Alain spannt den Bogen / Die Kunst der Schlichtheit
Eigentlich müsste ihr Name in einem Atemzug mit den großen Sängerinnen unserer Zeit genannt werden, denn in Sachen Interpretation, Gesangskunst, Gestaltung und Schönheit der Stimme steht sie Sopranistinnen wie Diana Damrau, Patricia Petibon, Anja Harteros, Christiane Karg oder Anna Prohaska in nichts nach. Während Letztere sich besser vermarkten lassen, scheint Sabine Devieilhe es ruhiger anzugehen und ihre Karriere mit einer gewissen Gelassenheit aufbauen zu wollen.
Denn die französische Sopranistin ist längst keine Newcomerin mehr. Sie ist bereits seit zehn Jahren auf französischen und internationalen Bühnen zu Hause, sang beim Festival in Aix-en-Provence und an der Pariser Oper ebenso wie in der Brüsseler Monnaie, an der Wiener Staatsoper oder am Londoner Covent Garden. Auch im Liedfach ist Sabine Devieilhe eine sehr gefragte Sängerin. Ihr Liederabend vom vergangenen Sonntag im Kammermusiksaal der Philharmonie war dann auch ein atemberaubendes Zeugnis ihrer wunderbaren Kunst und für mich persönlich sicherlich einer der schönsten Liederabende, die ich in den letzten zehn Jahren hier gehört habe. Schön, weil eben alles stimmte.
Devieilhe bot einen in allen Hinsichten homogene Interpretation, die sowohl eine erstaunliche technische Perfektion und Beherrschung der Stimme mit einem wundervollen Timbre mit unendlichen Farbschattierungen sowie einer intelligenten und textbezogenen Interpretation verband. Auf dem Programm standen Lieder(-zyklen) von Claude Debussy, Gabriel Fauré, Francis Poulenc, Louis Beydts und Maurice Ravel. Natürlich standen somit auch die Farben und eine filigrane Auslotung der Texte im Mittelpunkt. Sabine Devieilhe aber fand ihren ganz eigenen Zugang zu den diversen Liederwelten. Und zwar interpretierte und sang sie die Lieder relativ schnörkellos und direkt, verzichtete in ihrem Vortrag auf eine Überbetonung der Linien und hielt sich auch beim Gestalten der Farben zurück. Denn diese entwickelten sich dann ganz von selbst und harmonierten mit ihren sehr natürlich anmutenden Schattierungen wunderbar und sehr genau mit den Texten.
Keine Überinterpretation impressionistischer Bilder gab es auch beim Klavierpart. Der großartige Pianist Alexandre Tharaud spielte markant und akzentreich, aber immer auf den Vortrag seiner Sängerin achtend. So ergab sich zwischen beiden ein extrem natürlicher wie spannender Dialog, der alle Lieder von ihrer schönsten Seite belichtete. Tharaud spielte zudem seine eigene Bearbeitung von Debussys „Prélude à l’après-midi d’un faune“ und zeigte auch hier, dass er der französischen Musik einige neue Perspektiven abgewinnen konnte. Als Zugabe für ein restlos begeistertes Publikum interpretierten die beiden Künstler die Arie „Viens hymen, viens m’unir“ von Jean Philippe Rameau.
Was ist Genialität?
Ob Rezensent oder Musikliebhaber, wir alle werden vom Image eines Künstlers geprägt und beeinflusst. Musiker, die medienwirksam in Szene gesetzt werden und dabei auch visuell attraktiv herüberkommen oder Interpreten, die sich rarmachen, auf Schlagzeilen und Interviews verzichten, sie alle lösen eine Erwartungshaltung bei uns aus, die von unserer persönlichen Wahrnehmung geprägt ist. Krystian Zimerman ist ein Künstler, der sich eher rar macht, kaum in den Medien auftritt und oft durch seine kurz vor dem Auftritt bekannt gegeben Programme künstlerische Ehrlichkeit und Authentizität vermittelt.
Eine zweite Frage. die sich stellt, wenn man sich mit Musikern wie Zimerman oder Sokolov beschäftigt, ist die Frage nach der Genialität. Was ist Genialität überhaupt? Ehrlichkeit? Schlichtheit? Reife? Brillanz? Nun, kommen wir auf das Konzert mit Krystian Zimerman zurück, der sich am Montag vor vollbesetztem Haus mit einem Bach-Brahms-Chopin-Programm von seiner allerbesten Seite zeigte. Zimerman haftet natürlich die Aura des Einmaligen an und deshalb war die Erwartungshaltung auch sehr groß. Und wurde in meinen Augen auch nicht enttäuscht. Zimerman, und das macht ihn sympathisch, ist kein Musiker, der das Extravagante aufsucht, der versucht, die endgültige Wahrheit zu finden oder uns gar mit außergewöhnlichen Interpretationen verwöhnt. Nein, Zimerman spielt Musik, er spielt Bach, Brahms, Chopin. Schlicht, einfach, schnörkellos.
Unter seinen Fingern klingen die Werke eigentlich so, wie man sie sich vorstellt, wie sie zu klingen haben. Und doch ist alles anders. Was allerdings anders ist, das muss jeder für sich beantworten. Für mich war klar, hier ist ein Humanist am Werk, ein Musiker, der das Menschliche in der Musik aufspürt und weitervermittelt. Bereits die Partita Nr. 1 BWV 825 von Johann Sebastian Bach entwickelte sich leichtfüßig und optimistisch. Keine Rede von einem intellektuell buchstabierten Bach. Zimerman brachte die Musik zum Fliegen und Funkeln. Ein Bach for ever! Quasi nahtlos fügten sich die Drei Intermezzi op. 117 von Johannes Brahms an. Der gleiche Humanismus, die gleiche Einfachheit, die gleiche tief empfundene Ehrlichkeit. Zimermans Anschlag war sanft und klar, die Musik schwebte und nahm uns mit ihrer herbstlichen Atmosphäre in jedem Augenblick gefangen.
Nach der Pause dann Chopins viersätzige 3. Sonate op. 58, die die Vielseitigkeit des Komponisten bestens unter Beweis stellt. Jeder Satz hat seine besondere Stimmung und Dynamik. Zimerman ließ sich auch hier nicht zum Interpretieren verführen, sondern spielte das Werk quasi aus seinem Kern heraus und verband die diversen Stimmungen zu einem überragenden Ganzen, bei dem sich alle Sätze zu einem grandiosen Werk verbanden. Ja, an diesem Abend interpretierte Zimerman nicht, er spielte Musik. Und dafür gab es am Schluss berechtigte Standing Ovations und noch drei Zugaben.
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