Ein Modell gegen alle Bedrohungen: Athletics Integrity Unit soll den sauberen Sport schützen

Ein Modell gegen alle Bedrohungen: Athletics Integrity Unit soll den sauberen Sport schützen

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Zahlreiche Skandale haben die Sportwelt in den vergangenen Jahren erschüttert. Die Verbände, die am meisten betroffen waren, haben mittlerweile reagiert. So wie der Internationale Leichtathletikverband, der 2017 die Athletics Integrity Unit gegründet hat. Eine Einheit gegen sämtliche Bedrohungen des sauberen Sports.

Lesen Sie zu diesem Thema auch den Kommentar von Chris Schleiner 

Mit der für Bahrain startenden Kenianerin Eunice Jepkirui Kirwa hat es diese Woche den nächsten Leichtathletik-Star erwischt. Die Marathon-Zweite der Olympischen Spiele 2016 wurde wegen EPO-Dopings für vier Jahre gesperrt.

Beben im Weltsport

Erst vergangene Woche wurde bei ihrem Bruder Strychnin nachgewiesen, er muss neun Monate aussetzen. Dies sind nur zwei von mittlerweile weit über 100 Sanktionen, die von der Athletics Integrity Unit (AIU) verhängt wurden. Die AIU ist eine unabhängige Instanz des internationalen Leichtathletik-Verbandes und soll, wie ihr Name bereits vermuten lässt, die Integrität der Leichtathletik wahren. Sie ist eine direkte Konsequenz aus dem russischen Dopingskandal.

Am 3. Dezember 2014 ging ein Beben durch den Weltsport. An dem Tag strahlte der deutsche Fernsehsender ARD die Dokumentation „Geheimsache Doping – Wie Russland seine Sieger macht“ aus. Die Enthüllungen über staatlich organisiertes Doping, die Manipulation von Proben und Korruption im großen Stil gingen um die Welt und blieben nicht ohne Folgen. Unabhängige Kommissionen, Verfahren vor dem Internationalen Sportgerichtshof, mehr oder weniger strikte Ausschlüsse von russischen Sportlern für Olympische Spiele, die Folgen des Skandals waren weitreichend.

Kein internationaler Sportverband stand im Zusammenhang mit dem russischen Dopingskandal so unter Druck wie der internationale Leichtathletik-Verband IAAF. Nicht nur russische Leichtathleten waren betroffen, sondern der Skandal reichte bis in die höchsten Verbandsstrukturen. Der 2015 abgetretene IAAF-Präsident Lamine Diack soll positive Dopingfälle gegen Geld vertuscht haben.

Fehlende Unabhängigkeit 

Gegen den mittlerweile 86jährigen Senegalesen, der in Frankreich unter Hausarrest steht, wird seit vier Jahren ermittelt. Allerdings nicht nur im Rahmen des russischen Dopingskandals. Diack soll in naher Zukunft der Prozess wegen Korruption und Geldwäsche gemacht werden.

Diacks Nachfolger an der Spitze der IAAF, Sebastian Coe, stand von Beginn an unter Zugzwang und musste handeln. Neben den Doping- und Korruptionsvorwürfen stand vor allem die fehlende Unabhängigkeit der Kontrollorgane in der Kritik. So hat die IAAF 2017 die Athletics Integrity Unit gegründet, um gegen sämtliche Bedrohungen des Sports vorzugehen: Doping, Manipulation, Korruption, Wettbetrug und so weiter. Mit dem konsequenten Ausschluss russischer Athleten von internationalen Wettbewerben sowie der Gründung der AIU wurde die IAAF vom Problem- zum Vorreiter-Verband.

„Der internationale Leichtathletikverband stand dermaßen unter Druck, dass er nichts anderes konnte, als eine unabhängige Einheit ins Leben zu rufen. Mit der AIU hat er in gewisser Weise die Flucht nach vorne angetreten“, sagt Dr. Anik Sax, Generalsekretärin der luxemburgischen Anti-Doping-Agentur ALAD.

Unabhängigkeit und Mitspracherecht

Der große Coup gelang der IAAF, indem er David Howman als Präsident für die neue Einheit gewann. Der Neuseeländer war 13 Jahre lang Generaldirektor
der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA und eine der wenigen Persönlichkeiten, die trotz aller Unzulänglichkeiten im Kampf gegen Doping immer als kompetent und integer wahrgenommen wurden.

