Corona-KriseEin Jahr Lockdown in Luxemburg – eine erste, unvollständige Bilanz

Corona-Krise / Ein Jahr Lockdown in Luxemburg – eine erste, unvollständige Bilanz
Nur selten konnten Gesundheitsministerin Paulette Lenert und Premier Xavier Bettel gute Nachrichten verkünden Foto: Editpress/Julien Garroy

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Vor einem Jahr wurde Luxemburg auf Sparflamme geschaltet. „Bleift doheem“ ersetzte „Mir wëlle bleiwen, wat mir sinn“. Mit dem „Etat de crise“, am 18. März 2020 von Premierminister Xavier Bettel ausgerufen und drei Tage später vom Parlament einstimmig um drei Monate verlängert, sollte die Ausbreitung der Covid-19-Pandemie im Lande gestoppt werden.

Der Krisenzustand erlaubte es der Regierung, unter weitgehender Ausschaltung des Parlaments schnell Verordnungen zu erlassen und Eingriffe in die Grundrechte vorzunehmen. Läden und Geschäfte mit Ausnahme des Lebensmittelsektors mussten schließen, die Arbeit auf den Baustellen wurde eingestellt. Restaurants, Cafés und der gesamte Kulturbetrieb mussten zumachen ebenso die Schulen. Die Beschäftigten im Privatsektor und die Staatsbeamten sollten nach Möglichkeit von zu Hause aus arbeiten. Zwischenmenschliche Kontakte wurden auf ein Minimum reduziert. Luxemburg befand sich im Lockdown. Da die Verfassung den Krisenzustand auf drei Monate begrenzt und die während dieser Zeit ergriffenen Maßnahmen dann hinfällig werden, mussten letztere gesetzlich festgeschrieben und vom Parlament gebilligt werden. Seitdem wird das Anti-Corona-Gesetz immer wieder angepasst und der Lockdown an die sanitäre Lage angepasst.

Wirtschaft unter künstlicher Beatmung

Im Rückblick muss der Regierung eine schnelle Reaktionsfähigkeit bescheinigt werden. Eine Woche nach Verhängung des Krisenzustands stellt sie ein umfassendes, als historisch bezeichnetes Maßnahmenpaket zur Unterstützung der Wirtschaft vor. Knapp 8,8 Milliarden Euro schwer ist die Nothilfe, die Betriebe und Beschäftigte über die Runden helfen soll. Die Kurzarbeitgeldregelung wird verallgemeinert. Während Wochen und Monaten steht ein großer Teil von Luxemburgs Beschäftigten auf der staatlichen Lohnliste, auch wenn die Bezüge auf 80 Prozent reduziert sind. Weitere Stützmaßnahmen folgen später, so etwa die 50-Euro-Gutscheine für Übernachtungen in Luxemburger Hotels, das bis Dezember 2021 verlängerte Programm „Fit 4 Resilience“ und die Übernahme der Fixkosten für angeschlagene Unternehmen. Nicht alle Hilfsmaßnahmen, wie die staatlichen Bürgschaften bei Darlehensaufnahmen, werden vollumfänglich genutzt. Ein Großteil der Übernachtungsgutscheine bleibt uneingelöst. Zwölf Monate später bescheinigt Luc Frieden, Ex-Minister und aktuell Präsident der Handelskammer, der Regierung auf RTL-Radio am 13. März 2021, die Krise gut gemanagt zu haben. Laut Angaben der patronatsnahen Fondation Idea war die Zahl der Konkurse 2020 im Vergleich zum Vorjahr leicht rückläufig. Die Stiftung führt dies auf die öffentlichen „Notpflaster“ zurück, die die Unternehmen am Leben hielten. 

Medizinische und wissenschaftliche Kraftanstrengung

Eine Koordinationsstelle für alle Akteure des Gesundheitswesens wird Ende März geschaffen. Ärzte werden angehalten, Sprechstunden über Telefon abzuhalten – Telearbeit auch für sie und ihre Patienten. Sogenannte „Centres de soins avancés“ (CSA) werden buchstäblich aus dem Boden gestampft. Sie sollen mögliche Covid-Patienten empfangen. Luxemburgs wissenschaftliches Potenzial an der Uni und in den Forschungszentren wird mobilisiert. Es ist die Stunde der medizinischen Fachleute. Sie sollen der Regierung die notwendige Expertise liefern, um die politischen Entscheidungen mitzubegründen. Das Large Scale Testing, nur mäßig befolgt, soll die Durchseuchung der Bevölkerung beleuchten. Die hohe Testfrequenz wird schließlich auch für die hohe Inzidenz verantwortlich gemacht, die oftmals höher als in den unmittelbaren Nachbarländern ist. Angeblich wird dies dort nicht so richtig verstanden, heißt es.

