ZeitgeschichteDie Verfolgung homosexueller Männer in Luxemburg (1941-1944)

Zeitgeschichte / Die Verfolgung homosexueller Männer in Luxemburg (1941-1944)
Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiet der Strafrechtspflege vom 4. März 1941, in: Verordnungsblatt für Luxemburg 18 (4.3.1941), S. 127 f.

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Die Homosexuellen-Verfolgung im von Nazideutschland besetzten Luxemburg ist ein von der Luxemburger Forschung weitestgehend ignorierter Themenbereich. Nur wenige Initiativen, darunter die Gestapo-Ausstellung des „Musée national de la Résistance“, versuchten sich mehr oder weniger intensiv mit dem Schicksal homosexueller Männer zwischen 1941 und 1944 auseinanderzusetzen.

Gleichgeschlechtliche Beziehungen unter Männern waren im Vorkriegsluxemburg ein Tabuthema. In dem auf Napoléon Bonaparte gründenden Rechtssystem des Landes war die Homosexualität straffrei geblieben. Ihre Tabuisierung führte jedoch zu etlichen Vorurteilen, die unter anderem darin mündeten, Homosexuelle mit sogenannten „Jugendverderbern“ und Pädophilen gleichzustellen.

Die Furcht vor Homosexualität ging dabei so weit, dass bereits das Wissen darüber, so der Volksglaube, zu gleichgeschlechtlichen Handlungen führen könnte. Ihre Ahndung oblag dabei – sofern kein reelles strafrechtliches Vergehen vorlag – weniger der Justiz, sondern vielmehr der im Land dominierenden katholischen Kirche. Sie sorgte u.a. für den sozialen Ausschluss (angeblich) homosexueller Männer. Obwohl bis 1941 kein Gesetz die Homosexualität im Land offiziell ahndete, sollten mit der Einführung des Gesetzes über die Fremdenpolizei von 1913 auch homosexuelle Ausländer Opfer von Polizeiaktionen und des Landes verwiesen werden.

Erst mit der Einführung der §§175 und 175a des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), im März 1941, wurden gleichgeschlechtliche Beziehungen unter Männern in Luxemburg von den deutschen Besatzern unter Strafe gestellt. Damit stieß der in Luxemburg zuständige Chef der Zivilverwaltung, Gauleiter Gustav Simon, deutlich früher als seine Amtskollegen im benachbarten Elsass (Februar 1942) und Lothringen (Mai 1942) die Verfolgung homosexueller Männer im Land an. Zu ihren Richtern sollten sowohl Reichsdeutsche als auch Luxemburger zählen.

Haft und Zwangsarbeit – alleine fürs schwul sein

Zahlreiche homosexuelle Männer wurden durch die Kriminalpolizei (Kripo) in flagranti erwischt und verhaftet. Inwieweit luxemburgische Polizisten, die möglicherweise Untersuchungen gegen homosexuelle Männer durchführten oder gegen diese aussagten, kollaborierten, ist nicht bekannt. Auch die Frage (bereitwilliger) Denunzierungen von Homosexuellen durch die Bevölkerung bleibt bislang im Dunkeln.

Dem Land- oder Amtsgericht vorgeführt erwartete die wegen §175 angeklagten Männer zumeist eine mehrmonatige Gefängnisstrafe. Nur in den wenigsten Fällen, bei denen der Angeklagte laut NS-Machthaber eine „potenzielle“ Gefahr für Jugendliche darstellte, wurde auf eine exemplarische Bestrafung zurückgegriffen, die ein Jahr jedoch nicht überschritt. Durch harte Arbeit sollten die Männer wieder in die Gesellschaft reintegriert werden.

Im Dezember 1941 beispielsweise verhandelte das Landgericht in Luxemburg über einen 28-jährigen „Gutländer“ und einen 23-jährigen Düdelinger. Beide Männer wurden des Verstoßes gegen §175 angeklagt. Das im Rahmen des Prozesses durchgeführte psychologische Gutachten ergab, dass die Zurechnungsfähigkeit des 28-jährigen Hauptangeklagten angeblich infolge von „angeborenem Schwachsinn“ erheblich vermindert wäre, was das Gericht dazu veranlasste, den „Gutländer“ als eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und die Jugend einzustufen und ihn zu einer einjährigen Gefängnisstrafe zu verurteilen. In der Haft sollte er „an regelmäßige Arbeit gewöhnt und von seinen Verwirrungen“ abgebracht werden. Der Mitangeklagte Düdelinger wurde zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.

Perfide Sprache der Nazis

Mehrjährige Haftstrafen erwarteten jene Angeklagten, die sich eines Verstoßes gegen §175a schuldig machten. Hierunter fielen u.a. Verurteilungen wegen gleichgeschlechtlichem Geschlechtsverkehr mit Jugendlichen unter 21 Jahren („Jugendverderber“) oder wegen gewerbsmäßiger „Unzucht“ mit Männern (z.B. durch Kuppelei).

