Sozial- und ErziehungswissenschaftenDissens zwischen Uni Luxemburg und CSL um einen berufsbegleitenden Bachelorstudiengang

Sozial- und Erziehungswissenschaften / Dissens zwischen Uni Luxemburg und CSL um einen berufsbegleitenden Bachelorstudiengang
Rund 150 Interessierte für den berufsbegleitenden Bachelorstudiengang in Sozial- und Erziehungswissenschaften sollen laut „Chambre des salariés“ im Studienjahr 2020/21 abgelehnt worden sein. Als Ursache nennt sie die Aussetzung des Programms durch die Uni Luxemburg.  Foto: Editpress/Tania Feller

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Nach drei Jahren Laufzeit wurde im Studienjahr 2020/21 ein berufsbegleitender Bachelorstudiengang für Sozial- und Erziehungswissenschaften ausgesetzt. Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem ein großer Mangel an Fachpersonal und hochqualifizierten Kräften in den sozialen Berufen, wie etwa jenem des Erziehers, herrscht. Dabei war das Programm, das auf eine Kooperation zwischen der Uni Luxemburg und der „Chambre des salariés“ (CSL) zurückgeht, sehr beliebt bei den berufstätigen Studierenden. Seit diesem Studienjahr wird es unter einer anderen Form wieder angeboten. Doch die CSL zeigt sich unzufrieden mit der neuen Form, da sie ihres Erachtens ungeeignet für Berufstätige ist. Die Arbeitnehmerkammer zieht deshalb ihre Kooperation zurück. Die Uni Luxemburg kann diesen Schritt nicht nachvollziehen. Das Tageblatt hat sich mit beiden Parteien unterhalten.

Das Koalitionsabkommen der Regierung sieht vor, dass Ausbildungsangebote des „Lifelong Learning“ ausgebaut werden sollen. Ein solches Programm, das vier Semester Studienzeit vorsah, war der berufsbegleitende Bachelor in Sozial- und Erziehungswissenschaften. Der Studiengang, der auf eine Kooperation zwischen der Arbeitnehmerkammer (CSL) und der Uni Luxemburg zurückgeht, wurde nach drei Jahren Laufzeit im Studienjahr 2020/21 von der Universität ausgesetzt. Im Dezember 2021 bekam die dritte und letzte Promotion noch ihre Diplome ausgehändigt. Carlo Frising, Vizedirektor der CSL und zuständig für das Lifelong Learning Center (LLLC), sagt im Tageblatt-Gespräch, dass er bis heute nicht nachvollziehen kann, wieso ein derart gut laufendes Programm abgesetzt werden musste.

Wir haben viel Geld in den Studiengang gepumpt, weil es eine Priorität für die Arbeitnehmerkammer war

Carlo Frising, Vizedirektor CSL

„Ohne groß auf die Werbetrommel zu schlagen, hatten wir im ersten Jahr sofort 50 Interessenten für den Studiengang zusammen“, sagt Frising. Aus pädagogischen Gründen, die er nachvollziehen kann, habe die Uni Luxemburg die Zahl der Studierenden auf 25 begrenzen wollen, sagt er. Die Überzahl habe man im folgenden Jahr reingenommen. Um sich für den berufsbegleitenden Bachelor einschreiben zu können, galten folgende Voraussetzungen: ein Diplom als „éducateur gradué“, sechs Jahre Berufserfahrung sowie die Einschreibegebühr von 6.000 Euro. Die CSL beteiligte sich pro Studiengang mit zusätzlichen 100.000 Euro, ohne die der Kurs nicht hätte stattfinden können. „Wir haben viel Geld in den Studiengang gepumpt, weil es eine Priorität für die Arbeitnehmerkammer war“, so Frising.

