ZeitgeschichteDie Verfolgung Schwarzer Menschen im besetzten Luxemburg (1940-1944)

Zeitgeschichte / Die Verfolgung Schwarzer Menschen im besetzten Luxemburg (1940-1944)
Anordnung des Chefs der Zivilverwaltung an die Polizeidirektion und Landräte zur Ausführung des Reichsdeutschen Erlasses zur „Erfassung der Neger und Negermischlinge“ (28.10.1942)  Privatsammlung François Hausemer

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Die Verfolgung Schwarzer Menschen während der deutschen Besatzung 1940 bis 1944 zählt bis heute zu einem, von der Luxemburger Forschung, weitestgehend ignorierten Themenbereich. Der 2017 veröffentlichte Dokumentarfilm „Schwaarze Mann. Un noir parmi nous“ von Franz Hausemer setzte sich erstmalig mit einem der Opfer auseinander. Die rezenten Forschungen des „Musée national de la Résistance“ widmen sich intensiv dem Schicksal der wohl wahrscheinlich kleinsten NS-Opfergruppe im Land.

Ein Großteil der Schwarzen Bürger, die während der Vorkriegszeit in Luxemburg lebten, waren Sprösslinge von Luxemburgern, die in den Kolonien oder im Ausland mit einheimischen Kolonialangehörigen gezeugt worden waren. Die Kinder aus diesen Beziehungen kamen meistens bereits in jungen Jahren nach Luxemburg und verbrachten ihre Kindheit in einer Gesellschaft, die Schwarze als „exotisch und fremd“ ansah. Die Kontakte der luxemburgischen Bevölkerung mit Schwarzen beschränkten sich hauptsächlich auf regelmäßig auftretende Künstler und Boxer aus den Vereinigten Staaten, die als Schausteller in Shows oder Wettkämpfen in Luxemburg auftraten. Auch Völkerschauen („Menschenzoos“) machten in Luxemburg Halt. Die Schwarzen Luxemburger litten oft unter der strukturellen Diskriminierung seitens der Gesellschaft.

Nach der Besetzung Luxemburgs durch die Wehrmacht und der Einführung von Gauleiter Gustav Simon als Chef der Zivilverwaltung wurde das deutsche Recht im Großherzogtum eingeführt. Obwohl die Nürnberger Rassengesetze hauptsächlich gegen die jüdische Bevölkerung gerichtet waren, galten auch Schwarze als „fremdblütig“ und waren somit von diesen betroffen. Schwarze verloren ihre Anstellung und wurden teilweise aus dem öffentlichen Leben verbannt. Dabei war nicht nur ihre Hautfarbe Ursache für den Hass gegen sie, sondern auch eine stereotypische Propaganda, die während des Ersten Weltkrieges ihren Ursprung fand: Schwarze wurden als „unzivilisierte Barbaren“, die „weiße Frauen vergewaltigen“, dargestellt.

Nach der Machtergreifung 1933 hatten die Nationalsozialisten mit der Zwangssterilisation der Kinder von Kolonialsoldaten und weißen Frauen im Rheinland begonnen. Später war die Zwangssterilisation auf alle Schwarze des Deutschen Reiches ausgeweitet worden.

Auch in Luxemburg wollte Gauleiter Gustav Simon die Schwarzen nicht länger dulden. Der Luxemburger Jacques Leurs beispielsweise wurde als einer der ersten „Mischlinge“ Opfer der NS-Rassenpolitik im Land. 1940 verlor er seinen Beamtenstatus bei der Bahn. Im Juni 1941 wurde er wegen seiner „Mischlingseigenschaften“ entlassen und musste fortan Zwangsarbeit bei der Arbed leisten. Ab Oktober 1942 wurde er wegen seiner Ehe mit der weißen Luxemburgerin Léonie Reinert stark unter Druck gesetzt. Ihnen wurde mit einer Zwangsauflösung ihrer Ehe und der Kastration von Jacques Leurs gedroht. Die Familie musste mehrmals unter Zwang der Ortsgruppenleitung und der Zivilverwaltung umziehen. Einen gewissen Schutz bot Jacques Leurs jedoch seine luxemburgische Staatsangehörigkeit, die ihn vorübergehend vor Schlimmerem bewahrte.