Die diplomatische Front

Einen Schock löst die Entscheidung etlicher EU-Staaten aus, die Grenzen zu schließen. Damit erhoffen sie sich, die Verbreitung des Virus einzudämmen. Luxemburg droht der wirtschaftliche Erstickungstod, wenn Zehntausende Grenzgänger, die nicht im Home-Office arbeiten können, nicht mehr ins Großherzogtum kommen können. Insbesondere der Gesundheits- und Pflegesektor ist von den Fachkräften aus Belgien, Frankreich und Deutschland abhängig. Ohne sie keine Betreuung von Covid-Patienten in den Spitälern und der Senioren in den Pflegeeinrichtungen. Die Angst, Frankreich etwa würde das medizinische Fachpersonal für die eigenen Covid-Patienten requirieren, steckt tief. Für die Regierung öffnet sich damit eine weitere Front, diesmal auf diplomatischem Parkett. Mitte Mai wird die Grenze zu Deutschland wieder geöffnet. Frankreich und Belgien hatten sich gegenüber dem kleinen Nachbarn weniger verschlossen gezeigt. Ein Erfolg für Luxemburgs Diplomatie.

Die sanitäre Reserve

Dass die Regierungspolitik auf breite Akzeptanz stößt, zeigt das große Echo auf den Aufruf an medizinischen Mitarbeitern und einfachen Bürgern Ende März, die staatlichen Behörden zu unterstützen. Tausende Freiwillige melden sich für administrative und logistische Aufgaben, neben aktiven und pensionierten Ärzten sowie anderen Gesundheitsberuflern, Studenten, Physio- und Ergotherapeuten und Tierärzte. Rund 1.500 Personen verzeichnete die sanitäre Reserveliste Anfang Mai 2020, informiert Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) in Beantwortung einer parlamentarischen Frage. Diese unter Vertrag genommenen Mitarbeiter werden in Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern und in den CSA eingesetzt.

Buffs und andere Masken 

Größere Schnitzer sind der Regierung in den ersten Wochen und Monaten der Pandemie scheinbar nicht unterlaufen. Wenn es Widersprüche und Misstöne gibt, sind sie wohl größtenteils auf die nicht nur in Luxemburg verbreitete Unkenntnis des neuen Virus und auf Lieferengpässe bei akut benötigtem Material zurückzuführen. In den ersten Wochen wird das Tragen von Masken als überflüssig, weil wenig wirksam, dargestellt. Obwohl Virologen, wie etwa Dr. Claude Muller, bereits früh auf den Nutzen von Masken als Barriere gegen das Virus hinweisen. Ende März heißt es dann, Nase und Mund schützen, überall dort, wo Distanz zu Mitmenschen nicht eingehalten werden kann. „Eng Mask, ee Schal, ee Buff“, ruft Premierminister Xavier Bettel (DP) seinen Mitbürgern aufgeregt via Livestream zu. Die Regierung sucht nach Freiwilligen zum Nähen von Stoffmasken. Als es der öffentlichen Hand gelingt, Masken in ausreichender, wenn manchmal auch fragwürdiger Qualität zu ergattern, wird Maskentragen oberste Bürgerpflicht. Die Gemeinden verteilen Mitte April massiv Einwegmasken an ihre Einwohner. Zuvor hatten Privatinitiativen zur Selbsthilfe gegriffen und Masken genäht und verteilt. 

Richtig liegt die Regierung mit ihrer ablehnenden Haltung zur einer Corona-App. Um die Verbreitung des Virus zu verfolgen, forderte unter anderem die CSV immer wieder die Entwicklung und den Einsatz dieser Miniprogramme. In Deutschland und Frankreich entpuppen sie sich als Reinfall. Nur eine kleine Minderheit der Bürger installiert sie auf ihr Smartphone, noch weniger nutzen sie, um ein positives Resultat mitzuteilen und damit mögliche Kontaktpersonen zu benachrichtigen.