Carlo Frising ist Vizedirektor der CSL und zuständig für das Lifelong Learning Center
Carlo Frising ist Vizedirektor der CSL und zuständig für das Lifelong Learning Center Foto: Editpress-Archiv

Bevor die Konvention 2016 zwischen der CSL und der Uni Luxemburg unterschrieben wurde, sei der Studiengang laut Carlo Frising auf seine Wissenschaftlichkeit überprüft worden. 2019 folgte für den CSL-Vizedirektor die Ernüchterung: Die Uni teilte ihm mit, dass der Studiengang ein Jahr lang ausgesetzt werde. Diese müsse eine Analyse machen. Zudem besage die Konvention, dass das Programm auf drei Jahre beschränkt ist. „Da waren wir verwundert“, sagt Frising. Ein Jahr aussetzen, das könne man hinnehmen. „Trotzdem, wenn etwas gut läuft, und man setzt es ein Jahr aus, dann hat man einen Bruch.“ Das sei sicherlich nicht der richtige Weg. „Wir waren unzufrieden“, sagt er. Die CSL intervenierte anschließend bei der Uni Luxemburg sowie beim Hochschulministerium. „Aber es passierte nichts“, so Frising.

Lehrzeiten mussten angepasst werden

Die Uni Luxemburg sieht das anders. Das Programm sei nicht abgesetzt, sondern lediglich für ein Jahr ausgesetzt worden, so ein Pressesprecher auf Tageblatt-Nachfrage. Ab dem Studienjahr 2021/22 sei das Programm in einer abgeänderten Form wieder angeboten worden. Beide Studiengänge, der reguläre sowie jener für die berufsbegleitenden Studierenden, wurden zusammengelegt. Dazu musste allerdings der berufsbegleitende Teil etwas umgeändert werden.

Boris Traue, Professor für Soziale Arbeit und Sozialpädagogik an der Uni Luxemburg, ist Studiendirektor des neuen zusammengelegten Programms. Der frühere und der neue berufsbegleitende Teil seien zwei sich leicht voneinander unterscheidende Modelle, sagt er im Tageblatt-Gespräch. Um den jetzigen regulären mit dem aktuellen berufsbegleitenden Teil zusammenzubringen, mussten unter anderem die Lehrzeiten etwas angepasst werden. Im alten Modell mussten sich die Arbeitnehmer an einem Wochentag, meist freitags, in Absprache mit ihrem Arbeitgeber, freinehmen. Weitere Kurse belegten sie samstags und an verschiedenen Abenden. Laut Carlo Frising sei das Feedback dieser arbeitenden Studenten in Bezug auf die Vereinbarkeit stets sehr positiv gewesen.

So haben die Kandidaten die Möglichkeit, Pausen am Arbeitsplatz einzurichten, um am Unterricht teilzunehmen

Prof. Dr. Boris Traue, Professor an der Uni Luxemburg und Studiendirektor des Programms

Beim neuen Modell mussten die Kernzeiten für den berufsbegleitenden Teil des Programms angepasst werden. Neu ist demnach, dass die Kernzeiten an anderthalb bis zwei Tagen während der Woche sind, dass es zusätzliche Kursangebote und Angebote des hybriden Lernens gibt. „So haben die Kandidaten die Möglichkeit, Pausen am Arbeitsplatz einzurichten, um am Unterricht teilzunehmen“, sagt der Professor. Das Grundproblem bei berufsbegleitenden Studiengängen bleibt laut Traue die Vereinbarkeit zwischen Studium und Job. Dies sei eine Herausforderung. Dennoch habe er von den Studierenden durchaus positives Feedback bekommen. „Das läuft gut“, sagt er. Neu ist nun auch, dass die Studierenden, egal für welchen der beiden Teile sie sich entscheiden, stets 200 Euro Gebühren pro Semester entrichten müssen.

Zeitplanung nicht vereinbar für Berufstätige

Für Carlo Frising ist diese neue Zeitplanung nicht vereinbar für berufstätige Studierende. In den Sozial- und Erziehungsberufen werde oft in Schichten gearbeitet. Um regelmäßig an den Kursen teilzunehmen, seien die Studierenden gezwungen, sich mehrmals in der Woche beim Arbeitgeber abzumelden, was ebenfalls schwierig zu organisieren sei. Besser sei es, sich einen ganzen Tag in der Woche abzumelden und an diesem Tag viele Kurse zu belegen. Doch mit dem neuen Zusammenschluss der Studiengänge sei dies so nicht mehr möglich, sagt Frising.

