Ein Pädagoge und Politologe erklärt, warum sich Jugendliche radikalisieren

Ein Pädagoge und Politologe erklärt, warum sich Jugendliche radikalisieren
Thomas Mücke, Pädagoge und Politologe, arbeitet seit 30 Jahren mit gefährdeten Jugendlichen. Radikalisierung kann man aufhalten, lautet seine Botschaft.  Foto: Editpress/Julien Garroy

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Wie kann man Jugendliche davor bewahren, extremistisch und gewalttätig  zu werden? Thomas Mücke, deutscher Pädagoge und Politologe, weiß, wovon er spricht. Seit 30 Jahren arbeitet er in dem Bereich. Seine Botschaft gestern anlässlich einer Konferenz in Mondorf lautete: „Redet miteinander und wehret den Anfängen!“


Dienstagabend (22.10.) im Kultur- und Bürgerzentrum in Mondorf. „Warum verliert die Gesellschaft junge Menschen an radikale Gruppen?“, lautet die Frage. Thomas Mücke gibt Antworten im Rahmen einer Konferenz, die von respect.lu organisiert wird. Die Lage heute sei ernst, aber nicht neu und auch nicht wirklich hoffnungslos, gibt er zu verstehen. Wichtig sei es aber, zuzuhören und zu reagieren. „Jeder hat das Recht, falsch zu denken“, sagt er. Zu meinen allerdings, die Gesellschaft müsse auch so denken oder müsse gar mittels Gewalt überzeugt werden, sei der eigentliche Fehler. Seit 30 Jahren widmet Mücke sein berufliches Schaffen der Arbeit mit gefährdeten Jugendlichen, die überzeugt sind oder waren, die Gesellschaft eines Besseren belehren zu müssen.


Radikalität gehört dazu


Radikalität an sich sei nicht verwerflich. Die Frauenbewegung, die Gewerkschaften oder die Studentenbewegung 1968 hätten ohne eine gewisse Radikalität nichts erreicht. Deshalb, so Thomas Mücke, sei Fundamentalismus oder Radikalismus hinnehmbar. Auch heute die von Klimaaktivisten, die ein Umdenken fordern. Nicht hinnehmbar sei dagegen Extremismus. Wer die Grundstrukturen unserer Gesellschaft, Menschenrechte oder Demokratie missachte und bereit sei, diese Werte zu bekämpfen – mit Gewalt –, sei auf dem falschen Weg. Dazu zählen zum Beispiel Menschen, die Ärzte töten, weil sie Abtreibungen vornehmen, Veganer, die Metzgereien zerstören, oder Islamisten, die in unserem Gesellschaftsmodell ein Werk des Teufels sehen. Neu sei das alles nicht, so Thomas Mücke. Auch die Rattenfänger, die ihre Opfer suchen und sie in den Extremismus treiben, würden nicht unbedingt nach neuen Methoden handeln. Sie würden dort fündig, wo Menschen, vorwiegend Jugendliche und junge Erwachsene, aufgrund unterschiedlichster Lebenssituationen verzweifelt seien. Von einem Tag auf den anderen würden solche Entwicklungen auch nicht geschehen. Deshalb sei es an der Gesellschaft zu beobachten, wo was geschieht, um dann zu reagieren und zu handeln. Wegsehen oder darüber hinwegsehen würde nichts bringen. Man müsse sich mit diesen Problemen auseinandersetzen. Wohl könne man nicht überall das Feuer löschen, doch wenn man nichts tue, entstünde ein Flächenbrand, der nicht mehr zu kontrollieren sei.


