Coronavirus-KriseEin kleiner, aber äußerst systemrelevanter Wirtschaftssektor

Coronavirus-Krise / Ein kleiner, aber äußerst systemrelevanter Wirtschaftssektor
Die landwirtschaftliche Produktion läuft auch in Corona-Zeiten auf Hochtouren Foto: René Hoffmann

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Die Akteure in der Landwirtschaft dürfen in Corona-Zeiten quasi ungehindert weiterarbeiten. Die Höfe liefern weiter Milch, Fleisch, Obst und Gemüse. Da es derzeit jedoch weniger Abnehmer für die Erzeugnisse gibt, kommt es zur Überproduktion – mit direkten Auswirkungen auf die Preise. Doch nicht nur so bedroht Covid-19 momentan Landwirte: Im Krankheitsfall besteht ebenfalls das Risiko, dass der ganze Betrieb zum Stillstand kommt.

Guy Trierweiler (56) ist Landwirt aus Überzeugung. Er bewirtschaftet einen mehrere Hektar großen Milch- und Fleischbetrieb mit etwa 140 Tieren in Pratz. Seit dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie hat sich bei ihm viel verändert, während anderes noch wie gehabt läuft. Der landwirtschaftliche Betrieb ist beispielsweise nicht von größeren Einschränkungen betroffen: „Man riet uns nur, den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand von zwei Metern einzuhalten, sonst nichts“, so der Landwirt. Die Rinder werden versorgt, die Felder werden bestellt und es wird an den landwirtschaftlichen Maschinen geschraubt – wie sonst auch.

Überall sieht man dieser Tage Traktoren mit Güllefässern oder Düngerstreuern. Das ist darauf zurückzuführen, dass die Regierung Landwirte und Fachleute des Agrarsektors auch während der Pandemie weiterarbeiten lässt, um so die Lebensmittelversorgung zu garantieren. Die Grenzschließungen wirken sich auch nicht auf den Export und Import der landwirtschaftlichen Erzeugnisse aus. Für die Landwirte ist das äußerst wichtig: So werden Schlachtrinder und auch ein Großteil der hierzulande produzierten Milch ins Ausland gebracht, während Futtermittel beispielsweise importiert wird. Für die Spargelernte und Weinlese werden zudem Saisonarbeiter aus dem Ausland benötigt. Der Agrarsektor ist so systemrelevant wie schon lange nicht mehr.

Doch die Viruskrise trifft auch die Landwirte. Manche haben Schwierigkeiten in Bezug auf die Ernte. Frische Ware kommt nicht mehr so schnell bei den Kunden an. Viele Bauern sind derzeit zudem von Sorgen geplagt. „Was passiert, wenn ich an Covid-19 erkranke? Oder einer meiner Mitarbeiter?”, fragt sich Guy Trierweiler. In dem Fall müsste nämlich nicht nur die betroffene Person in Quarantäne, sondern auch ihr nahes Umfeld – dementsprechend droht dann Stillstand auf dem Hof.

Kritik von der Landwirtschaftskammer

Im Agrargesetz seien Hilfestellungen im Krankheitsfall garantiert, versucht ein Mitarbeiter des Agrarministeriums zu beschwichtigen. Unter anderem der Maschinen- und Betriebshilfsring (MBR) sei in dem Fall ein wichtiger Ansprechpartner. „Vier hauptberufliche Betriebshelfer sind für uns unterwegs. Zudem führen wir eine interne Liste von 100 weiteren Helfern, die wir im Bedarfsfall kontaktieren können“, erklärt dann auch MBR-Präsidentin Louise Frieseisen. Bei Letzteren handelt es sich um Personen, die selbst im Agrarsektor arbeiten, aber Zeit übrighaben und deshalb anderen Landwirten aushelfen möchten.

Seit dem Ausbruch der Corona-Krise führt MBR eine weitere Liste mit externen Helfern. Diese haben sich beim Agrarministerium oder auf „GovJobs“ eingeschrieben und werden auch vom MBR an die Betreibe, die Personal benötigen, weitervermittelt. Im Augenblick helfen neben den vier hauptberuflichen Mitarbeitern zwischen 10 und 15 Betriebshelfer auf den Höfen aus. „Eine Anfrage wegen Corona haben wir aber noch nicht erhalten“, so Louise Frieseisen. Neben den Helfern im Stall und auf der Weide bietet der MBR auch Finanzdienstleistungen an. Hier arbeitet die Hälfte des Büropersonals aufgrund der Viruskrise im Home-Office.