2016 wurde die Konvention zwischen der Uni Luxemburg und der Arbeitnehmerkammer in Anwesenheit folgender Vertreter unterschrieben: Georg Mein, Petra Böwen, Romain Martin, Carlo Frising, Michèle Pisani und Jean-Claude Reding.
2016 wurde die Konvention zwischen der Uni Luxemburg und der Arbeitnehmerkammer in Anwesenheit folgender Vertreter unterschrieben: Georg Mein, Petra Böwen, Romain Martin, Carlo Frising, Michèle Pisani und Jean-Claude Reding. Foto: Editpress-Archiv/Isabella Finzi

Im Februar 2020 stellte der Abgeordnete Sven Clement (Piraten) eine parlamentarische Frage zur Absetzung des Programms. Hochschulminister Claude Meisch erklärte in seiner Antwort, dass man das Studium aussetze, um eine Evaluierung aufzustellen. Auch schrieb der Minister, obwohl die Analyse dazu noch nicht abgeschlossen war, dass man das studienbegleitende Programm mit dem regulären Studiengang zusammenschließen wolle. Hier scheint Meisch der Evaluierung vorgegriffen zu haben, die erst im November 2020 abgeschlossen wurde.

In einer Mail, die dem Tageblatt vorliegt, argumentiert Professor Traue, der 2019 an die Universität Luxemburg berufen und mit der Bewertung des damaligen Programms beauftragt wurde, dass es keine richtige Verbindung zwischen dem berufsbegleitenden Studium und dem regulären gebe. Das seien zwei verschiedene Studiengänge und jener der CSL lasse den Anschluss an die wissenschaftliche Forschung vermissen. Zudem bemängelte die Universität eine scheinbar hohe Anzahl von Lehrbeauftragten sowie die angeblich mangelnde Kontinuität akademischer Lehr-Lern-Beziehungen. Laut Carlo Frising seien damals beim Zustandekommen der Konvention diese Punkte jedoch wissenschaftlich abgeklärt worden. Deshalb verstehe er jetzt nicht, wieso die Uni dies auf einmal als problematisch einstufe.

Bewerbungen sind rückläufig

In einem „Comité de pilotage“, in dem sich verschiedene Akteure, unter anderem auch welche, die der Universität Luxemburg zugeordnet waren, zusammensetzten, wurde laut Frising festgestellt, dass der von der CSL angebotene Studiengang wissenschaftlich genug sei, um dem Anspruch eines Bachelors gerecht zu werden. Zudem sei dort hervorgehoben worden, dass die Arbeiten der Studierenden sehr gut ausgefallen seien. Manche erhielten Auszeichnungen, so der CSL-Vizedirektor. „Im ‚Comité de pilotage‘ hat niemand richtig verstanden, was los ist“, sagt er.

Das sind nicht mehr viele, wenn man bedenkt, dass wir nun am Anfang des zweiten von vier Semestern stehen

Carlo Frising, Vizedirektor CSL

Im alten Programm seien laut Zahlen der Uni Luxemburg die Bewerbungen für den rein berufsbegleitenden Teil zwischen 2017 und 2019 von 80 auf 45 zurückgegangen, die Anzahl der akzeptierten Studierenden von 25 auf 18 pro Jahrgang. Im neuen zusammengelegten Modell habe es im ersten Jahr, also 2021/22, 20 Kandidaten für den berufsbegleitenden Teil gegeben. 16 davon wurden für das Studium angenommen und sechs von ihnen haben den Studienplatz nicht angenommen oder gaben im Laufe des Studienjahres auf. Demnach seien noch zehn Kandidaten dabei. „Das sind nicht mehr viele, wenn man bedenkt, dass wir nun am Anfang des zweiten von vier Semestern stehen“, so der CSL-Vizedirektor.

