LuxemburgEin Grünkonzept für die ehemalige Festungsstadt

Luxemburg / Ein Grünkonzept für die ehemalige Festungsstadt
Die Villa Foch vom Stadtpark aus gesehen  Foto: Rolph

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Klimawandel, Naturschutz, Landschaftsschutz und neues Erleben öffentlicher Parkanlagen, Gärten, Plätzen und Straßenräumen besonders in Corona-Zeiten erfordern eine Rückbesinnung auf die Gründe, die zur Schaffung unserer städtischen Grünanlagen nach Öffnung der Festung führten. Die nun alljährlich vom Kulturministerium veranstalteten „Rendez-vous aux jardins“ im Juni und die für 2023 geplante LUGA verstärken das Bewusstsein um historische und zeitgenössische Gartenanlagen. Auf 16,6 ha entsteht zurzeit eine der größten Parkanlagen auf dem Gebiet der Hauptstadt.

In der ehemaligen Festungsstadt gab es kaum Raum für große Parkanlagen. Eine an 6.000 Einwohner/km2 grenzende Einwohnerzahl ließ dazu kaum Platz. Anders als in anderen Städten gab es hier keine Residenzgärten oder Abteigärten mit Promenaden und Brunnenanlagen. Größere Grünflächen wurden als Ertragsgarten genutzt oder boten sich als bebaubares Grundstück an. So wurde 1858 das Redemptoristen-Kloster in Luxemburg-Stadt, z.B. in den ehemaligen Gartenanlagen des Kapuzinerklosters, errichtet. An mehreren Seiten waren die Talwände kahl und ohne Waldbestand, denn der Blick über die Festungsanlagen musste gesichert sein. Die place Guillaume II galt als öffentliche Promenade, genau wie der „Generolsgaart“ an den Festungswerken des Front de la Plaine im Westen der Stadt. Nur am Sonntag hatte man, gegen Entgelt, Zugang zu diesem Spazierweg. Die „Promenade du Général“ wurde mit ihrem Baumbestand und Wegen infolge der Stadtöffnung in die neuen Parkanlagen integriert.

Die Stadt im Grünen

Die Öffnung der Festung führte zu einer neuen Wahrnehmung des Raumes. Begeisterung brach beim Fall der Festungsmauern aus, denn durch ihr Verschwinden trat die topografische Schönheit der Landschaft hervor. Nun ging es darum, diesen Raum zu gestalten.

Projekt zur Anlage eines „jardin d’acclimatation“ im unteren Stadtpark 
Projekt zur Anlage eines „jardin d’acclimatation“ im unteren Stadtpark  Illustration: André Edouard, „L’Art des jardins“, t2 Paris, 1870, p. 824

1867 hatte der Londoner Vertrag Luxemburg zum neutralen Staat erklärt, damit musste die Festung aus dem Stadtbild verschwinden. Der herannahende Deutsch-Französische Krieg setzte die Regierung weiter unter Druck, die Spuren der Festung verschwinden zu lassen. 1868 wurde von einer eigens geschaffenen Kommission unter Beteiligung des Landschaftsingenieurs Louis Fuchs ein „Plan d’agrandissement de la Ville de Luxembourg“ ausgearbeitet. Der bis 1873 gültige Plan sah die „Auflösung des städtischen Raumes in der Natur“ vor. Inmitten der neu zu schaffenden Parkanlagen konnten so die Villa Louvigny, die Villa Vauban, die Villa Marie entstehen. Am Boulevard Royal und Boulevard F.D. Roosevelt wurden bis zu 10 m tiefe Vorgärten vorgeschrieben. Die Bastione Louis, Beck und Jost sollten zu Panoramaterrassen mit Ausblick ins Grüne ausgebaut werden. Ein Aussichtspunkt über das Alzettetal wurde gar am Fort Bastion Berlaimont eingerichtet. Die „Stadt im Grünen“ konnte man nur durch Durchqueren der Parkanlagen erreichen. Am Viadukt gewährte die Grünfläche „Kanounenhiwwel“ Eintritt ins Stadtgebiet, an der Côte d‘Eich – Boulevard Royal (Banque Centrale) hatte der „Jardin creux“ diese Funktion. Mit Edouard André kamen weitere entscheidende Veränderungen: Die Privatgärten entlang des Boulevard Joseph II mussten an den Stadtpark grenzen. Diese Verschmelzung bot höchste Lebensqualität für die Anlieger. Die ältere Anlage des Boulevard Prince Henri hatte zuvor noch die Villen von den Gartenanlagen abgeschnitten.

Zäune als Sichtachsen

Die mit auf Mauern ruhenden, aufeinander abgestimmten Zaungeländer der einzelnen Privatparzellen säumten die Straßen und schufen somit Sichtachsen entlang der neuen Avenues und Boulevards. Ohne sie hätte der Blick in die teils unbebaute Leere geschweift. Die Vorgärten dienten als „Vorzimmer“ zur Wohnung und sicherten den Übergang zwischen öffentlichem und privatem Raum.

Jedes neu erbaute Wohnhaus hatte somit ein vorgeschriebenes Recht auf einen Grünstreifen. Licht und Luft konnten so uneingeschränkt für hygienische Verhältnisse sorgen. Die Vor- und Hintergärten wurden auf bestem Bodengrund angelegt. Als die Bastionen abgetragen wurden, wurden zuerst die Bäume über diesen Anlagen entfernt und im städtischen Park neu gepflanzt. Der Boden an der Bastion wurde während der Schleifung zur Seite gelegt, um anschließend auf die so freigewordene Bauparzelle zu verteilen.

