This Hard Minett LandDjango bei Lema

This Hard Minett Land / Django bei Lema
 Illustration: Dan Altmann

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Via duk, via duk, der Zug, er rollt, Abend für Abend, zu später Stunde. Zur Hütte Belval rollt er, leer, von der Hütte Belval zurück, voll beladen mit Spundwänden und sonstigem Stahl von Esch nach Welt. Über via duk, via duk, entlang unserem Tisch, der zittert im Takt, mit kleinen, rot-weißen Karos bedeckt. War’s Plastik oder doch echter Kattun, damals?

Regen spinnt Fäden über den Boulevard Kennedy. An den Autos versprühen die Scheinwerfer ihr Licht. Scheibenwischer schlagen, hin und her, hin und her. Nach Klassenarbeit und Kino gehts zum Mond. Vorher zu Lema. Lina und ich halten uns nicht an den Händen. Im Escher Grenzviertel versteckt das Licht die Bewohner. Sie reiben sich auf zwischen Stein und Stahl. Sie vögeln abends, um sich nicht zu verlieren am Tag in übelriechenden Schatten.

Ich hab vor, sie zu verführen, die Lina. Könnte nach Wochen endlich klappen. Riesengroß war die Leinwand. Keine hundert Meter sind’s mehr, einige Treppenstufen hoch, hinein zu den Holzpaneelen, den gebeizten mit den leicht zu breiten Spalten, bei denen man nie weiß, ob sich nicht dunkle Wesen aufhalten hinter diesem Rodeo-Gatter. Oder ein verborgener Pfad in die Proffekonferenz des Jongelycée mündet oder in die Redaktionsräume des Tageblatts.

Lema entführt. Ist es der Name der Besitzerin? Der Dame, die an der Trennwand zum Feuerofen wartet, den breiten, jovialen Unterarm in die Taille gestemmt? Alles hat sie im Blick: ihren pizzaiolo, die Schinkenscheiben, die Paprikastückchen, die roten, grünen, die Teigfladen, uns. Na, venez, kommt doch rein. Uns bittet die Dame, doch noch zu warten, einen Augenblick nur, im Vorraum am langen Tresen, ehe wir an einen Tisch geleitet werden, bitte an diesen Tisch an der Wand. Oder? Ja, da ist noch Platz am Fenster.

Sie ist vergleichbar, diese Pizzeria, mit anderen Pizzerias im Viertel. Streng genommen ist sie die unscheinbarste von allen, doch ist sie für mich die wunderbarste. Herzlich knapp, diese Dame, dazu füllt sie den Raum mit italienischem Flair, stoisch, selbstverständlich am Feuerofen, wo es riecht nach

Buchenscheiten

Tomaten

Knoblauch

Oliven

Zigarettenrauch und Staub.

Lina legt ihren Mantel über die Stuhllehne.

Quattro Stagioni oder Pizza Funghi? Ça va, Monsieur?

Eine Imperiale, bitte.

Lina bestellt die Salami. Die Imperiale ist für mich die tollste Pizza auf der Karte. Was man liebt, gibt man nicht auf. So schnell nicht. Ja, ja, ich werdʼ mich anstrengen. Bin doch der Django. Direkt von der Leinwand an die Holzpaneele gepinnt. Warum sieht sie mich so an?

Mit ihren Hellblauen. Den Dunkelblonden über den Ohren. Die Ringe an den Läppchen habe sie von ihrer Großmutter, hatte sie gesagt. Ob’s stimmt? Und das Silberkettchen mit dem Medaillon von der Tante. Ich glaubʼs oder ich glaubʼs nicht. Im Kino hatte sie den Kopf zu mir gedreht. Sie, die Djanga. In den Italos kommen die Frauen immer aus Mexiko. Lina kommt aus Frisingen.

Sie ordnet Besteck und Servietten. Wie fette Daumen glänzen am Tischrand Pfeffer- und Salzstreuer. Ölt ein arabeskes Kännchen.

Pardon? Nein, keine Flasche, Madame. Nur zwei Gläser.

Ich nehmʼ ein Wasser. Der Wein hier ist so was von schlecht.

Na ja, irgendwie schmeckt er.

Lina zerkaut eine Olive.

Findest du?

Bei Lema schmeckt immer alles. Hab ʼne Überraschung für dich, Mäuschen.

Wie bitte?

Die Pizzas dampfen, tomatensoßebestrichen, knoblauchdekoriert, duftend, gewürzt und bestreut mit Herbem und allerhand. Schritte knarren auf den Dielen. Der Mann schiebt den Stuhl zurück. Fehlen nur noch die Spielkarten, der Colt, die Kugeln. Die schlanke Dame an seiner Seite trägt olivgrüne Stöckelschuhe.

Wer ist das? Kennst du den?

Im Viertel spielt er den Zuhälter. Rollt immer mit seinem Mercedes zu den Bars.

Woher weißt du das?

Zum WC gehts entlang der Treppe, dem Holz entlang, leicht schief genagelt die Hinweisschilder: Exit, premier étage, congé annuel war letzte Woche. Die neuen Gäste, sie warten am Tresen. Ich warte auf Lina. Sie hat ein Gummiband zwischen den Zähnen. Bindet sich die Haare zu einem Pferdeschwanz. Sieht mich an.

