Prozess Gaston VogelDie Würfel sind gefallen – Freispruch für alle Angeklagten

Prozess Gaston Vogel / Die Würfel sind gefallen – Freispruch für alle Angeklagten
Es würde sich nicht mit dem Kern des Problems beschäftigt, sagt Gaston Vogel, nämlich mit den Machenschaften, wie zum Beispiel dem Menschenhandel, der organisiert operierenden Bettlerbanden in der Hauptstadt Foto/Fabrizio Pizzolante

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Laut Anklage ging es um Diskriminierung und Aufruf zu Hass und Gewalt. Von diesem Vorwurf wurden Anwalt Gaston Vogel sowie mitangeklagte Medien am Freitag freigesprochen. Zu Recht sagen die Verteidiger. Das Problem aber, das der ganzen Diskussion zugrunde zu liegen scheint, nämlich das auch von Polizeiermittlern bestätigte, mitunter kriminelle Gebaren von organisierten Bettlerbanden, ist damit nicht gelöst.  

„Wir freuen uns über diese Entscheidung. Es ist, was wir uns erhofft und erwartet haben. Es ist auch die einzig angebrachte und annehmbare Entscheidung für unseren Mandanten.“

Me Anne Prüm, Vertreterin der Verteidigung von Anwalt Gaston Vogel, wirkt erleichtert, als sie am Freitagnachmittag diese Sätze ins Mikrofon spricht. Wenige Minuten zuvor hat das Gericht den 84-jährigen, prominenten Anwalt von den Vorwürfen der Diskriminierung und des Aufrufs zu Hass und Gewalt in erster Instanz freigesprochen.

Zur Klage hat ein offener Brief geführt. In ihm hatte sich Gaston Vogel im August 2015 (!) über, seiner Auffassung nach, aus Rumänien stammende Bettler und deren organisierte kriminelle Machenschaften in der Hauptstadt und das Nichtstun der Justiz in dem Zusammenhang aufgeregt.

Auch Medien freigesprochen

Einen Freispruch gab es vor Gericht auch für die mitangeklagten Medien, RTL (CLT-UFA) sowie ein Redaktionsmitglied des damals noch in Papierform erschienenem Lëtzebuerger Journal. Sie saßen mit auf der Anklagebank, weil sie Gaston Vogels Schreiben damals als Leserbrief abgedruckt hatten, sich also im Sinne der Anklage sozusagen zu Mittätern, ergo mitschuldig gemacht hatten. Me Pol Urbany, der Anwalt von RTL, freut sich über den Freispruch. „Es ist das, womit ich fest gerechnet habe“, sagt er am Telefon auf Nachfrage des Tageblatt hin. Bereits während des Prozesses hatte er die Bedeutung der Meinungs- und Pressefreiheit hervorgehoben. „Eine Demokratie muss Kritik aushalten und damit umgehen können.“

Keiner der Angeklagten war am Freitag bei der Urteilsverkündung dabei. Müssen sie auch nicht, deshalb konnte man von ihrem Fernbleiben ausgehen. Vom Freispruch dürften sie von ihren Anwälten erfahren haben.

Und was nun? Die Anwälte der Angeklagten werden aus verständlichen Gründen nicht in Berufung gehen. Abzuwarten bleibt, ob die Staatsanwaltschaft dies binnen der Frist von 40 Tagen macht. Gegen Gaston Vogel hatte der Vertreter der Anklage eine angemessene Geldstrafe verlangt. Für die mitangeklagten Medien sollte, im Fall einer Verurteilung, das Urteil ausgesetzt werden, was einem Quasi-Freispruch gleichkommt.

So weit, so gut. Abhaken sollte man den Fall trotzdem nicht. Denn der Freispruch ist das eine. Das andere sind die Gründe, die Gaston Vogel als Anwalt und Bürger im August 2015 offensichtlich dazu geführt haben, seinen offenen Brief zu schreiben.

Problem nicht gelöst

Darüber wurde lange vor Gericht diskutiert. Es seien berechtigte Gründe gewesen, konnte man die Ausführungen von Gaston Vogel und seiner Verteidiger verstehen. Ja, der Brief habe wachrütteln sollen. Er habe schockieren wollen, deshalb die harten Worte, diese seien aber keinesfalls rassistisch oder fremdenfeindlich gemeint gewesen. Keine Absicht, zu diskriminieren oder zu Hass oder Gewalt aufzurufen. Er habe einzig und allein die öffentliche Debatte, über ein ganz bestimmtes Bettlertum, nämlich die organisierten Bettlerbanden, beleben wollen.

Mehrere Gründe scheinen dafür gesorgt zu haben, dass Gaston Vogel der Kragen geplatzt ist.

Die Politik, zum Beispiel, die in der Sache seit jeher sehr zögerlich agiere, um der Sache Herr zu werden, und den Handlungsspielraum von Polizei und Justiz durch fehlende oder unzureichende Gesetzestexte einschränken würde.

Dann aber auch, weil die kriminellen Machenschaften der organisierten Bettlerbanden bekannt seien und gewusst sei, wer die Verantwortlichen oder die Drahtzieher seien. Menschenhandel ist ein Wort, das in dem Kontext während des Prozesses öfters gefallen ist. Er habe nichts gegen Bettler und nichts gegen das Volk der Roma, sagt Gaston Vogel vor Gericht, aber ihm seien Menschenhandel und jene, die ihn betreiben, zuwider, wiederholt er am Freitagnachmittag in einem kurzen, aber von der Lautstärke her sehr intensiven Telefongespräch.

Die Problematik der in Gruppen operierenden Bettlerbanden, die Gaston Vogel anprangert, ist während des Prozesses von den Ermittlern sowie von Hauptstadt-Bürgermeistern Lydie Polfer und Schöffe Laurent Mosar nicht dementiert worden. Im Gegenteil, die Situation sei seit 2015 nicht besser geworden.

Auch der Freispruch am Freitag vor Gericht dürfte daran nichts ändern. Das Problem scheint nach wie vor nicht gelöst.

Patrick W.
13. November 2021 - 12.15

E Ruck no "riets" vun der Justiz mam homme de "gauche".

Jacques Zeyen
13. November 2021 - 8.50

Bravo. Es wäre ein fatales Signal gewesen wenn Bürger mit Zivilcourage von der Justiz einen Maulkorb angelegt bekämen,nur weil sie sich die Leber freigeredet (geschrieben) haben. " Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht den" Missständen" entgegensetzen,wenn der Zorn ihr dienstbar zur Seite steht." ( Gregor der Große)und dabei ist die "political correctness"eher hinderlich,auf Dauer jedenfalls wenn bei den Debatten nichts herauskommt.Schon Jefferson meinte,dass es die Pflicht eines jeden Bürgers wäre bei Ungerechtigkeiten aufzustehen und lauthals zu protestieren. Die Kläger werden es sich zweimal überlegen wenn sie nächstes Mal einen Gesellschaftskritiker via Klage mundtot machen wollen.