Italien / Die Mafia profitiert von Corona: Clans arbeiten als „Banken“ und erweitern ihren Einfluss
Die italienischen Mafien profitieren offensichtlich von der Corona-Krise. Unternehmen, die wegen der restriktiven Maßnahmen und unterbrochener Handelsketten in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen, werden von liquiden Clans aufgekauft oder mit illegalen Krediten in Abhängigkeit gebracht. 28 Jahre nach den Mordanschlägen gegen Giovanni Falcone und Paolo Borsellino zeigen sich Anti-Mafia-Ermittler zunehmend besorgt.
„Folgen Sie der Spur des Geldes“ – dieser Satz aus dem Politdrama von 1976 um die Watergate-Affäre war auch häufiges Motto des Anti-Mafia-Richters Giovanni Falcone. Am 23. Mai jährte sich zum 28. Mal der Tag des Bombenanschlags von Capaci, knapp zwei Monate später erlag sein Freund und Kollege Paolo Borsellino einem weiteren Attentat. Bis heute sind beide Fälle nicht vollständig aufgeklärt.
Politiker und Juristen mahnen in Gedenkreden, das Erbe von Falcone und Borsellino wach zu halten. Staatspräsident Sergio Mattarella forderte insbesondere die Jugend auf, sich gegen alle Aktivitäten der Mafias in Italien zu wehren. Doch gerade in Krisenzeiten wie der gegenwärtigen Corona-Pandemie sieht das organisierte Verbrechen seine Chance, weiter in das italienische Wirtschaftssystem vorzudringen.
Von Bar bis Baustelle
Mit der von der Regierung Giuseppe Contes verkündeten Kontaktsperre und dem damit verbundenen Lockdown kommt die italienische Wirtschaft in erhebliche Turbulenzen, deren Ausmaße bislang noch nicht abzusehen sind. Absatzprobleme schaffen Liquiditätsprobleme – gerade in diese Lücke versuchen die Clans einzudringen. Anti-Mafia-Ermittler zeigten am Beispiel des sizilianischen Familienclans Fontana auf, wie man sich dies vorzustellen habe.
Die traditionelle – und laut Cosa-Nostra-Kronzeugen Tommaso Buscetta eine der gefährlichsten – Familie der Mafia aus Palermo-Acquasanta ist längst in der Lombardei tätig. Dort in Mailand herrschen die Brüder Angelo, Giovanni und Gaetano Fontana. Nebst den eingefahrenen Geschäften des Drogenhandels und der Geldwäsche kontrolliert der Clan Dutzende von Bars, Restaurants und Spielcasinos. Zu Zeiten der Corona-Krise haben sich die Mafiosi in den Gesundheitssektor vorgearbeitet. Ein Gros des Handels mit Schutzausrüstungen und Desinfektionsmitteln, so Ermittler, wird ebenso von den Mafiosi bedient wie Neubauten von Kliniken und Stationen.
Ein besonderer Zweig hat sich aufgetan: Die Clans „arbeiten“ als Banken. Die finanzielle Not von Mittel- und Kleinunternehmen wird ausgenutzt, die Firmen entweder direkt zu erwerben oder mit Geldverleih in Abhängigkeiten zu bringen. Unterstützt wird solch Vorgehen von der langsamen Bearbeitung staatlicher Hilfsmaßnahmen. Zu spät ausbezahlte Hilfsgelder bringen die Firmen an den Rand des Ruins, um zu überleben, werden die „Hilfen“ seitens der Clans häufig angenommen. Dass dabei „schmutziges Geld“ in Millionenhöhe gewaschen wird, übersehen die Kreditnehmer als Kollateralschaden. Not macht abhängig.
Derzeit sind der Anti-Mafia-Staatsanwalt Francesco Lo Voi und der Untersuchungsrichter Piergiorgio Morosini dabei, eine umfangreiche Liste der wirtschaftlichen Aktivitäten des Fontana-Clans zusammenzustellen. Nebst den genannten Geschäften gehören ferner der Betrieb von Supermarktketten, Bauunternehmen sowie einer Reihe von Werften zum Imperium des palermitanischen Clans.