Was hast du?

Sie, der hellste Traum meiner Träume zwischen Jongelycée und Lycée Hubert Clement: Sie sitzt mir gegenüber, jetzt, hier, nahe den Schubladen, in denen die Teigbällchen warten. Mit Mehl bestäubte Kugeln der Lust. Wie kann’s anders sein? Lust auf uns beide, nach Imperiale, Schokoeis und Espresso. Werdʼ ich mir eine Abfuhr holen? Wird sie sagen: Du hast doch einen Dachschaden?

Bl Bla blau blauli blaulich blaulichtern blaulichtern

Urbanes Getue am Boulevard Kennedy.

Ich hab nur ein Quietschen gehört, vorhin. Und du?

Nur den Aufprall.

Ein Augenblick Stille am beschlagenen Fenster. Vereinzelte Raupenköpfe

blaulichtern blaulichtern blaulich blauli blau bla bl

Hör mal.

Mmhhh?

Nenn mich nicht Mäuschen. Ich kanns nicht leiden. Ich bin die Lina. Basta. Und welche Überraschung denn?

Django beugt sich zu Djanga. Jesus Christ: Ihr schönes Gesicht mit den blauen Augen wie der Mond über den blauen Bergen so blau. Halleluja!

Eine Rauchschwade zieht an das Rodeo-Gatter. Die schlanke Dame hebt einen ihrer Stöckelschuhe vor die Augen. Zeigt ihn. Dreht ihn. Begutachtet ihn. Ich ersticke, atme tief, Mundhöhle knochentrocken, Herz schlägt bis zum Hals, Kopf hat verloren, ich wage den Schritt:

Ich hab tolle Platten, Lina. Wir könnten Platten hören, bei mir zu Hause. Die Stones. Die Animals, Uriah Heep und so. Hab zwei Tage sturmfreie Bude.

Und Springsteen? Hast du den schon? Hab ich von gehört.

Die Gläser vibrieren dickwandig. Ein Pizzarest rutscht vom Tellerrand

im via duk Takt via duk Takt.

Lina zieht ihren Pulli gerade.

Aber wir werden warten, ehe du eine LP auflegst.

Warum das denn?

Bis du die Weinflasche entkorkt hast. Mindestens einen Montepulciano möcht ich, Jahrgang 68.

Bio

Jean Back wurde 1953 in Düdelingen (L) geboren. Nach dem Abitur am Escher „Jongelycée“ arbeitete er zunächst im Familien-, dann im Kulturministerium. Von 1989 bis 2016 leitete er das „Centre national de l’audiovisuel“ (CNA) in Düdelingen. 2003 wandte er sich mit „Wollekestol“ der Literatur zu, eine Hommage an seine Heimatstadt und deren Stahlindustrie. Es folgten mehrere Bücher, darunter „Amateur“, das 2010 mit dem European Union Prize for Literature ausgezeichnet und mittlerweile in sieben Sprachen übersetzt wurde. Den Preis des Europäischen Parlaments erhielt er im Jahr 2018 für die Kurzgeschichte „Europäesch Wolleken“. 2019 wurde ihm der Kulturpreis der Stadt Düdelingen verliehen.
Zuletzt erschienen: „De Schapp beim Wal“ und „L’arc di Marianna“ (beide 2020).

Born to Run

(…)

Wendy let me in, I wanna be your friend
I want to guard your dreams and visions
Just wrap your legs ’round these velvet rims
And strap your hands across my engines
Together we could break this trap
We’ll run till we drop, baby we’ll never go back
Will you walk with me out on the wire
’Cause baby I’m just a scared and lonely rider
But I gotta find out how it feels
I want to know if love is wild
Girl I want to know if love is real

(…)

Bruce Springsteen

(from the album „Born to Run“, 1975)
© Sony Music Group/Eldridge

This Hard Minett Land

Von März bis Oktober 2022 laden das Tageblatt, das Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History (C²DH) und capybarabooks die LeserInnen jeden Freitag zu einer besonderen Entdeckungsreise durch Luxemburgs Süden ein. Rund vierzig SchriftstellerInnen und HistorikerInnen lassen sich von Bruce Springsteens Songs inspirieren und schreiben Texte über das luxemburgisch-lothringische Eisenerzbecken, „de Minett“, sowie über diejenigen, die dort geboren oder dorthin eingewandert sind, dort gelebt, gearbeitet, geliebt, geträumt, gehofft, gekämpft, Erfolg gehabt oder versagt haben. Begleitet werden die Texte in deutscher, englischer, französischer und luxemburgischer Sprache von Illustrationen des Luxemburger Künstlers Dan Altmann. Im Herbst erscheinen sämtliche Texte und Zeichnungen dann versammelt in Buchform bei capybarabooks. Bis dahin heißt es: „Son, take a good look around/this is your … Minett Land!“

irma
30. Juli 2022 - 23.20

Die flambierte Pizza Pommes als Abschluss war immer das Beste bei Lema. Und die 8 Liter Rosé die die Clique von 19-24 Uhr gesoffen hat.