MeinungDie verhängnisvolle EU-Lieferkette

Meinung / Die verhängnisvolle EU-Lieferkette
Ein Containerschiff liegt am Terminal im Hafen: Die Firmen laufen Sturm gegen verschärfte Lieferkettenvorgaben Foto: dpa/Christian Charisius

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Das Ziel ist prima, doch der Weg zu besseren Standards bei Klima und Menschenrechten droht in der jetzt vom Europa-Parlament beschlossenen Lieferketten-Gesetzgebung in eine Sackgasse zu führen: Weltweit ändert sich nichts, aber immer mehr EU-Firmen sind aus dem Spiel, kommentiert unser Brüssel-Korrespondent Gregor Mayntz.

Wer soll schon etwas dagegen haben, wenn jeder beim Einkaufen ein gutes Gefühl haben kann? Wenn sich alle in Europa darauf verlassen können, dass nirgendwo Kinderarbeit oder Klimaverbrechen im Spiel waren, egal ob sie ein Hemd, einen Rechner oder ein Auto kaufen?

Und doch laufen die Firmen Sturm gegen verschärfte Lieferkettenvorgaben, wie sie am Donnerstag von einer Mehrheit des Europa-Parlamentes auf den Weg gebracht wurden. Tun die Betriebe das aus Profitgier? Weil ihnen die Sensibilität fehlt für die prekären Verhältnisse in vielen Herkunftsländern? Nein, weil sie zu Recht befürchten, dass es die Europäische Union mal wieder überzieht.

Brüssel kann, mit Zustimmung der EU-Mitgliedsländer, lediglich Vorschriften für die 451 Millionen Menschen in der EU erlassen. Für die 7.549 Millionen Menschen außerhalb der EU jedoch nicht. Damit die Welt jedoch auch dort genauso ist, wie es sich die EU wünscht, hat sie sich den Hebel des Sorgfaltspflichtengesetzes ausgedacht.

Die EU setzt hier eine Bürokratiekostenkette gleich mit auf den hehren Weg des guten Gefühls

Wer also innerhalb der EU Waren anbietet, soll künftig darauf verpflichtet werden, dafür zu sorgen, dass überall, wo irgendetwas dafür an Rohstoffen gewonnen, weiterverarbeitet oder zusammengeschraubt, damit gehandelt oder am Ende entsorgt wird, die von der EU verlangten Mindeststandards eingehalten werden. Schon der pure Größenvergleich zeigt, dass sich die EU daran verheben muss. Erst recht, wenn sie die Ausführung nicht-staatlichen Akteuren, sprich Betrieben in der EU, überträgt.

Die große Beruhigung der Befürworter dieser EU-Regeln besteht in dem Verweis, dass ja nur „große“ Firmen in die Pflicht genommen würden. Da sind nicht nur Zweifel erlaubt, ob alle Betriebe schon mit 250 Mitarbeitern „groß“ genannt werden sollten. Da geht es auch um die Systematik der Kette. Denn die „Großen“ müssen natürlich jeden „kleinen“ Zulieferer darauf verpflichten, bei jedem Gramm Kupfer, aus dem er seine Schrauben dreht, den Nachweis vorzuhalten, dass es nicht aus irgendeiner problematischen Grube in Afrika stammt. Wäre das nicht der Fall, wäre es keine Kette. Insofern setzt die EU hier eine Bürokratiekostenkette gleich mit auf den hehren Weg des guten Gefühls.

Die Größenverhältnisse mit der an Einfluss verlierenden EU beziehen sich nicht nur auf die Bevölkerungsverteilung. Auch die Wertschöpfungs-Verteilung hat sich massiv verändert. 1970 hatte die EU noch mehr als ein Drittel der Weltwirtschaftskraft, aktuell bereits weniger als ein Viertel. Zudem nimmt die Zahl der autoritär regierten Staaten zu. So wächst schon in der Theorie die Wahrscheinlichkeit, dass problematisch produzierte Produkte eben andere Abnehmer finden, sich also an den Verhältnissen in der Welt nichts ändert. Und praktisch trägt die EU so dazu bei, dass ihre Betriebe gegen die Wettbewerber in der Welt immer häufiger den Kürzeren ziehen.

Was Kommission und Parlament hier auf den Weg gebracht haben, ist ein Beispiel dafür, was die EU im eigenen Interesse gerade nicht tun sollte. In den nun folgenden Verhandlungen muss der Rat der Mitgliedsregierungen das Lieferketten-Projekt also vom Kopf auf die Füße stellen.