/ Die Vereinigung AMVA hilft, Menschen mit Behinderungen zu verstehen
Die AMVA („Aidez-moi à voir autrement“) setzt sich seit vielen Jahren für eine Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit einer Behinderung ein. Eine Begegnung mit Pascale Link, einer Frau, die noch viel vorhat.
„Kommen Sie herein und machen Sie sich es bequem.“ Pascale Link begrüßt uns an der Haustür. Das Haus der Familie, die in Erpeldingen an der Sauer lebt, ist groß und geschmackvoll eingerichtet. „Wollen Sie einen Kaffee?“ Pascale Link geht in die Küche, berührt dabei fast unmerklich den Türrahmen und kommt kurz darauf mit einem Kaffee zurück. Wüsste man nicht, dass die Frau blind ist, könnte man es glatt vergessen. „Das passiert öfters. Hier zu Hause weiß ich genau, wo alles steht, und kann mich frei bewegen“, erklärt Pascale Link und lacht.
Die 46-Jährige ist seit ihrem elften Lebensjahr blind. „Ich kann nur zwischen Hell und Dunkel unterscheiden, wenn ich ins Licht blicke.“ Sonst sähe sie nur farbige Punkte, die sich hin- und herbewegen. Wie erblindete sie? Als Kind wurde bei ihr ein Gehirntumor entdeckt, der auf den Sehnerv drückte und operativ entfernt werden musste. Eine OP, die eigentlich ohne größere Probleme verlaufen sollte.
„Ich kämpfe nicht nur für mich“
Alles kam jedoch anders. Die dramatische Folge: der Verlust des Sehvermögens. „Es war eine schwere Zeit. Viele Freunde wandten sich von mir ab. Auch Familienmitglieder gingen auf Distanz. Sie wussten nicht, wie sie damit umgehen sollten.“ Auch in der Schule war man nicht auf solche Fälle vorbereitet. Pascale Link lernte aber, mit ihrer Behinderung zu leben. Heute kümmert sie sich um den Haushalt und um ihre fast achtjährige Tochter Kyra, während Ehemann Armand seinem Beruf nachgeht. Die beiden älteren Kinder, Jill, die seit diesem Jahr als Lehrerin arbeitet, und Yann, der ein Ingenieurstudium in Innsbruck begonnen hat, wohnen nicht mehr im Haus.
Die Vereinigung AMVA, deren Präsidentin und Gründerin Pascale Link ist, setzt sich für die Rechte von Behinderten ein. „Ich kämpfe, nicht nur für mich, sondern für alle Menschen in meiner Lage“, beteuert die gebürtige Wiltzerin.
Die 2007 gegründete Asbl. hat sich die Sensibilisierung der Gesellschaft auf die Fahne geschrieben und setzt sich zudem für die Verbesserung der Betreuung der Blinden und Sehbehinderten ein. Das erste große Projekt war 2007 die Gründung des Novabus, Vorgänger des heutigen Adapto. 2009 wurde der Rufbus in den öffentlichen Transport integriert. „Der Start war etwas holperig. Wir finanzierten die Testphase selbst“, so Link. Dann übernahm das Transportministerium das Projekt und weitete es aus.
„Dinner in the dark“
Beim Adapto handelt es sich um einen Ruftaxi-Dienst, der Menschen mit einer Behinderung zu Hause abholt und an den Ort ihrer Wahl bringt. „Er richtet sich nicht nur am Sehbehinderte, sondern an alle Personen, die in ihrer körperlichen Beweglichkeit eingeschränkt sind“, erklärt Pascale Link. Durch den Taxidienst würden die Betroffenen autonomer und mobiler werden. „Sie kommen aus ihren vier Wänden raus, können am sozialen Leben teilnehmen. Das ist gut für die Psyche.“
Ebenso wichtig ist die Sensibilisierung. Seit rund 20 Jahren ist die AMVA-Präsidentin in den Grundschulen und Lyzeen unterwegs, um junge Leute mit dem Thema Blindheit und Sehbehinderung vertraut zu machen. Damit sich die Kinder und das Lehrpersonal besser in die Welt einer blinden Person hineinversetzen können, wurden spezifische Kurse ins Leben gerufen. Diese wurden ausgebaut und bestehen jetzt aus einem theoretischen und einem praktischen Teil.
Kinder und Lehrpersonal können mit verbundenen Augen zum Beispiel Formen ertasten oder diverse Artikel riechen. Beim Lehren des Umgangs mit einem Blindenstock kommt es dann auch vor, dass sich die Lehrer in ihren Klassenräumen nicht zurechtfinden und die Orientierung verlieren, was bei den Schülern immer wieder für Gelächter sorgt.
