„A vos côtés“Diskutieren, vermitteln, helfen: Die grünen Helfer von der „Gare“

„A vos côtés“ / Diskutieren, vermitteln, helfen: Die grünen Helfer von der „Gare“
Sie sind täglich im Bahnhofsviertel unterwegs Foto: Inter-Actions

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Seit Dezember drehen Mitarbeiter des neuen Sozialdienstes „A vos côtés“ (AVC) ihren Runden im Bahnhofsviertel. Die neue Aktion werde gut von den Anwohnern angenommen, heißt es von offizieller Seite, die Initiative erfahre schon nach kurzer Zeit ein positives Echo. Ein Ortsbesuch.

In ihren grünen Jacken bleiben die Mitarbeiter von „A vos côtés“ nicht unbemerkt, und das soll auch so sein. Präsenz zu zeigen und dadurch den Anwohnern ein Gefühl von Sicherheit zurückzugeben, ist eines der Ziele der Aktion. Die Tour von Tommy, Mélanie und David führt uns von der Zentrale von „A vos côtés“ die Straßburger Straße hinunter. Das Lokal ist strategisch optimal gelegen: Jeder Hotspot des Viertels lässt sich in ein paar Minuten zu Fuß erreichen und nach ein paar Metern sind wir bereits bei einem solchen. 

Der Vorplatz der Garer Grundschule, Ecke Straßburger Straße und rue du Fort Wedell, war viele Jahre ein Tummelplatz von Drogenabhängigen und Dealern. In dieser Hinsicht ist es vor der Schule wesentlich ruhiger geworden, auf jeden Fall am Tag meines Besuchs. Ob das nun Zufall ist oder tatsächlich der Aktion „A vos côtés“ geschuldet ist, ließe sich wohl nur durch eine direkte Befragung der Dealer und ihrer Klienten herausfinden.

Obwohl sie nicht aktiv den Drogenhandel unterbinden, genüge schon ihr Auftauchen, sagt Tommy, einer der sieben AVC-Leute, die jeden Tag im Viertel ihre Runden drehen. „Wir brauchen uns nur auf die gegenüberliegende Straßenseite zu stellen und sie demonstrativ anzuschauen, dann gehen sie schon weg.“ Tommy wie auch seine Kollegen sind im Viertel Gare oder Bonneweg groß geworden, sie kennen also die Plätze genau, wo ihre Präsenz wichtig sein könnte.

„Die Drogendealer sollen sehen, dass es kein gutes Viertel für sie ist“, sagt der Sozialschöffe Maurice Bauer im Vorfeld zu dem Projekt. Dass diese sich nicht in Luft auflösen werden, weiß er auch nur zu gut und meint, dass in Sachen Drogenpolitik wie auch Prostitution noch weit mehr getan werden müsse.

Und ganz offensichtlich kennen schon viele Leute im Viertel die „grünen Männchen“. Man begrüßt sie, man bleibt stehen und spricht miteinander. „Die Verankerung im Viertel war uns von Anfang an wichtig“, sagt der Direktor von Inter-Actions Roger Faber. „Deshalb gab es schon vor dem Start des Projekts Diskussionen mit den Bewohnern des Viertels darüber.“ Die Forderung nach dem tödlichen Vorfall in Bonneweg, es müsse mehr vernetzt gearbeitet werden, versteht er nicht. „Diese Vernetzung besteht schon. Alle sozialen Einrichtungen arbeiten Hand in Hand, sowohl mit der Polizei wie auch mit den Schulen.“

Christof Mann, Direktionsbeauftragter der hauptstädtischen Sozialdienste, wies im Vorgespräch darauf hin, dass das Angebot, so groß es auch ist, nie ausreiche, da jeder frei ist, das Angebot, wie z.B. ein Jugendhaus, abzulehnen.

Essen für Obdachlose

Präsenz zeigen und zwischen Problemfällen und „normalen“ Bewohnern des Viertels in Konfliktsituationen vermitteln, so resümiert der Verantwortliche von AVC Ernest Dupljak den sozialen Auftrag. Und diese Vermittlung nimmt die verschiedensten Formen an. „Das Geschäft da vorne“, Tommy zeigt auf einen Zeitungsladen in der Straßburger Straße, der auch Snacks verkauft, „stellt abends nach Feierabend seine übriggebliebenen Nahrungsmittel Obdachlosen zu Verfügung. Der Besitzer gibt sie uns und wir geben sie weiter.“ Ein paar Meter weiter gibt es einen Schnellimbiss, der das Gleiche tut. Der verteilt sie allerdings selbst. „Wir geben die Information an Obdachlose weiter“, sagt Mélanie, die einzige Frau im Team der grünen Helfer.

Auf ihrer Runde treten sie in diesen und jenen Laden ein, grüßen und fragen nach etwaigen Problemen. „Eine Geschäftsfrau hat uns schon mal gebeten, sie nach Ladenschluss mit ihrem Tageserlös zur Bank zu begleiten“, sagt Tommy. „Sie war aus einer Parfümerie“, ergänzt Mélanie. „Ja, solche Details entgehen mir“, scherzt Tommy. Die Stimmung in der Gruppe ist offensichtlich gut. 

