ForumDie neuen „Seidenstraßen“: Die Bedeutung der Wasserwege für die Menschheit

Forum / Die neuen „Seidenstraßen“: Die Bedeutung der Wasserwege für die Menschheit
Das Containerschiff CMA CMG Zheng He legt im Waltershofer Hafen an Foto: dpa/Christian Charisius

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Krieg, Inflation, viele Probleme, doch ohne mehr Welthandel geht nichts. Der Name Malcom McLean ist allgemein unbekannt. Dennoch ist McLean einer der bedeutendsten „Erfinder“ der Neuzeit. Er prägte den Welthandel wie kaum ein anderer. McLeans Transportfirma war auf Schiffsladungen spezialisiert.

* Zum Autor

Robert Goebbels ist ehemaliger LSAP-Minister und Europaabgeordneter. 

Um den Umschlag der Waren von der Straße auf die Schiffe und umgekehrt zu erleichtern, begann McLean Ende der 1950er Jahre, Container anfertigen zu lassen – mit den nunmehr weltweit akzeptierten Standardmaßen 8 Fuß breit, 8 Fuß und 6 Zoll hoch und 20 oder 40 Fuß lang (2,20 x 2,60 x 6 oder 12 m) –, welche die zu transportierenden Waren aufnahmen, um vom Lkw auf ein Schiff und nach Ankunft wieder auf ein Lkw gehievt zu werden. Eine neue logistische Kette war geboren.

In den 60er Jahre waren die USA in den Vietnam-Krieg verstrickt, wozu Millionen Tonnen Waffen, Munition, Verpflegung von den USA nach Vietnam verschifft wurden. Es gelang McLean 1967, die amerikanische Armee von den Vorteilen der Container-Transporte zu überzeugen. Der Durchbruch war geschafft. Alle Schiffsnationen, alle Welthäfen adoptierten den Container. Was zu einer enormen Verbilligung der Transporte und einem ständigen Ausweiten der internationalen Handelsströme führte.

Die Weltmeere sind die neuen „Seidenstraßen“, über welche der größte Teil der international gehandelten Güter transportiert wird. Laut Weltbank erfolgen 80 Prozent der globalen Handelsströme mittels Schiffstransporten. Ein Drittel davon sind Containerschiffe, wobei der kommerzielle Wert dieser Transporte nahezu zwei Drittel darstellt. Öltanker sind das andere Standbein der kommerziellen Seefahrt. 2021 wurden 35 Milliarden Barrel Öl verschifft. Tendenz nicht abnehmend, allem Dekarbonisierungsgerede zum Trotz.

Die größten und effizientesten Häfen liegen alle im Raum zwischen den Golfstaaten und China. Der weltweit größte Umschlagplatz für Güter ist Schanghai, gefolgt von sechs weiteren chinesischen Häfen. Unter den Top Ten befinden sich noch Singapur und Hongkong. Rotterdam nimmt Platz zehn ein. Das japanische Yokohama ist einer der am besten organisierten Umschlagplätze für Container. Doch laut Weltbank liegen die produktivsten Containerhäfen in den arabischen Staaten. In Riad, Oman, Katar und Abu Dhabi werden jede Stunde bis zu 97 Container pro Schiff umgeladen. Die besten Häfen in den USA schaffen maximal 26 Rotationen.

Weltweit gibt es rund 50.000 Handelsschiffe. Offensichtlich nicht genug, denn seit der Covid-Krise sind die Preise für Schiffstransporte enorm gestiegen. So rechnet beispielsweise das Transport- und Logistikunternehmen Hapag-Lloyd für dieses Jahr trotz steigender Kosten mit einer Verdoppelung seines Gewinns.

Ende der Globalisierung?

Dennoch gibt es viele Stimmen, die vom Ende der Globalisierung reden. Protektionistische Maßnahmen nehmen in vielen Staaten zu. Laut dem Internationalen Währungsfonds haben im Gefolge der Ukraine-Krise bis Mitte September bereits 21 Länder Exportverbote für 30 verschiedene Lebensmittel verhängt, während sechs weitere Staaten für elf Grundnahrungsmittel Exportbeschränkungen verfügten.

In vielen EU-Staaten entwickelt sich ein Anti-Binnenmarkt-Diskurs. Die Produktwerbung wird durchtränkt mit nationalistischen Appellen – „Fabriqué en France“, „Aus Deutschen Landen“ und ähnlichem Hurra-Patriotismus. Selbst wenn sich herausstellt, dass die „Moutarde de Dijon“ nicht mehr lieferbar ist, weil der Import der Senfkörner aus Kanada und der Ukraine zusammenbrach.

Richtig lächerlich wird es, wenn in Luxemburg auf Selbstversorgung und auf kurze Wege gepocht wird. Immerhin importieren wir zwei Drittel aller hierzulande konsumierten Eier, 95 Prozent des Gemüses und 99 Prozent des Obstes. Selbst die Biogenossenschaft BIOG importiert auf langem Weg Bio-Äpfel aus Neuseeland. Bloß bei Rindfleisch und Milch könnten wir die nationale Nachfrage decken. Doch gerade die Tierhaltung soll laut Klima-Bürgerrat von 300.000 auf 60.000 Rinder beschränkt werden. Gegen Schweine- und Hühnerhaltung wird prozessiert. In Oberpallen mobilisieren herbeigezogene „Natur-Freunde“ gegen den Bau eines neuen Bauernhofes.