Neben der Diskriminierung und der Zwangssterilisation versuchten die Nationalsozialisten durch Zwangsausweisungen, sich dem „Schwarzenproblem“ zu entledigen. In Luxemburg-Stadt wurden bereits im Sommer 1941 – auf Nachfrage der örtlichen NSDAP – die dort lebenden Schwarzen erfasst. Nach dieser Erfassung bat die Zivilverwaltung im August 1941 um die Ausweisung des arbeitslosen US-amerikanischen Musikers Charles G., der seit 1924 in Luxemburg lebte. G. sollte nach Französisch-Nordafrika oder andernorts ausgewiesen werden. Bis dahin wurde er zur Zwangsarbeit verpflichtet. Der Ausweisungsprozess sollte sich jedoch so lange hinziehen, dass die deutsche Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten im Dezember 1941 eine andere Lösung anbot. Als Zivilist einer Feindesmacht wurde G. in Bayern gemeinsam mit anderen US-Bürgern zwangsinterniert. Auch in Elsass-Lothringen befahl der dortige Gauleiter eine Zwangsausweisung aller Schwarzen.

Der Reichserlass vom 10. Oktober 1942 zur „Erfassung der Neger“ galt als Höhepunkt der NS-Repressionspolitik gegen die Schwarzen. Im gesamten Deutschen Reich und den besetzten Gebieten sollten die Informationen jeglicher Schwarzer und Mischlinge gesammelt und an das Reichsicherheitshauptamt in Berlin geschickt werden. Es folgten Zwangsausweisungen und Sterilisationen. Einige kamen in Konzentrationslager, andere wiederum überlebten den Krieg ohne größere Schäden.

Auch der 11-jährige Jean-René K. wurde im Oktober 1942 erfasst. Im Kontext der „endgültigen Bereinigung“ Luxemburgs versuchten die Nazis im März 1943, Jean-René K., der belgischer Staatsangehöriger und Sohn eines Luxemburger Kolonisten war, auszuweisen. Versuche der belgischen Autoritäten, diese Ausweisung zu verhindern, scheiterten. Im Februar 1944 musste K. das Land auf Anordnung der Sicherheitspolizei verlassen. Seiner Großmutter gelang es jedoch, den jungen K. in einem adäquaten Heim in Belgien unterzubringen und ihn selbst dorthin zu eskortieren.

Nach der Befreiung kehrten einige der Verfolgten in eine Nachkriegsgesellschaft zurück, die sie weiterhin als „fremd“ ansah. Dies führte dazu, dass lediglich Jacques Leurs letzten Endes im Land verblieb. Nach dem Krieg wurden die Schwarzen aufgrund ihrer geringen Anzahl als Opfergruppe einfach „vergessen“.

Nachforschungen zur Verfolgung Schwarzer Menschen in Luxemburg

Ein Teil der Forschungsergebnisse des Autors werden demnächst in der Ausstellung „Luxemburgs koloniale Vergangenheit“ und dem dazugehörigen Ausstellungsband des „Musée national d’Histoire et d’Art“ veröffentlicht. In der Ausstellung soll der Kolonialismus in der luxemburgischen Gesellschaft thematisiert werden. Das Schicksal der Schwarzen wird auch Bestandteil der neuen Dauerausstellung des „Musée national de la Résistance“ sowie einer vom Museum für 2023 geplanten temporären Ausstellung zu den „Vergessenen Opfergruppen“ sein.


* André Marques studierte Geschichte an der Universität Luxemburg und an der Prager Karls-Universität. Seit 2020 absolviert er ein Volontariat im „Musée national de la Résistance“ in Esch/Alzette.
** Der Autor dankt den Historikern Jérôme Courtoy, Elisabeth Hoffmann und Steve Devé für ihre Ratschläge und Korrekturen.

Robert Hottua
10. Oktober 2021 - 15.12

Eine bisher ebenfalls vergessene NS-Opfergruppe in Luxemburg ist die der Euthanasieopfer. Seit mehr als zwanzig Jahren weise ich aus Schuld, Scham und Pflicht auf die bisher unterbliebene Kenntnisnahme dieser rassenhygienischen Opfer in Luxemburg hin. Der Medizinhistoriker Matthias Klein weist in seinem Buch "NS-Rassenhygiene im Raum Trier" auf Seite 315 darauf hin, dass die Ettelbrücker psychiatrische Anstalt seit dem 22. September 1942 der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Düren unterstellt war. Die Dürener Anstalt war ein Euthanasietatort. (cf. Mord im Zeichen des Aeskulabstabes in der Aachener Zeitung). MfG Robert Hottua