Illegal Sozialgelder abgeschöpft
Doch auch vom Staat selbst bezieht man Geld. Eines der wichtigsten Versprechen der Fünf-Sterne-Bewegung war die Einführung eines Basislohns. Vor allem jetzt in der Corona-Krise kommen diese sozialen Gelder vielen Familien zugute, deren Existenz von Kurzarbeit oder Schließung ihrer Arbeitsstätten bedroht ist. Wer ein Jahresnettoeinkommen unter 9.360 Euro nachweist, kann ein monatliches Grundeinkommen von bis zu 500 Euro zuzüglich eines Mietzuschusses von 280 Euro beantragen. Laut offiziellen Daten beziehen derzeit 1,1 Millionen Italiener dieses Grundeinkommen.
Jüngsten Kontrollen zufolge auch rechtskräftig verurteilte Mafiosi der kalabrischen ’Ndrangheta, der gefährlichsten unter den italienischen Mafias. Dabei kam man der illegalen Abschöpfung der Sozialgelder eher zufällig auf die Spur: Die Finanzpolizei überprüfte in den Gemeinden Reggio Calabria, Locri, Palmi und Vibo Valentia 500 der Mafia zugehörige Personen, die per Gesetz von den anstehenden Wahlen ausgeschlossen wurden. In 101 Fällen stießen die Beamten der Guardia di Finanza darauf, dass die betreffenden Personen Bezieher des Grundeinkommens waren. Von einem Gesamtschaden von 516.000 Euro ist bisher die Rede.
Rechtskräftig verurteilte Mafiosi dürfen eigentlich kein Grundeinkommen beantragen. Die zuständigen Staatsanwaltschaften ermitteln nun, ob lediglich Schlamperei bei der Bearbeitung der Anträge oder doch Bestechung und Bedrohung zur Zahlung der Gelder geführt hatten. Zu den spektakulären Beispielen des Betrugs gehörten auch Roberto und Alessandro Pannunzi, führend im kalabrischen Drogenhandel.
Vater Roberto verschob zu seinen aktiven Zeiten bis zu zwei Tonnen Kokain monatlich, weswegen er auch „Pablo Escobar von Kalabrien“ benannt wurde. Sohn Alessandro setzt – ungeachtet einer verbüßten Haftstrafe – den Handel fort. Bei einem Kilopreis von rund 45.000 Euro ist ein staatliches Grundeinkommen wohl kaum noch erforderlich. Es wird nun Aufgabe der italienischen Rentenbehörde sein, die unberechtigt ausbezahlten Beträge wieder einzufordern. Wie das von Mafiosi zu realisieren ist, bleibt ein Rätsel.
Bargeldverkehr eingrenzen
Alfonso Sabella, Staatsanwalt in Neapel und langjährig erfahrener Mafiajäger, hat sich ebenfalls mit dem Phänomen Mafia und Corona-Krise beschäftigt. Auch die Camorra, so bestätigen die Ermittler des kampanischen Hauptortes, verdient deutlich an der Krise und investiert schmutziges Geld in die legale Wirtschaft.
Solange Bargeld fließt, ist dieser Prozess kaum einzudämmen, so Sabella. Der Staatsanwalt schlägt deshalb vor, Rechnungen nur noch elektronisch zu bezahlen und größere Investitionen ausschließlich mit Bankanweisungen tätigen zu können. Statt der Spur des Geldes zu folgen, wie es Falcones Credo war, fordert Sabella, den Geldverkehr zu unterbinden. Nur so könne man Kontrolle über die Aktivitäten der Mafias erhalten.
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Seit wann gibt es einen Unterschied zwischen Mafia und Banken?
Dafür hat es kein Corona gebraucht.