„Ich musste den Job annehmen“, erklärt Howman gegenüber dem Tageblatt. „Als WADA-Direktor habe ich bereits im Jahr 2009 oder 2010 betont, dass man das Dopingproblem nicht isoliert betrachten sollte.“ Gestützt wird seine These einmal mehr durch den russischen Doping-Skandal, der bewiesen hat, dass Doping, Manipulation und Korruption Hand in Hand gehen.

Die AIU ist heute noch mit dem russischen Staatsdoping beschäftigt, auch wenn sie mittlerweile viele andere Fälle behandelt. Da sie nur über rund 15 feste Mitarbeiter verfügt, greift sie auf einen Pool von unabhängigen Experten zurück, die nach strengen Kriterien ausgesucht werden. Zu ihnen gehört Dr. Anik Sax. Sie hat sich gemeinsam mit zwei weiteren Experten mit dem Fall der botsuanischen 400-m-Läuferin Lydia Jele befasst, die wegen Dopings vier Jahre gesperrt wurde.

Vertrauen der Athleten

Für Sax, die jahrelang die Kommission der medizinischen Ausnahmegenehmigungen bei der WADA geleitet hat und bei großen Sportveranstaltungen als unabhängige Beobachterin im Einsatz gewesen ist, ist Unabhängigkeit eine wichtige Voraussetzung, um die Glaubwürdigkeit der Kontrollinstanzen des Sports wiederherzustellen. Sie lobt die Arbeitsweise der AIU als diskret und effizient. Mit David Howman stehe der richtige Mann an der Spitze der Integritätseinheit.

Der Neuseeländer weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig Unabhängigkeit ist und wie schwierig es ist, diese zu garantieren. „Die AIU wurde vom Internationalen Leichtathletikverband ins Leben gerufen und wird von ihr finanziert. Dennoch bleibt die AIU unabhängig. Ich sehe den IAAF-Präsidenten etwa zweimal jährlich. Weder er noch ein anderer IAAF-Funktionär hat je versucht, sich in unsere Arbeit einzumischen“, sagt Howman.

Neben der Unabhängigkeit gibt es einen zweiten wesentlichen Punkt: Damit eine Einheit wie die AIU erfolgreich arbeiten kann, braucht sie das Vertrauen der Athleten. „Dass irgendwelche Funktionäre den Sportlern sagen, was sie zu tun haben, funktioniert nicht. Wir versuchen, den Athleten zuzuhören und sie mit einzubeziehen“, betont Howman.
Vor allem im Bereich Prävention sei der Input der Sportler erforderlich. Das sieht Dr. Anik Sax ähnlich. Allerdings sei die Umsetzung nicht immer so einfach. In ihrer langjährigen Tätigkeit habe sie die Erfahrung gemacht, dass sich nur wenige Sportler aktiv im Kampf gegen Doping engagieren.

Doping- und Korruptionsskandalen

„Das hat ganz praktische Gründe. Das Leben als Hochleistungssportler ist extrem aufwendig, sodass den meisten einfach die Zeit fehlt, um sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen.“ Sax hat in letzter Zeit allerdings ein größeres Interesse unter den Sportlern feststellen können.

Das Modell der AIU habe durchaus Potenzial, um den Kampf gegen die Bedrohungen eines fairen sportlichen Wettkampfes voranzutreiben. Andere Verbände gehen einen ähnlichen Weg. Der Internationale Radsportverband hat bereits vor Jahren eine unabhängige Einheit gegründet, die sich allerdings ausschließlich mit den Dopingfällen befasst. Der Internationale Biathlonverband, der in den letzten Jahren sowohl mit Doping- als auch Korruptionsskandalen zu kämpfen hatte, ist ebenfalls dabei, eine unabhängige Integritätseinheit aufzubauen.

Momentan reagieren die Verbände, statt präventiv vorzugehen. Ob unabhängige Integritätseinheiten ein Modell für sämtliche Sportverbände sind, wagt Dr. Sax zu bezweifeln: „Eine solche Einheit benötigt Ressourcen und kostet Geld. Nicht jeder Verband kann sich das leisten.“

Ob die AIU als Vorbild für andere Sportverbände dienen kann, will Howman nicht beurteilen. „Ich bin mir bewusst, dass immer noch dopende Sportler Wettkämpfe gewinnen. Aber wir arbeiten hart daran, dies zu ändern.“ Dafür müsse man laut Howman aber mit allen Beteiligten eine ehrliche Grundsatzdebatte führen.