Eine kurze Einführung in die Blindenschrift (Braille) steht auch auf dem Programm. Und, im Zeitalter der neuen Technologien, wird den jungen Leuten gezeigt, wie Nicht-Sehende ein Handy, Tablett oder einen Computer bedienen können. „Die Nachfrage ist groß. Wir sind quasi für die nächsten zwei Jahre ausgebucht“, freut sich die AMVA-Gründerin. Gemeinsam mit den Schülern hat die Vereinigung eine Broschüre herausgegeben, um auf das Thema „Behinderung im Alltag“ aufmerksam zu machen.
Um die breite Öffentlichkeit weiter zu sensibilisieren, organisiert AMVA mit mehreren Restaurants sogenannte „Dinners in the dark“. Hier wird in abgedunkelten Lokalen gespeist, ohne Augenbinden oder Nachtsichtgeräte. Die Teilnehmer werden von blinden Personen bedient. Bei der Anmeldung können sie zwischen Fleisch, Fisch und vegetarischem Menü wählen.
Was genau sie dann aber essen, wird nicht verraten – genauso wenig wie Infos darüber, neben wem sie sitzen. Das könne zu witzigen, ja manchmal auch unangenehmen Situationen führen, so Pascale Link, die bei den Events die Bedienung zusammen mit drei weiteren AMVA-Mitgliedern übernimmt. „Einige wissen nicht, was sie essen. Dann wird fleißig drauflos gerätselt.“
Das neue Projekt „Aide+“
Das Projekt Adapto (früher Novabus) soll ergänzt werden. „Aktuell werden Menschen mit einer Behinderung vom Transportdienst lediglich an den Bestimmungsort, zum Beispiel einen Supermarkt oder ein Krankenhaus, gebracht. Dort steigen sie aus. Was aber dann? Ein Blinder findet nicht den Empfang oder das Behandlungszimmer. Menschen mit einer eingeschränkten Beweglichkeit benötigen ebenfalls Hilfe“, erläutert Pascale Link.
Aus diesem Grund wird „Aide+“, eines der bisher wichtigsten Projekte der Asbl., ins Leben gerufen. Ziel ist es, Menschen mit einer Sehbehinderung oder einer körperlichen Beeinträchtigung bei der Ankunft mit dem Adapto weiter zu betreuen. „Restaurants, Konzerthallen, Krankenhäuser, Geschäfte, Verwaltungen, Apotheken, Arztpraxen … alle werden eingeladen, mitzumachen“, erklärt Link. Außerdem wird eine kostenlose Schulung des Personals angeboten, damit dieses den richtigen Umgang mit den Betroffenen lernt.
AMVA hat in diesem Zusammenhang bereits mehrere Partner ins Boot geholt, darunter eine bekannte Supermarktkette. „In Ingeldorf und Redingen/Attert unterstützt das Personal schon seit 2012 die Kunden“, berichtet eine Supermarktmitarbeiterin. „Am Anfang wussten wir nicht, wie das gehen sollte. Die Idee war aber super. Jetzt funktioniert es wie am Schnürchen. Die Kunden sind zufrieden, und das ist ja auch das Ziel.“ An verschiedenen Orten sollen nun Pilotprojekte gestartet werden, darunter auch in einem Krankenhaus im Norden des Landes.
AMVA fehlt es jedoch an finanzieller Unterstützung, um solch größere Projekte zu bewältigen. Aufgeben kommt für Pascale Link und ihr Team jedoch nicht infrage. Mit mehreren Gemeinden sowie mit dem „Comité politique Nordstad“ wurde Kontakt aufgenommen. Staatssekretär Claude Turmes („déi gréng“) machte sich Ende September selbst ein Bild von dem Vorhaben im Supermarkt in Ingeldorf, wo die erste Testphase gestartet wurde. „Jetzt hoffen wir natürlich auf Unterstützung von der Politik“, so Pascale Link abschließend.
Drei Fragen an Familienministerin Corinne Cahen
Kennen Sie blinde Personen? Welche konkreten Maßnahmen hat die Regierung beschlossen, um ihnen hierzulande das Leben zu vereinfachen?
Ich habe als Kind gegenüber vom Blindenheim gelebt. So entstanden erste Kontakte. Später habe ich in meinem Musikverein mit einem blinden Musiker zusammengespielt. Und auch in meiner Funktion als zuständige Ministerin für Menschen mit einer Behinderung treffe ich regelmäßig auf blinde Menschen.
