er zuletzt in der Keuken Kampioen Divisie kassiert, aber nicht wegen zu heftigen Einsteigens in die Zweikämpfe. „Zwei bekam ich wegen Meckerns. Das liegt an meiner englischen Mentalität. Ich kann das manchmal nicht kontrollieren.“ Für das Bestehen in Maastricht waren zunächst andere Qualitäten gefragt: „Hier wird das schöne Spiel bevorzugt.“ Nicht unbedingt zur Freude des Luxemburgers, der ganz offen zugibt, nicht immer mit Entscheidungen einzelner Mitspieler einverstanden zu sein. „Manchmal ist es besser, den Ball im Sechzehner ins Aus zu schießen, anstatt einen Fehler zu machen und deswegen Gegentreffer zu kassieren. Das ist uns schon ein paar Mal passiert …“ 

Zwei Gelbe bekam ich wegen Meckerns. Das liegt an meiner englischen Mentalität. Ich kann das manchmal nicht kontrollieren.

Enes Mahmutovic, MVV Maastricht

Nichtsdestotrotz träumt der Klub weiterhin vom Aufstieg in die erste Liga. An diesem Wochenende beginnt der Schlussspurt für das letzte Play-off-Ticket. Steht MVV Maastricht nach den nächsten acht Spielen als Gewinner der letzten Meisterschaftsserie ganz oben in der Tabelle, nimmt der Verein an der Finalrunde teil. Die Generalprobe am vergangenen Freitag gegen Den Bosch ging schief. Zweimal lag der Mahmutovic-Klub in Führung, um am Ende ohne Punkte vom Platz zu gehen. „Es ist nicht das erste Mal, dass wir den Sieg so leichtfertig aus den Händen geben. Es fehlt dem Team an Reife, um eine 2:1-Führung über die Runden zu bringen“, analysiert Mahmutovic trocken. Der 22-Jährige ist beim MVV zu einer Führungspersönlichkeit herangewachsen, der es zurzeit an Unterstützung auf dem Platz fehlt. „Das ist genau das Problem. Ich bin der Einzige, der die Mannschaft leitet.“

Ein bisschen van Dijk

Durch seine Größe und seinen lautstarken Auftritt ist der Luxemburger der Konkurrenz in den vergangenen Monaten aufgefallen. Bei jedem MVV-Eckball stürmt Mahmutovic in die gegnerische Gefahrenzone. „Manchmal habe ich dann sogar zwei Gegenspieler …“ In dieser Hinsicht dürfte es seinem Idol nicht besser ergehen. Mit seinen vier Toren hat Virgil van Dijk in den vergangenen Monaten erneut bewiesen, wie gefährlich Innenverteidiger sein können. Dass der niederländische Superstar ausgerechnet beim FC Liverpool unter Vertrag steht, ist bei Mahmutovics Vorliebe für die britische Einstellung wohl kein Zufall. „Ich kann mir nicht vorstellen, mein ganzes Leben lang in den Niederlanden zu spielen. Als Verteidiger hat man das Gefühl, dass es noch andere Dinge zu sehen gibt.“ Wie eben in Großbritannien. „Boro“ hat den FLF-Spieler jedenfalls nicht vergessen: „Sie waren bereits hier und werden noch mal ein paar Spiele beobachten.“ 

Dem Luxemburger bleiben noch ein paar Monate, um sich für höhere Aufgaben zu bewerben. Dass er alles in seiner Macht Stehende dafür getan hat, davon ist der Mann aus der Maastrichter Zentrale überzeugt. Begonnen hat es mit der Entscheidung, die Karriere einem Schulabschluss vorzuziehen. „Am Anfang konnte ich es nicht fassen, dass ich es geschafft habe. Ist man aber erst mal in dieser Welt drin, gewöhnt man sich relativ schnell daran.“ Genauso wie an Umzüge. Gegen eine weitere neue Erfahrung hat der 22-Jährige jedenfalls nichts einzuwenden.

Steckbrief

Enes Mahmutovic
Geboren am 22. Mai 1997 in Pec (Ex-Jugoslawien)
Position: Innenverteidiger
Nationalteam: 11 Einsätze. Erstes A-Länderspiel am 13. November 2016
Bisherige Vereine: Fola Esch, Middlesbrough U23, Yeovil Town (beide ENG), MVV Maastricht (NL)