„Dass der MBR hilft, ist gut. Aber was passiert, wenn mehrere Betriebe vom Coronavirus betroffen sind? Auf den Höfen wird nämlich zunehmend Fachpersonal benötigt …“, gibt Guy Feyder, Präsident der Landwirtschaftskammer, zu bedenken. Er kritisiert, dass „außer der üblichen Hilfe“ keine weiteren Maßnahmen beschlossen wurden. Für die im Rahmen der Corona-Krise ausgearbeitete spezifische Unterstützung kämen die landwirtschaftlichen Betriebe nicht in Betracht, weil sie ihre Tätigkeit nicht einstellen können oder keine Handlungsermächtigung besitzen.

Preisverfall erwartet

Jetzt gehe es zuerst darum, durch gezielte Sicherheitsmaßnahmen krankheitsbedingte oder familiäre Arbeitsausfälle auf ein Minimum zu begrenzen, betont indes das Landwirtschaftsministerium. Es werde alles getan, um das Risiko einer Ansteckung zu minimieren. So müssen beispielsweise die Tierärzte und die Mitarbeiter von Convis (Genossenschaft für Tierzüchtung) strenge Auflagen einhalten – darunter fallen das Einhalten von Hygieneregeln (dem Tragen von Mundschutz und Handschuhen sowie dem Benutzen von Desinfektionsmitteln) und vom Sicherheitsabstand. Auch sollen sich nur im Notfall mehrere Personen im Stall aufhalten.

Trotz dieser Maßnahmen hält Unsicherheit Einzug in den gesamten Agrarbereich. Die Lieferungen an Horeca-Betriebe sind eingebrochen, sodass viele weiterverarbeitende Unternehmen Überkapazitäten beklagen. „Der Preisverfall kommt“, meint Guy Feyder in diesem Zusammenhang. Der Milchmarkt befinde sich wegen einer zu hohen Liefermenge im freien Fall. Einige Molkereien haben bereits angekündigt, die Abnahme sämtlicher Milch auf den Betrieben nicht mehr garantieren zu können. Am Anfang der Pandemie sei zudem noch ein Rush auf Fleischwaren festgestellt worden. „Danach ist der Verkauf auch hier eingebrochen“, so Feyder. Die Nachfrage sinke, und die Preise auch. Das bedeute einen Gewinnrückgang.

Schlecht steht es auch um den Weinhandel. „Die Winzer beklagen empfindliche Verluste, vor allem durch das Wegbrechen des Horeca-Sektors”, erklärt Feyder. Vielen Obst- und Gemüsebauern geht es genauso. Eine Normalisierung der Märkte benötige viel Zeit, so der Präsident der „Chambre d’agriculture“. Zuverlässige Zahlen werde man erst in einem bis zwei Monaten erhalten. Dann seien Gespräche über etwaige Hilfspakete für die Landwirtschaft unumgänglich.

„Kauft regional!“

Um die Landwirtschaft zu unterstützen, wurden Hilfsprogramme verabschiedet. Es gehe vor allem darum, Liquiditätsprobleme bei den Betrieben zu vermeiden, betont ein Mitarbeiter des Landwirtschaftsministeriums. Die Fristen für das Einreichen mehrerer Anträge wurden ebenfalls verlängert. Schließlich können auch die Betriebe des Agrarsektors auf Kurzarbeit zurückgreifen. Um einem etwaigen Arbeitskräftemangel vorzubeugen, hat sich die Landwirtschaftskammer der „Jobswitch“-Initiative angeschlossen. Arbeitslose, Kurzarbeiter und Selbstständige sollen in Betrieben mit Arbeitskräftemangel aushelfen. Die Plattform werde aber nicht viel genutzt, bedauert Feyder.

Die Bauernzentrale („Centrale paysanne“) bewertet die derzeitige Lage in einer Mitteilung als „höchst alarmierend“. Viele Landwirte hätten Zukunftsängste. Die Krise verändere die Gesellschaft und den Konsum. Die Zentrale rät dazu, beim Einkauf vorwiegend auf Produkte aus der hiesigen Landwirtschaft zurückzugreifen.

Auch wenn die Landwirtschaft vom Lockdown ausgeschlossen wurde, ist die Lage ernst. Die Schuldenlast im Sektor sei hoch, erklärt der Vorsitzende der Landwirtschaftskammer. Viele landwirtschaftliche Betriebe seien bedroht oder arbeiten am Limit. „Niemand weiß, wie es nach der Krise weitergeht. Es werden wahrscheinlich Höfe verschwinden. Dabei wird von offizieller Seite immer gesagt, man lege die Priorität auf die nationale oder sogar regionale Produktion. Die ist dann futsch“, warnt Guy Trierweiler. Nun hofft ein ganzer Wirtschaftszweig, dass die Regierung die Bedeutung des Agrarsektors erkennt und ihn dementsprechend unterstützt.

Viele Landwirte fürchten die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Märkte
Viele Landwirte fürchten die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Märkte Foto: René Hoffmann