Die jetzige Regierung hat eine ganze Reihe an Maßnahmen ergriffen, um Menschen mit einer Behinderung das Leben zu erleichtern, wie beispielsweise im Bereich des „Design for all“. So haben wir im Juli den Gesetzesentwurf über die Zugänglichkeit öffentlicher Orte, öffentlicher Wege und kollektiver Wohngebäude auf den Instanzenweg gebracht. Ziel ist es, Menschen mit einer Behinderung zu ermöglichen, sich uneingeschränkt im öffentlichen Raum bewegen zu können. Für blinde Menschen wurden in den technischen Bestimmungen des Gesetzesentwurfs zum Beispiel die Sprachbefehle und das Zwei-Sinne-Prinzip festgehalten, was die Mobilität von blinden Menschen in Zukunft sehr erleichtern wird.
Auch die Zugänglichkeit zu Informationen wird verbessert. Das CDV (Centre pour le développement des compétences relatives à la vue) bietet Weiterbildungen an, unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Nationalen Institut für öffentliche Verwaltung (Institut national d’administration publique – INAP), in denen vermittelt wird, wie man Dokumente so aufbereitet, dass sie auch zugänglich für blinde Menschen sind.
Auch in puncto zugängliche Wahlen hat sich in letzter Zeit viel getan. Bei den Parlamentswahlen im Oktober 2018 kam die Wahlschablone erstmals zum Einsatz. Auch bei allen zukünftigen Gemeinde-, Parlaments- und Europawahlen kann auf eine Wahlschablone zurückgegriffen werden. Bei der Wahlschablone handelt es sich um eine Schablone, in die der offizielle Wahlzettel eingeklemmt wird. Mittels Brailleschrift kann sich eine blinde oder stark sehbehinderte Person auf der Wahlschablone orientieren und so die richtigen Löcher finden, um ihre Stimmen abzugeben. Das Wahlgesetz wurde auch dementsprechend abgeändert.
Dies um nur einige Beispiele zu nennen. Wir arbeiten täglich weiter daran, die Inklusion von Menschen mit Behinderungen zu verbessern.
Amva hat verschiedene Hilfs- und Sensibilisierungsprojekte ins Leben gerufen, wie den Novabus, „Blind Dinner“, Besuche in Schulen oder demnächst „Aide+“. Ihre Meinung zu solchen Projekten?
Der Novabus war das Vorgängermodell des Transportdienstes Adapto, der individuelle Fahrten anbietet für Personen mit einer dauerhaften Behinderung, welche sie in ihrer autonomen Mobilität einschränkt und die ihnen nicht ermöglicht, sich frei mittels Pkw oder öffentlichen Transportmitteln fortzubewegen. Solche Projekte sind unerlässlich, weil sie es blinden Menschen ermöglichen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Auch die genannten Sensibilisierungsprojekte sind sehr wichtig. Sie leisten wertvolle Aufklärungsarbeit und helfen dabei, Vorurteile gegenüber Menschen mit einer Behinderung abzubauen und unsere Gesellschaft inklusiver zu gestalten.
Wäre es nicht sinnvoll, solche Initiativen oder gar Vereinigungen finanziell zu unterstützen?
Das Familienministerium unterstützt aktuell eine ganze Reihe ähnlicher Initiativen und Vereinigungen. Wir haben zum Beispiel eine Finanzierungsvereinbarung mit der ‚Fondatioun Lëtzebuerger Blannevereenegung‘ und finanzieren dabei ganz unterschiedliche Leistungen, wie den Dienst „Berodung, Betreiung a Fräizäit“. Dieser leistet Sensibilisierungsarbeit und organisiert Fortbildungen für Busfahrer, Museumsführer usw. Er bietet auch Freizeitaktivitäten für blinde Menschen an und unterstützt sie auf Anfrage in ihrem Alltagsleben, zum Beispiel beim Einkaufen, bei administrativen Fragen, beim Erlernen vom Umgang mit dem Blindenstock usw.
Wir sind selbstverständlich auch immer offen für neue Ideen und Projekte, die wir, wenn sie die jeweiligen Kriterien erfüllen, dann auch finanziell unterstützen.
- Roland Breyer, ein Leben im Dienst der Gemeinde - 17. September 2020.
- Roland Breyer, ein Leben im Dienst der Gemeinde - 17. September 2020.
- Klimafreundliche Mobilität - 13. September 2020.
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