Stattdessen setzt Luxemburg weiterhin auf analoge Mittel. Das Contact Tracing stößt jedoch bald an seine Grenzen, als die Zahl der Neuinfektionen in die Höhe schnellt. Über 220 Personen arbeiten im Dezember in der Kontaktnachverfolgungszelle, darunter mehrere Dutzend Luxairmitarbeiter. Inwiefern diese Arbeit effektiv zur Eindämmung der Pandemie beiträgt, bleibt noch zu klären.

Im alten Ferrero-Gebäude auf Findel wurden die Räumlichkeiten für das Contact Tracing eingerichtet
Im alten Ferrero-Gebäude auf Findel wurden die Räumlichkeiten für das Contact Tracing eingerichtet Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Minenfeld Schule

Gesundheitsministerin Paulette Lenert avanciert zur Hauptfigur im Kampf gegen Covid-19. Zusammen mit Premierminister Xavier Bettel stellt sie neue Maßnahmen vor, erklärt geduldig gleichermaßen Medien und Abgeordneten die Regierungspolitik. Die virtuellen Wähler bedanken sich in den Umfragen mit hohen Zustimmungswerten. Einen weit schwierigeren Stand hat hingegen Schulminister Claude Meisch (DP). Nicht so sehr die politische Opposition als der Widerstand aus Lehrerschaft und Elternvereinigungen machen ihm zu schaffen. Schließung der Schulen, Homeschooling, Zweigruppen-Unterricht, dann wieder Öffnung, Schließung und Homeschooling. Die Schule als sicherer Ort, dann doch Infektionsherd – Eltern und Lehrkräfte verlieren den Überblick, werfen Meisch mangelnde Dialogbereitschaft und Verniedlichung des Infektionsrisikos vor. Der Unterrichtssektor war und bleibt ein politisches Minenfeld. Und Meisch befindet sich mitten drin.

Die Senioren

Unmut ruft auch Familienministerin Corinne Cahen (DP) hervor. Lange Zeit schien sie auf Tauchstation zu sein. Auch nachdem die Infektionszahlen in den Seniorenheimen und Pflegeeinrichtungen bedenklich gestiegen waren. Die Hauptkritik: fehlendes Schutzmaterial für das Personal und mangelhafte Empfehlungen zur Vermeidung von Infektionsherden in den Pflegeeinrichtungen. Cahen lehnt nationale Vorgaben mit dem Hinweis auf unterschiedliche Situationen vor Ort ab. Sie erhält nachträglich Rückendeckung von der Gegenseite. „Ich kann in aller Bescheidenheit sagen, dass unser Sektor die Krise gut gemeistert hat. Immerhin versorgen wir die aufgrund ihres Alters oder Allgemeinzustands vulnerabelsten Personen“, zitiert das Luxemburger Wort im Oktober 2020 den Präsidenten des Dachverbands der Hilfs- und Pflegeeinrichtungen Copas, Marc Fischbach. Anlässlich der Generalversammlung des Copas Ende September lobt er die gute Zusammenarbeit mit den Behörden, insbesondere mit dem Familienministerium. Aufgrund der unterschiedlichen Populationen und architektonischen Gegebenheiten sei es nicht möglich, einheitliche Regeln einzuführen, bekräftigt er Cahens Position.

Kommunikation

Zu Beginn war es wohl nachvollziehbar. Der Krisenzustand sollte es der Regierung erlauben, schnell und ohne parlamentarisches Störfeuer als notwendig erachtete, sanitäre und andere Maßnahmen zu treffen. Auch die Kommunikation folgte diesem Schema. Vor leeren Stühlen informierten zu Beginn der Krise die Minister die Pressevertreter via Livestream über die neuesten Entscheidungen. Fragen wurden schriftlich eingereicht. Von Informationssperre wird man nicht reden können, doch flossen konkrete, zusätzlich erfragte Angaben nur zögerlich. Auch ein Jahr danach bleiben viele Fragen unbeantwortet. Wohl auch weil es schlicht an Daten fehlt oder vorliegende Informationen unvollständig sind, wie dieser Tage noch bei der Frage zur Ansteckungsgefahr in Cafés und Restaurants ersichtlich. Den Informationsdurst stillen oftmals Ärzte, Virologen, Epidemiologen und andere Experten. 