Prof. Dr. Boris Traue, Professor für Soziale Arbeit und Sozialpädagogik an der Uni Luxemburg, ist Studiendirektor des neuen zusammengelegten Bachelors der Sozial- und Erziehungswissenschaften
Prof. Dr. Boris Traue, Professor für Soziale Arbeit und Sozialpädagogik an der Uni Luxemburg, ist Studiendirektor des neuen zusammengelegten Bachelors der Sozial- und Erziehungswissenschaften Foto: Uni Luxemburg

„Im Vergleich dazu gab es 2020/21 rund 150 Interessente“, so der CSL-Vizedirektor. Diese Zahl nannte auch Petra Böwen, ehemalige Leiterin des „PraxisBüro“ der Uni.lu und damalige Studiendirektorin des berufsbegleitenden Programms in einem Tageblatt-Gespräch Anfang Februar. Es blieb allerdings bei den Interessenten, denn in jenem Studienjahr wurde das Programm schließlich ausgesetzt. Die Uni Luxemburg kann diese Zahlen nicht bestätigen, da sie Interessensbekundungen nicht zählt und es keine Einschreibungen mehr für das Programm gegeben habe. Ende Februar 2022 stellte die LSAP-Abgeordnete Simone Asselborn-Bintz mit Referenz auf das Tageblatt-Gespräch mit Petra Böwen Anfang Februar die Frage nach den Gründen für die Aussetzung des berufsbegleitenden Studiengangs. Die Antwort des Hochschulministers steht noch aus.

Keine zusätzlichen Arbeitskräfte

Dass die Zahlen gegenüber dem alten Programm abgenommen haben, kann auch Boris Traue feststellen. Woran das nun liege, sei nicht ganz klar. Einerseits könne man dies auf den begrenzten Bedarf für solch ein berufsbegleitendes Bachelorstudium zurückführen. Andererseits sollte man auch die Frage nach der Vereinbarkeit zwischen Studium und Beruf stellen. Diese sei in jedem berufsbegleitenden Studium eine Schwierigkeit. „Wir denken aber, dass der Bedarf weiterhin da ist und ein qualitativ hochwertiges Angebot den Studierenden zur Verfügung steht.“ Prinzipiell freue er sich über das öffentliche Interesse für den Studiengang. Er sagt aber auch, dass Interesse auch immer Kontroverse bedeute. „Diskussionen über hochschulpädagogische Konzepte und Angebote gehören zu einer vielfältigen Hochschullandschaft“, so Traue.

Entgegen anderslautender Framings bildet der berufsbegleitende Anteil des Studiengangs eben keine zusätzlichen Arbeitskräfte aus, da diese Personen ja bereits im sozialen Sektor arbeiten

Prof. Dr. Boris Traue, Professor an der Uni Luxemburg und Studiendirektor des Programms

„Entgegen anderslautender Framings bildet der berufsbegleitende Anteil des Studiengangs eben keine zusätzlichen Arbeitskräfte aus, da diese Personen ja bereits im sozialen Sektor arbeiten“, sagt der Professor. Die Gesamtzahl der im Studiengang ausgebildeten Personen sei für die Stillung des Bedarfs an Arbeitskräften aussagekräftiger. Für ihn geht es bei der Frage des berufsbegleitenden Studiums vielmehr um die Höherqualifizierung von engagierten Fachkräften, außerdem um gesteigerte Bildungschancen von Berufstätigen sowie um eine inklusivere Hochschule. Wie das Hochschulministerium die Situation um die unterschiedlichen Sichtweisen einschätzt, konnte das Tageblatt nicht erfahren. Auf Nachfrage verwies der Pressesprecher auf die pädagogische, administrative, wissenschaftliche und finanzielle Autonomie der Uni.

Auf Bachelorniveau brauche man rund 700 Kandidaten, sagt Carlo Frising. Er beruft sich dabei auf den Newsletter des „PraxisBüro“ der Uni: „Der Arbeitsmarkt der sozialen Arbeit 2019“. Der Mangel sei offensichtlich. Das Problem werde durch solche Entscheidungen keineswegs gelöst.