Auf mögliche Liebesbeziehungen wurde dabei keine Rücksicht genommen. Stattdessen wurde unterschieden zwischen zumeist älteren „Verführern“ – nicht selten „Wiederholungstäter“ – die einen vorher nicht homosexuell tätigen jüngeren Mann zum Geschlechtsverkehr animiert haben sollen. Homosexuelle Beziehungen waren somit, laut Auffassung der deutschen Besatzer, ein reines Machtverhältnis.

Im März 1944 z.B. urteilte die Jugendschutzkammer des Landgerichtes in Luxemburg gegen Heinrich S. Dieser soll zwischen 1941 und 1942 einen bei ihm beschäftigten jugendlichen Knecht „verführt […] und [mit ihm] fortgesetzt homosexuellen Verkehr gehabt“ haben. Ob die beiden eine Liebesbeziehung pflegten, ist nicht bekannt. S. wurde als sogenannter homosexueller „Jugendverderber“ geahndet, der laut Justiz eine besondere Gefahr für die gesunde Volkskraft dargestellte. S. wurde zu einer drei-jährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Seine Haftzeit verbrachte er u.a. im Strafgefangenenlager Rodgau-Dieburg, wo er im Januar 1945 aufgrund einer angeblichen Herzschwäche verstarb.

Ermordet im KZ

Unter dem Vorwand der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ wurden homosexuelle Luxemburger – u.a. nach Verbüßung der Haftstrafe – in „Schutzhaft“ genommen und in Konzentrationslager deportiert, wo sie mit dem „Rosa Winkel“ markiert, mitunter in Strafkompanien brutal misshandelt wurden oder Mordaktionen zum Opfer fielen.

Letzteres erwartete der im Mai 1942 im KZ Sachsenhausen als Homosexueller registrierte jugendliche Luxemburger Johann B., der am 3. Juli 1942 während einer solchen Tötungswelle gegen homosexuelle Männer hingerichtet wurde. Als offizielle Todesursache wurde im Totenschein Schussverletzung bei Fluchtversuch angegeben.

Nach dem Krieg verschwiegen die Betroffenen zumeist den Grund ihrer Verhaftung und gaben die Verübung von Widerstandsaktivitäten an, um weiteren Stigmatisierungen zu entgehen. Das Verschweigen der eigentlichen Haftursache führte zu einem „Vergessen“ dieser Opfergruppe in Luxemburg. Nach dem Krieg führten sie weiterhin ein Doppelleben.

Unsere Autoren

* Jérôme Courtoy (*1990) studierte Geschichte an der Universität Luxemburg und der Universität des Saarlandes. Seit 2018 arbeitet er als Historiker und Pädagoge im „Musée national de la Résistance“ in Esch/Alzette.

**Daniel Thilman (*1976) studierte Geschichte an den Universitäten von Metz, Franche-Comté (Besançon) und Nancy 2. Seit 2009 unterrichtet er am „Lycée Nic Biever“ in Düdelingen.

*** Wir danken dem Historiker Vincent Artuso und der „Rosa Lëtzebuerg asbl.“ für ihre Korrekturen und wertvollen Ratschläge.

Jérôme Courtoy, Historiker und Pädagoge im „Musée national de la Résistance“ in Esch/Alzette
Jérôme Courtoy, Historiker und Pädagoge im „Musée national de la Résistance“ in Esch/Alzette Foto: Privat
Daniel Thilman, Historiker und Lehrer am „Lycée Nic Biever“ in Düdelingen
Daniel Thilman, Historiker und Lehrer am „Lycée Nic Biever“ in Düdelingen Foto: privat

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„Luxemburg und das Dritte Reich: Eine Bestandsaufnahme“

Die Forschungsergebnisse der beiden Autoren sind in Druckvorbereitung. Sie werden ab September 2021 im Sammelband des Nationalen Resistenzmuseums „Luxemburg und das Dritte Reich: Eine Bestandsaufnahme“ erscheinen.
Vorbestellung bis August unter: BCEE LU72 0019 5155 0797 2000; Kontoinhaber: Musée national de la Résistance; Benachrichtigung: „Luxembourg et le 3e Reich“; Preis: 32 € (bei Abholung im Museum), 35 € (bei Lieferung).

Die neue Veröffentlichung des Nationalen Resistenzmuseums: „Luxemburg und das Dritte Reich: Eine Bestandsaufnahme“
Die neue Veröffentlichung des Nationalen Resistenzmuseums: „Luxemburg und das Dritte Reich: Eine Bestandsaufnahme“