An diesem Samstag jähren sich zwei bedeutende Ereignisse in der politischen Geschichte Großbritanniens. 80 Jahre ist es her, dass sensationell Labour die erste Wahl nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa gewann. Parteichef Clement Attlee musste wegen der erst langsam eintrudelnden Wahlurnen der in Übersee stationierten Soldaten gut drei Wochen auf seine Amtsübernahme von Kriegspremier Winston Churchill warten. Hingegen dauerte es im vergangenen Jahr lediglich einen Tag nach dem klaren Wahlsieg der Arbeiterpartei, bis am 5. Juli Premierminister Keir Starmer die Arbeit aufnehmen konnte.
Ob ein wenig längeres Warten mehr Detailplanung ermöglicht und dadurch das Regieren erleichtert hätte? Ein Jahr danach steht jedenfalls fest: Die politische Unerfahrenheit des 62-Jährigen und seines Teams, von wenigen Ausnahmen abgesehen, hat sich allzu häufig bemerkbar gemacht. Das begann mit der dilettantischen Art, in der Finanzministerin Rachel Reeves der Nation Angst vor einem „schwarzen Loch“ in den Staatsfinanzen einjagte. Die verkündete Streichung eines Heizkostenzuschusses für alle alten Menschen – ohne gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass armen Pensionisten gezielt geholfen wird –, machten Starmer und Reeves inzwischen rückgängig.
Tränen im Parlament
Auch zum Ende des Regierungsjahres musste das Duo einen Fehler ausbügeln. Anstatt eine dringend nötige Reform von Sozialhilfe und Staatsbeihilfen für Behinderte auf den Weg zu bringen, sollte Sozialministerin Liz Kendall auf Reeves‘ Drängen irgendwie fünf Milliarden Einsparungen erzielen. Der Plan scheiterte an der Fraktion. Dass die Finanzministerin am Mittwoch auf der Regierungsbank Tränen vergoss, überschattete die Fragestunde an den ahnungslosen Premierminister und beunruhigte die Finanzmärkte: Das Pfund fiel, die Zinsen für britische Schuldscheine schnellten nach oben. Dabei sei Reeves wegen einer „Privatsache“ betrübt gewesen, beteuerte der Regierungschef tags darauf und fiel der Chefin über die Staatsfinanzen demonstrativ um den Hals.
Der schlechteste Premier zu meinen Lebzeiten
Privat oder nicht – Reeves hat allen Grund zur Sorge. Nach fünfzehn Jahren mit blutleerem Wachstum, nach dem anhaltenden Brexit-Schock und der Covid-Pandemie liegt die Staatsschuld bei 96 Prozent des Bruttoinlandsprodukts BIP. Um Geld für das darniederliegende Gesundheitssystem NHS lockerzumachen, erhöhte sie die Arbeitgeber-Abgaben drastisch. Die Folge: Gerade kleinere Firmen stellen kaum neue Leute ein. Reiche Bauern und vermögende Ausländer mit bisher Steuer-privilegiertem Wohnsitz auf der Insel laufen Sturm gegen eine Reform der Erbschaftssteuer. Sie stehe „unter immensem Druck“, hat Reeves kürzlich dem Parlamentspräsidenten (Speaker) Lindsay Hoyle anvertraut.
Außenpolitische Erfolge
Außenpolitisch hingegen kann Labour Erfolge vorweisen. Unverkennbar genießt Starmer den Respekt, der ihm persönlich und seinem lang von populistischen Fieberkrämpfen geschüttelten Land gezeigt wird. Im Mai gelangen der Brexit-Insel binnen vierzehn Tagen drei Handelsvereinbarungen mit gewaltigen globalen Blöcken: Indien, USA, EU. Mit Brüssel schloss der Premier zudem ein Sicherheitsabkommen – Voraussetzung dafür, dass sich britische Rüstungsunternehmen an zukünftigen Verteidigungsprojekten europäischer Firmen beteiligen und damit auch Zugang zu EU-Geldern erhalten könnten.
Demnächst wird es besser
Im Verhältnis zum Berserker im Weißen Haus scheint Starmer ein Kunststück gelungen zu sein: einerseits persönliche Nähe, die handfeste Vorteile wie eine Senkung der Automobilzölle auf 10 Prozent zur Folge hat; andererseits inhaltliche Handlungsfreiheit, zumal in der gänzlich anderen Beurteilung des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. Unbeirrt halten die Briten, angeführt von König Charles III, an ihrer Unterstützung für das überfallene Land und dessen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj fest. Nicht zuletzt zeigten der Premier und sein Monarch unmittelbar nach Selenskyjs Demütigung im Weißen Haus demonstrativ Solidarität mit dem Ukrainer, ohne jemals ein Wort der Kritik an Washington zu äußern. Dieser diplomatische Balanceakt sei „sehr gut gelungen“, urteilt Strategieprofessor Lawrence Freedman vom Londoner King’s College.
Hingegen wünscht sich der Außenpolitik-Experte eine raschere Wiederannäherung an die EU, mit Vorteilen für beide Seiten, allem Verratsgeschrei der rechtsgerichteten Medien zum Trotz.
Abgleiten in die Anarchie
Negative Schlagzeilen ist Starmer gewohnt. Seit seiner Amtsübernahme vor Jahresfrist wird mindestens einmal wöchentlich der unmittelbar bevorstehende Untergang des Königreichs vorhergesagt, der Staatsbankrott, das Abgleiten in die Anarchie. Starmer sei „der schlechteste Premier zu meinen Lebzeiten“, schreibt Stephen Glover in der Daily Mail.
Die Freude an Pointen, auch grotesken Überzeichnungen hat Tradition auf der Insel. Die systematische Delegitimierung einer immerhin klar gewählten Regierung aber kommt einer fundamentalen Demokratie-Kritik gefährlich nahe. Zumal auch die alternative Regierung, die konservative Partei unter Kemi Badenoch, in Grund und Boden geschrieben wird. Es wirkt zunehmend, als setze das rechte Finanz- und Wirtschaftsestablishment, dem weite Teile der britischen Medien gehören, stattdessen auf den Nationalpopulisten Nigel Farage. Dessen Reform-Partei gewann im Mai die Kommunalwahlen in England sowie eine Nachwahl zum Unterhaus, liegt in landesweiten Umfragen seit Monaten vor Labour, von den Torys zu schweigen.
Das erste Jahr sei das schwierigste gewesen, hat Premier Starmer in der BBC beteuert, „demnächst wird es besser“. Kritik wischt er beiseite: Er sei „kein ideologischer Denker, sondern Pragmatiker“. Deutlich weniger rosig beurteilt Financial Times-Kolumnist Janan Ganesh die Lage. Starmer habe „die Intelligenz und den Fleiß, den ein Premier braucht, nicht aber den Charakter“.
De Maart
Freund Gregory aus Manchester ist stumm geblieben seit er weiss, dass die neue Hüfte für besser Gestellte reserviert wurde. „Warum kriegt der Duke of Buccleuch and Queensberry noch Subsidien für seine Beine und ich kuck in die Röhre weil NHS kein Geld bewilligt bekommt um Notleidenden zu helfen.“ Das ist Geld für die Kuhherde, die brauchen das zum Milch geben. Gregory versteht es nicht. Will mit seiner kranken Mumm ins Jenseits.
Armes Kingdom, und Kate kann da auch nichts machen? „Wer ist Kate ?“