Eine künstliche Landschaft

Auf dem ehemaligen Festungsgelände schuf die Luxemburger Regierung ein komplett neues Landschaftsbild. Bäume wurden an den zu Terrassen umgewandelten Bastionen gepflanzt, um die „villains murs“ zu verdecken. Was heute unser Weltkulturerbe bedeutet, galt damals eben als hochmoderne Festungsanlage, die aufgrund der politischen Neutralität nicht mehr sichtbar sein durfte! Mussten die Festungsmauern als Stütze der Oberstadt an der Corniche und entlang des Boulevard F.D. Roosevelt erhalten werden, so wurden die Festungsanlagen zur Seite des damals noch unbebauten Plateau Bourbon und über den Unterstädten zur Landseite in künstliche Talhänge umgewandelt.

Volkshaus am Boulevard Royal um 1914
Volkshaus am Boulevard Royal um 1914 Foto: Mersch François, „Le Grand-Duché de Luxembourg à la belle époque“, Luxembourg, t.2, 1980, p. 442

Der Front de la Plaine war durch zahlreiche Festungsgräben gekennzeichnet. Die geschlossene Bebauung des Innengürtels am Boulevard Royal erklärt sich durch die Nutzung der „courtine“ als Stütze der Neubauten. Zur Außenseite des Boulevards wurden Villen und Reihenhäuser inmitten großer Privatgärten errichtet. Ästhetisch zeigt sich hier eine Auflockerung der Baudichte in Richtung Stadtpark. Technisch gesehen erklären sich diese Gärten jedoch durch die aufgeschütteten Festungsgräben, die nicht bebaubar waren.

Hartes Kalkül

Der Stadtpark erfüllte mehrere Funktionen: öffentliche Promenade mit zwei Gast- und Feststätten (Villa Louvigny und Villa Amberg); er sicherte Schutz vor Wind und Sturm. Früher war die Innenstadt durch die Festungsmauern vor der Witterung geschützt. Der Park stellt bis heute eine ideelle Landschaft dar, ermöglicht es, einheimische und ausländische Pflanzen kennenzulernen – Biodiversität der Belle Epoque! In den Jahren 1875 bis 1888 befand sich einst zur Parkseite an der Avenue Marie-Thérèse ein botanischer Garten.

Die Parkanlagen sicherten einen „natürlichen“ Übergang zum halb-ländlichen, halb-industriellen Landschaftsraum im Westen der Stadt. Zur ideellen Landschaftsgestaltung gehörte ebenfalls der Petrusspark im Zusammenhang mit dem Bau der Sparkasse und des Pont Adolphe. Edouard André bezeichnete die Anlage, die er selbst entworfen hatte, als „la plus belle scène d’Europe“. Zum Verständnis des Vorgehens seien jedoch hier zwei Zitate angebracht. Als Landschaftsingenieur beschrieb Edouard André seine Arbeitsweise: „Choisir d’abord un paysage intéressant et chercher l’effet pittoresque avant tout. L’idéal est de composer, non en architecte, ni en jardinier, mais en poète et en peintre.“(1) Staatsminister Paul Eyschen hingegen verriet die eigentlichen Intentionen der Regierung: „C’est notre intention de vendre dans les promenades qui sont créées autour de la ville des places à bâtir pour des villas. Nous pensons de cette façon la ville obtiendra un aspect plus favorable et nous ne voyons pas pourquoi, en définitive, ces promenades devraient rester improductives. C’est le seul moyen pour nous faire rentrer dans une partie des fonds qui ont été mis.“(2) Das Amalia-Denkmal gilt als beeindruckender Parkeingang – schließlich gehörten mehrere Anrainer zum Sponsor der Gedenkstätte.

Das Amalia-Denkmal
Das Amalia-Denkmal Foto: Rolph

Die zahlreichen Festungsgräben eigneten sich nur bedingt zur Bebauung der Grundstücke des heutigen Stadtparks. Die Anlage der öffentlichen Gärten verringerte das zur Verfügung stehende Bauland und förderte damit die Erträge des Staates beim Verkauf der ehemaligen Festungsbrachen. Vergessen sollte man keineswegs, dass die Parkanlagen bis zum Zweiten Weltkrieg als „Reserve“ für den Bau eines Museums oder für staatliche Schulbauten in Augenschein genommen wurden.

Grün als „Cache-misère“

Der Square Robert Brasseur
Der Square Robert Brasseur Foto: Robert L. Philippart

Edouard André entwickelte ein zusammenhängendes Grünkonzept für den gesamten städtischen Raum: Eine geschlossene Promenade verbindet den Stadtpark mit dem Petrusstal bis weiter hinauf zum Rahmplateau. Der Außengürtel wurde mit Stadtwäldern („parcs forestiers“) bepflanzt. Fort Thungen bot innerhalb der staatlichen Baumschule ein begehrtes Ausflugsziel. Innerstädtisch schuf André eine eigene Hierarchie an Grünflächen: Avenues und Boulevards wurden als Alleen angelegt, Plätze wurden als Squares gestaltet (place St-Esprit, place de Metz, place d’Armes). Der Einzug des Autoverkehrs hat hier vieles verschwinden lassen.

Eine weitere Funktion fiel den Grünanlagen als „cache-misère“ oder als Schalldämmer zu: Sträucher verdeckten vernachlässigte Ecken oder unregelmäßige Fassaden. Als „Schalldämpfer“ für den Pausenlärm der Schüler der ehemaligen Aldringen-Schule wurde vor dem damaligen Postgebäude ein Vorgarten angelegt. Dem Zaun des Notre-Dame-Friedhofs wurde ein Garten vorgelegt, denn die „Sicht auf den Tod war unerträglich“.

(1) André Edouard, „L’art des jardins“, t. 1, Paris, 1879, p. 79
(2) Compte-rendu des séances à la Chambre des Députés, séance du 18 décembre 1881, Luxembourg, 1882, p. 520