„Mehr als einmal sind wir schon von Bewohnern angehalten worden, die uns sagten, dass sie froh sind, dass wir im Viertel sind. Das zu hören, macht uns einfach glücklich“ sagt Tommy. Sein Gesichtsausdruck verrät: Das ist keine Floskel. „Oder es gibt ein Daumen-hoch-Zeichen von der anderen Straßenseite. Man sieht, dass unsere Präsenz die Leute freut.“

Wir machen kehrt und gehen in Richtung avenue de la Liberté zurück. In der Mitte der Straßburger Straße kommt es zum Gespräch mit einem der dortigen Geschäftsleute. Er erzählt Ernest, der sich zu uns gesellte, wie Obdachlose wiederholt eine Absperrung bei seinem Laden beschädigten, um in einen wärmeren Innenbereich zu gelangen. Der Mann hat nichts dagegen, dass sie sich dort aufhalten: „Aber warum machen sie Sachen kaputt?“

Multikulturell

Mit den zahlreichen Nationalitäten ins Gespräch kommen will die Initiative über die Mehrsprachigkeit ihrer Angestellten. In der Gruppe wird Italienisch, Portugiesisch, Serbisch, Russisch, Spanisch und Luxemburgisch gesprochen. „Wir wollten unbedingt noch eine Rumänisch sprechende Person, wegen der Prostituierten im Viertel“, sagt Roger Faber. Das sei aber nicht gelungen. Da die Prostitution ein Teil des Problems im Viertel sei, müsse auch mit diesen Frauen kommuniziert werden. 

Prävention und pro-aktive Vermittlung gehören zum Job. Ihre Tour führt die Gruppe auch an Spielplätzen vorbei, wie dem in der Straßburger Straße. Vorige Woche hätten hier einige ältere Herren gesessen. Sie hätten diese darauf aufmerksam gemacht, dass das vielleicht nicht erwünscht sei. Bei älteren Herren, die kleinen Kindern beim Spielen zu sehen, würden doch einige Eltern nervös werden.

Die Polizei alarmieren sei das letzte Mittel, wenn alle Mediation versagt, sagt Ernest. „Erst mal mit den Leuten reden, da lässt sich schon viel regeln.“ Bei unserer Runde tritt er in ein Kleidergeschäft in der avenue de la Gare und spricht kurz mit der Geschäftsführerin. „Vor kurzem hat sich hier in diesem Geschäft ein Betrunkener auf den Boden gelegt und die Angestellten konnten ihn nicht aus dem Laden bewegen. Wir haben geholfen, den Mann dann rausgebracht“, erklärt Mélanie.

Teil ihrer Ausbildung sei neben Anti-Aggressions-Verhalten und Mediation auch erste Hilfe gewesen. Mit den Betrunkenen im Viertel ist das auch nötig. „Wenn wir jemanden sehen, der auf dem Boden liegt, gehen wir hin und schauen, ob alles in Ordnung ist. Es ist unglaublich, wie viele Leute in einem solchen Fall vorbeigehen und sich nicht darum kümmern, ob die Person vielleicht Hilfe braucht“, sagt Ernest.

Ein großer Teil ihrer Arbeit besteht in der Vermittlung zu anderen Sozialdiensten der Stadt. „Kürzlich habe ich einen Mann auf der Straße gefunden, der gerade in Luxemburg angekommen war. Der habe draußen geschlafen, weil er nicht wusste, wo es Übernachtungsmöglichkeiten gibt.“ Er habe ihm eine entsprechende Adresse gegeben.

Nach 20 Minuten sind wir wieder am Ausgangspunkt. Ob sie den ganzen Tag draußen seien, wollte ich wissen. „Oh ja“, sagt Mélanie. „Man hat ausgerechnet, dass wir um 19 Kilometer am Tag zurücklegen.“ Wie ihnen ihre Arbeit gefällt, frage ich. „Arbeit“, sagt Ernest. „Es ist für uns keine Arbeit, wir machen es wirklich gerne.“

Die positiven Rückmeldungen zur Initiative, aber auch die tödliche Messerattacke in Bonneweg haben den Schöffenrat dazu bewogen, die Initiative jetzt schon auf Bonneweg auszuweiten, vorausgesetzt der Gemeinderat gibt seine Zustimmung. Falls alles läuft wie geplant, könnte „A vos côtés“ im Juni das erste Mal in Bonneweg zirkulieren, sagt Roger Faber. „Dies ist eine neue Art von Sozialarbeit“, sagt Maurice Bauer. „Ich kann mir vorstellen, dass dies wegweisend ist und andere Städte das Modell übernehmen werden.“ Am kommenden Montag steht die Ausweitung des Projekts auf Bonneweg auf der Tagesordnung des hauptstädtischen Gemeinderats.

Das Lokal von „A vos côtés“ befindet sich in der 21, rue de Strasbourg. Ein Mitarbeiter ist von Montag bis Samstag von 11.00 bis 22.00 Uhr unter der Nummer 26 29 61 28 erreichbar.

Umfrage

Die Sicherheit und das Sicherheitsgefühl der Garer Einwohner ist seit Monaten Gegenstand einer Polemik. Vor allem stand der hauptstädtische Schöffenrat wegen einer privaten Sicherheitsfirma, die im Viertel patrouilliert, unter Beschuss.

Bürgermeisterin Lydie Polfer hat am Freitag das Ergebnis einer Umfrage vorgestellt, bei der Mitte Februar 511 Bewohner des Viertels bezüglich ihres Sicherheitsgefühls befragt wurden. 6 von 10 Befragten gaben an, dass sie die Sicherheitslage schlecht oder sehr schlecht einschätzen. 4 von 10 sagten, sie seien persönlich in einer Situation gewesen, in der sie sich im Bahnhofsviertel unsicher gefühlt haben.

83 Prozent gaben an, sie seien der Meinung, es müsse etwas im Viertel getan werden, um das Sicherheitsgefühl zu steigern.

Schließlich gaben 68 Prozent an, die Präsenz einer privaten Sicherheitsfirma habe ihr Sicherheitsgefühl gesteigert.