Die stete Angst vor dem bösen Sturz: Für Mitfavorit Jakob Fuglsang hätte die Tour schon nach 177 km zu Ende sein können

Die stete Angst vor dem bösen Sturz: Für Mitfavorit Jakob Fuglsang hätte die Tour schon nach 177 km zu Ende sein können

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Unser Radsportexperte Petz Lahure wird Sie, verehrter Leser, zwei Mal wöchentlich mit interessanten Eindrücken von der Tour de France auf dem Laufenden halten.

Brüssel, 7. Juli

Ein Sturz von Damiano Caruso (Bahrain-Merida) war schuld am Unfall von Jakob Fuglsang im Schlussteil der ersten Tour-de-France-Etappe. Als der Italiener auf gerader Straße mit seiner Rennmaschine ins Rutschen kam, blieben laut GPS noch 17,6 km bis ins Ziel zurückzulegen. Caruso ging zu Boden und drehte sich mit dem Fahrrad wie ein Kreisel auf der Straße. Ein paar Meter hinter dem Edelhelfer von Vincenzo Nibali, der reflexartig nach links auswich, fuhr Jakob Fuglsang. Ihm war es unmöglich, am Hindernis vorbeizukommen.

Der Däne wurde von dem auf dem Pflaster drehenden Caruso regelrecht umgesäbelt und über den Haufen geworfen. Er stürzte kopfüber auf den angrenzenden Bürgersteig, wobei er sich Schrammen und Prellungen im rechten Schulterbereich und am Knie zuzog. Zudem verletzte sich Fuglsang an der Augenbraue, das Blut floss ihm über die Wangen. Die Platzwunde lieferte der Fernsehkamera ein spektakuläres Bild und musste später mit mehreren Stichen genäht werden.

Gleich vier Astana-Fahrer (Pelle Bilbao, Omar Fraile, Hugo Houle und Magnus Cort Nielsen) warteten ihren Leader ab, sie brachten ihn ins Peloton zurück, so dass Fuglsang auf Platz 93 in derselben Zeit wie Etappensieger Mike Teunissen und die Mitfavoriten auf den Toursieg ins Ziel vor dem „Château de Laeken“ fuhr. Weil bei der ärztlichen Untersuchung glücklicherweise kein Bruch festgestellt wurde, kam der Däne mit einer lädierten Schulter, einem schmerzenden Knie, einigen Blutergüssen und einem Veilchen am Auge davon. Er hatte demnach weitaus mehr Glück als vor zwei Jahren, als er sich auf der elften Etappe zwei kleine Frakturen am Kahnbein und am Radiusköpfchen in der Nähe des linken Ellenbogens zuzog und zwei Tage später aufgeben musste.

Auf eigene Faust

Die Bestätigung, dass alles vielleicht halb so schlimm war wie anfangs angenommen, lieferte das gestrige Mannschaftszeitfahren, wo Astana „nur“ 21 Sekunden auf das Ineos-Team mit dessen Leadern Geraint Thomas und Egan Bernal einbüßte. Jakob Fuglsang bleibt demnach als möglicher Sieganwärter in der Tour, die mit ein bisschen Pech schon nach 177 km für ihn ein jähes Ende hätte nehmen können.

Die Angst vor dem bösen Sturz fährt ständig mit. Da können die Fahrer noch so gut aufpassen, wie sie wollen, ohne Drama rollt keine Tour bis nach Paris. Für die meisten ist ein Unfall mit Malheur verbunden, für andere wiederum kann er Auslöser ungeahnten Glücks bedeuten. So wie am Samstag auf den letzten Kilometern der ersten Etappe, als der zweifache Etappensieger von 2018, Dylan Groenewegen, zu Boden ging und sein niederländischer Mannschaftskollege Mike Teunissen, derjenige also, der ihm den Sprint anziehen sollte, auf einmal als Einziger vom Team Jumbo-Visma im ersten Teil des Pelotons umherirrte.

Die Chance, es auf eigene Faust zu versuchen, hätte einladender nicht sein können. Während vorne Peter Sagan, der Hauptfavorit auf den ersten Etappensieg, sich mit dem Australier Michael Matthews und den Italienern Giacomo Nizzolo, Sonny Colbrelli und Elia Viviani herumplagte, arbeitete sich Teunissen vom 20. Rang so schnell nach vorne, dass es ihm kurz vor dem Strich noch gelang, den dreifachen Weltmeister abzufangen.

Der Mann, der wie aus dem Nichts ins erste „Maillot jaune“ schlüpfte, ist 26 Jahre alt (geb. 25.8.1992), er gewann in diesem Jahr bereits die „4 Jours de Dunkerque“, aber seine Leidenschaft ist das Querfeldeinfahren. Teunissen vervollständigt das Feld der außergewöhnlich guten Cyclocross-Spezialisten, die sich in den letzten Jahren auch im Straßenradsport einen Namen machten. Man denke da an Zdenek Stybar, Peter Sagan, Jempy Drucker, Wout Van Aert, Mathieu Van der Poel oder auch den neuen belgischen Meister Tim Merlier, den bis vor zehn Tagen kaum jemand kannte.

In eigener Liga

Dass Teunissen und seine Mannschaftskameraden aus einem ausgezeichneten Holz geschnitzt sind, bewiesen sie beim gestrigen Teamzeitfahren in Brüssel, wo sie in einer eigenen Liga fuhren und mit einem Schnitt von über 57 km/h die Konkurrenz regelrecht deklassierten. Wer im Vorfeld dieses Zeitfahrens gewettet hätte, dass Ineos, das frühere Sky-Team, als zweitplatzierte Mannschaft mit 20″ Rückstand „abgefertigt“ würde, wäre für verrückt erklärt worden. Als Belohnung für die starke Leistung darf Jumbo-Visma heute mit fünf Mann auf den ersten fünf Positionen (Teunissen, van Aert, Kruijswijk, Martin, Bennett) aus dem Karnevalsort Binche in die Champagnerhochburg Epernay fahren.

Teunissen ist seit 1989 der erste Holländer, der die Arme ins Gelbe Trikot strecken durfte. Vor 30 Jahren, in der avenue de la Liberté in Luxemburg, gewann sein Landsmann Erik Breukink das 7,8 km lange Prolog-Zeitfahren und ging in Gelb gekleidet auf die erste Etappe, nach der er das Trikot an den Luxemburger Portugiesen Acacio Da Silva abgeben musste. Seither hatte kein Niederländer sich mehr im Palmarès der Tour-Leader verewigt, auch nicht Tom Dumoulin, der von vielen als aussichtsreichster Nachfolger Breukinks angesehen wurde.

Um auf Luxemburg zurückzukommen: In der Tour-Karawane ist unser Land wie letztes Jahr durch seinen Sieger von 2010, Andy Schleck, vertreten, der von einem der Hauptsponsoren als „Ambassadeur“ verpflichtet wurde. Und im Team Dimension Data steht mit dem Dänen Lars Ytting Bak ein Fahrer, der bei der ACC Contern lizenziert ist. Der sympathische lange Kerl (1,90 m), der auf Cents wohnt, hat bereits 39 Jahre auf dem Buckel (geb. 16.1.1980 in Silkeborg). Es ist Baks achte Tour de France und seine 20. Grand-Tour. An Erfahrung mangelt es also nicht.