Die generell gute Versorgungslage des Landes verdanken wir der europäischen Agrarpolitik und der Offenheit Europas für weltweite Importe.

Das kann sich schnell ändern. Wer hat vor einem Jahr vorausgesagt, dass wir für den Winter 2022 mit energetischen Engpässen rechnen müssen? Wer prophezeite die Preisexplosionen für Nahrungsmittel, für Energieprodukte, für Rohstoffe? Niemand. Selbst die Zentralbanken wurden von der plötzlichen Inflationsdynamik überrascht.

Es ist nicht nur Putins Überfall auf die Ukraine, der all diese Verwerfungen provozierte. Die Covid-Pandemie hatte schon die Lieferketten zerrüttet und saftige Preisschübe bei der internationalen Logistik bewirkt. Investitionen wurden gedrosselt. Die westliche Welt lebte auf Pump, nach dem Motto „Koste es, was es wolle“. Doch billiges Geld war einmal. Die Inflation ist weltweit zurück. Laut Weltbank sind von Januar bis September allein die Preise für Reis um 6 Prozent, für Weizen um 17 Prozent und für Mais um 29 Prozent gestiegen. Bei Energie gibt es ein Auf und Ab, das sich nach oben hin multipliziert.

Die Rückkehr der Inflation

Für eine Reihe „failed states“ tut sich ein Abgrund auf. Seit Jahresbeginn sind in Simbabwe die Preise um 350 Prozent, im Libanon um 240 Prozent, in Venezuela um 130 Prozent, in Sri Lanka um 90 Prozent und in Iran um 80 Prozent gestiegen. Näher zu uns gibt es Inflationsraten von 90 Prozent in der Türkei, 38 Prozent in Moldawien und über 30 Prozent in der Ukraine. Auch in vielen Staaten der Europäischen Union ist die Inflationsrate zweistellig. In den drei baltischen Staaten gar über 20 Prozent.

Laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) haben schon 33 der wichtigsten 38 Zentralbanken ihre Leitzinsen erhöht. Die Kreditaufnahme wird deutlich teurer. Doch die Regierungen aller reichen Länder geben verstärkt Anleihen heraus, um ihre Bevölkerung vor Covid-Folgen und nunmehr gegen die Explosion der Energiepreise zu schützen. Das von der Bundesregierung geschnürte Schutzschild von 200 Milliarden Euro stellt immerhin etwa 5,2 Prozent des deutschen Sozialproduktes dar.

In Luxemburg wird über Indexanpassungen gestritten. Wobei die Inflationsrate bei uns noch recht gelinde ist. Dennoch werden die Tripartite-Beschlüsse je heftiger in die Staatskasse schlagen, desto weniger es gelingt, die hausgemachte wie die vornehmlich importierte Inflation zu zähmen. Sollte der Staat gezwungen werden, nächstes Jahr eine Index-Anpassung ganz zu übernehmen, wird die Staatsschuld entsprechend zunehmen.

Ob die Senkung der TVA-Sätze um einen Prozentpunkt wirklich eine Senkung der Verbraucherpreise bewirkt, bleibt ungewiss. Bei kostspieligen Konsumgütern wie zum Beispiel Autos wirkt sich ein Prozent weniger TVA aus. Doch bei den meisten Artikeln, die im vom Statec verfolgten Warenkorb enthalten sind, ist die Gefahr gegeben, dass Abrundungen nach oben erfolgen. So wie das schon bei der Umstellung vom Franken auf den Euro der Fall war.

Vor allem wird sich Luxemburg nicht der weltweiten Inflation entziehen können. Unsere Wirtschaft bleibt völlig vom europäischen Umfeld abhängig. Die EU bleibt eingebunden in den Welthandel, allen nationalistischen Turnübungen zum Trotz.

Für Energie, für Rohstoffe, für viele Lebensmittel bleiben die Staaten der Europäischen Union abhängig von internationalen Importen. Die angestrebte Energiewende ist ohne Importe nicht zu schaffen. Russisches Gas wird ersetzt durch teureres Flüssigerdgas aus den USA, Katar, Aserbaidschan. 80 Prozent aller Bestandteile der Fotovoltaik-Infrastruktur kommen aus China. Ohne seltene Erden und Mineralien aus Asien, Afrika oder Südamerika liefern Windräder keinen Strom. Funktionieren die Batterien von Elektroautos nicht. Auch nicht unsere Handys und Computer.

McLeans Nachahmer sind nicht zu ersetzen. Ohne die internationale Schifffahrt, ohne Container und ähnliche Transportinfrastrukturen würden die meisten menschlichen Aktivitäten zusammenbrechen. Die Globalisierung muss erweitert werden, falls die Menschheit es ernst meint mit den von der UNO angestrebten Millenniumszielen.