Politik

Im Monatsrhythmus werden die gesetzlichen Covid-Maßnahmen im Parlament nach geringfügiger Anpassung bestätigt, zuletzt am vergangenen Freitag. Von der nationalen Einheit zu Beginn der Pandemie ist nicht mal ein blasser Schatten übrig. Die Regierung setzt den neuen Lockdown light dank der treu ergebenen Parlamentsmehrheit durch. Die Opposition tut sich indes schwer damit, den Hebel der Kritik an der richtigen Stelle anzusetzen. Insbesondere die CSV verstrickt sich in Widersprüche, fordert noch schärfere sanitäre Maßnahmen. Werden diese von der Regierung bei der nächsten Gesetzesaktualisierung umgesetzt, stimmt sie dennoch gegen die Gesetzesvorlage. 

Bei den kleineren Oppositionsparteien bleibt u.a. das Ausgehverbot ab 23 Uhr umstritten. Wissenschaftliche Belege für die Wirksamkeit dieser Maßnahme lege die Regierung nicht vor, kritisiert unter anderem „déi Lénk“ im Parlament. Während die ADR die Begrenzung der Besucherzahl bei Privatbesuchen als eine Beschneidung der Grundrechte bezeichnet.

Trotz allgemeiner Pandemie-Müdigkeit und oftmals unverständlicher Entscheidungen scheint die Corona-Krise den Regierungsparteien vorerst nicht zu schaden – und der größten Oppositionspartei nicht zu nutzen, wie die rezenteste Umfrage im Wort zeigt. 

Luxemburg bleibt derzeit trotz hoher Inzidenzzahlen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern recht locker. Lediglich der Horeca-Bereich ist weiterhin vom harten Lockdown betroffen. Fitness-Klubs, Kinos und Theater dürfen hingegen erneut Besucher empfangen, wenn auch unter Berücksichtigung strenger sanitärer Maßnahmen. Vor allem die Zwei-Personen-Regel bei Privattreffen drückt aufs Gemüt, während die sanitäre Situation in beliebten Urlaubsorten dem reiselustigen Luxemburg zusetzt. 

Dass die begrenzte Lockerungspolitik insgesamt ihre Früchte trägt, wird gerne anhand der Daten aus den Spitälern belegt. Tatsächlich ging die Zahl der dort behandelten Patienten seit dem dramatischen Höhepunkt im November bis Februar 2021 beträchtlich zurück. Doch seit wenigen Wochen zeigt die Tendenz erneut steil nach oben.

Wie erfolgreich Luxemburgs Pandemie-Bekämpfung dank Lockdown und diverser sanitärer Maßnahmen tatsächlich war, wird man wohl frühestens im Herbst genauer feststellen können, wenn denn Covid-19 dank Impfkampagne gebändigt sein wird und Wissenschaft und Politik mit zeitlichem Abstand auf die hektischen Covid-Monate werden zurückblicken können.

Der tägliche Wahnsinn seit über einem Jahr. In Luxemburg wurden bisher fast 2,3 Millionen Tests durchgeführt.
Der tägliche Wahnsinn seit über einem Jahr. In Luxemburg wurden bisher fast 2,3 Millionen Tests durchgeführt. Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante
Tammy Kraul
18. März 2021 - 13.18

Et war e Feeler déi vill Suen exklusiv an de Large Scale Testing ze stierchen an den Contakt Tracing ze vernooleissegen. En Deel vun deene Suen hätte sollen an de Kontakt Tracing goen. Wann e positiv getest gouf, hätt e sollen all Kontakter direkt testen an net 7 Deeg waarden. An no 7 Deeg nach emol. Zumols a Schoulklassen oder Betriber. Dann hätt e gewosst ween sech weini bei weem a wou ugestach huet. Eng Mam war positiv. Dann ass Kand ereischt no 7 Deeg getest ginn. Wann et da positiv war gouf gesot Mam huet et ugestach. Dobäi war et eventuell de Contraire. Klass gouf och dann ereischt 7 Deeg duerno gestest. An dann nach lang net ganz Klass. Duerfir sti mir esou schlecht do vis a vis vun Ausland mat eisen Infektiounszulen pro Awunner!