Flächenbrand verhindern


Die Gefahr eines solchen Flächenbrandes solle man weder unter- noch überschätzen. Sie sei immer dann größer, wenn der gesellschaftliche Zusammenhalt nicht mehr funktioniere, vor allem nicht mehr in der Mitte der Gesellschaft, so Thomas Mücke: „Wenn die Eltern zum Beispiel nicht mehr an die Demokratie glauben, dann sind die Jugendlichen besonders gefährdet, weil ihnen das gute Beispiel fehlt.“ Wenn dann auf den sozialen Netzwerken irgendwo stehe: Passt auf, haltet euch bereit, dann müsse man besonders wachsam sein, erklärt Mücke. Die gewaltbereite Szene existiere, egal auf welcher Seite, und diese Szene stehe auch unter Druck und müsse irgendwie handeln und am Tag X zeigen, dass es sie gibt. Da gelte es, vorzubeugen und einzuschreiten.

Thomas Mücke weiß, wovon er spricht. Seit 30 Jahren arbeitet er vorwiegend mit jungen Menschen, die in die Fänge der Radikalisierung geraten sind. Mit der Gesellschaft an sich habe das oft nichts zu tun, so Mücke. Es geht um junge Menschen, die Brüche in ihrem Lebenslauf und Situationen, mit denen sie nicht klarkommen, erleben und dann Hass entwickeln. Vor der Radikalisierung und dem Weg in den Extremismus gebe es immer einen „Schmerz“, sagt Mücke. Ein lebenseinschneidendes Erlebnis, ein Schicksalsschlag. Gekoppelt mit einer Lebenssituation, die nicht einfach ist. Arbeitslosigkeit oder Perspektivlosigkeit. Dann hängt es davon ab, wie die Gesellschaft um sie herum ist, wie tief die Verbundenheit zur Demokratie in dieser Gesellschaft ist. Wenn da große Ablehnung herrscht, dann sagen junge Leute:  „Ich mache ja nur das, was andere auch tun.“ Wenn junge Menschen dann abdriften, angezogen werden von Verführern, die eine bessere Welt versprechen, dann ist es nachher nicht einfach, sie zurückzuholen. Je länger sie in einer extremistischen Ideologie gefangen seien, beispielsweise in der des islamischen Staates umso schwieriger sei es, sie aus dieser Denkweise herauszuholen. Was kann man tun, fragt das Publikum in Mondorf. Wir interessieren uns oft zu wenig für das, was die jungen Leute beschäftigt und umtreibt, sagt Thomas Mücke. Viele junge Leute haben zu irgendeinem Moment ihres Lebens den Eindruck, dass sie alleine gelassen sind, niemanden zum Reden haben.

Dann würde Mücke zufolge die Stunde der Extremisten schlagen. Um diese jungen Menschen dann zurück in die Gesellschaft zu holen, würde es großer Anstrengung und viel Zeit benötigen. Vor allem ginge es dann darum, sie dazu anzuregen, wieder selbständig zu denken und vor allem zu zweifeln an dem, was andere sagen und vorgeben.

Vielleicht sollte man es gar nicht erst dazu kommen lassen, gibt Thomas Mücke zu verstehen. Man darf das als eine sehr positive Aufforderung verstehen, mehr miteinander zu reden und sich füreinander zu interessieren.

Foto: Editpress/Julien Garroy

Thomas Mücke, Pädagoge und Politologe, arbeitet seit 30 Jahren mit gefährdeten Jugendlichen. Radikalisierung kann man aufhalten, lautet seine Botschaft. 
Realist
24. Oktober 2019 - 22.12

Gelungen. Ech hun d'Berichterstattung iwwer dee Fall zimlech genee verfollegt a kommen zu aner Conclusiounen. Genee wi op d'mannst mol e franséische Minister och. Wat elo?

marc wollwert
24. Oktober 2019 - 20.11

esou ass et.de senn vun enger ziviliseierter gesellschaft ass jidfer bierger en eierbart liewen ze ermeiglechen.funktioneiert dat net,entstinn dei problemer dei verschidde laenner hunn.zu letzebuerg mat rekordimmigratioun funktioneiert dat zimlech gudd.dei eischt generatioun kennt heihinner fir stramm ze schaffen .hier kanner klammen dann schon oft erop an der hierarchie andem se beim staat oder parastaat a gemeng gudd bezuehlt,also voll integreiert,ennerkommen.

Garde-fou
24. Oktober 2019 - 17.17

Mais den Bierger just ëmmer méi Freiheeten eweg huelen an se ëmmer méi ze iwwerwachen, mam scheinbar gudden Grond, déi Zeeschen net ze verpassen fir soumadden eppes schlëmmes ze vermeiden ass een Trugschluss. Et muss Ursachenbekämpfung gemach ginn, net Symptombekämpfung. An et ass awer eben genee dat wat net geschitt...

Christophe
24. Oktober 2019 - 10.51

@mensch: genee!

Mensch
24. Oktober 2019 - 8.42

@ Realist. Wann een t'Informatiounen zu deem Fall analyséiert stellt é fest, dass di Sach zu Paräis näischt matt Radikalisatioun ze dinn hat, mee do hun gravéierend Problemer matt der Hierarchie eng Roll gespillt. Net fiir näischt hun sech an dësem Joër schon iwer 50 Polizisten a Frankräich embruët. Et gi Leit déi reagéieren ob Mobbing matt Selbstmord mee leider gin et och Leit déi bréngen dowéinst anerer ëm. Dëst soll keng Excuse fiir di schrecklech Dôt sin mee et ass einfach schrecklech ze gesin wéi di franséisch Autoritéiten all kéier islamesch Radikalisatioun an t'Spill bréngen wann en Täter zoufälleg e Viirnum huet deen "islamesch" kléngt. Dat nennt é staatlech organiséiert "incitation à la haine", well wann den Täter e "bon français" gewiëscht wäer dann hätten t'Autoritéiten e ganze Koup Excüse (schlëmm Kandheet, psychesch Problemer, ...) fonnt fiir dee schrecklechen Akt ze erklären. Leider hun awer vill franséisch "décideuren" bis haut t'Nidderlaag vun hiirer Grande Nation am Kolonialkrich géint Algerien net verdaut an hun dofiir en excessiven Haass géint den Islam - an dat ass schrecklech fiir di betraffe Leit aus der muslimescher communautéit a Frankräich.

Realist
23. Oktober 2019 - 15.35

@Mensch: Dir nennt et "islamophobescht Gebraddels", aner Leit nennen et "gesonde Mënscheverstand". Wann een di "signes de radicalisation" nëmmen an engem eenzege Fall, nämlech elo kierzlech beim Attentäter vun der Paräisser Police-Préfecture, fir eescht geholl hätt, da' kënnte 4 Mënschen nach liewen...

Mensch
23. Oktober 2019 - 10.02

E gudde Mann matt gesondem Mënscheverstand, den Häer Mücke. Do kéint den Häer Castagner, Inneminister aus dem Hexgôn, sech emol inspiréieren amplatz säin islamophobescht Gebraddels iwer "signes de radicalisation" vun sech ze gin wouduerch heen u Lächerlechkeet, Ignoranz an "incitation à la haine" net méi ze iwerbidden ass.

Jacques Zeyen
23. Oktober 2019 - 9.40

" wo Menschen, vorwiegend Jugendliche und junge Erwachsene, aufgrund unterschiedlichster Lebenssituationen verzweifelt seien. " Genau da liegt das Problem und jeder kennt es. Ein Adolf Hitler oder die Warlords in Afrika haben von der Misere profitiert um ihre kranken Ideen zu verwirklichen.Desgleichen natürlich für die religiösen Spinner die den Globus besiedeln. Wer wählt einen Donald Trump? Die Basis der Wählerschaft nennt man "White Trash"( Züricher Zeitung),Leute also die nichts mehr zu verlieren haben oder von Vorgängern enttäuscht wurden,um heute festzustellen,dass sich nichts geändert hat. Leichte Beute für Hassprediger,zumal bei Jugendlichen.