Russland / Die Kreml-Partei gewinnt wie erwartet Parlamentswahlen
Die Kreml-Partei „Einiges Russland“ gewinnt die Parlamentswahl in Russland. Ob es zur absoluten Mehrheit reicht, ist unklar.
Matwejew Kurgan ist ein Dorf wie so viele andere in Russland. Es gibt unasphaltierte Straßen, es gibt eine weiße Lenin-Statue im Zentrum, ein Heimatkundemuseum. Vor den Wahllokalen wehen ein paar bunte Luftballons, sowjetische Schlager erklingen. Knapp 1.200 Kilometer sind es von hier, an der russisch-ukrainischen Grenze im Gebiet Rostow, bis nach Moskau. 120 nach Donezk, 140 nach Luhansk, in die international nicht anerkannten Separatistengebiete. Viele Menschen in diesen als Republiken bezeichneten Gebieten wünschen sich russische Pässe. Sie bekommen sie in diesen Tagen zuhauf. Denn es ist Wahl in Russland. Eine, bei der die Regierungspartei „Einiges Russland“, die Machtbasis des russischen Präsidenten Wladimir Putin, ihre absolute Mehrheit im Parlament verteidigen will. Und eine, die auch dieses Mal von Betrugsvorwürfen überschattet wird. Matwejew Kurgan reiht sich dabei in eine Art Verstöße-Liste ein.
Der Internetsender „Doschd“ (Regen), kurz vor der Wahl vom russischen Justizministerium zum „ausländischen Agenten“ erklärt, zeigt gleich mehrere Busse, die über die Grenze kommen. Dutzende Menschen mit russischen Fähnchen in der Hand steigen aus und laufen in ein Wahllokal. Offenbar bekommen sie in der örtlichen Migrationsbehörde ihren russischen Pass, danach geht es zum Wählen. Mehrere Menschen berichten dem Sender freudig davon. Es zwingt sie niemand, doch wissen sie, wem sie den erhofften Pass zu verdanken haben: „Einiges Russland“. Ersten offiziellen Zahlen zufolge liegt die Partei bei 38 Prozent. Das ist weniger als vom Kreml erhofft. Die Kommunisten kommen mit 25 Prozent auf Platz zwei, auch eine neue Partei, die „Neuen Leute“ kämen damit zum ersten Mal in die Duma. Allerdings waren am Abend lediglich neun Prozent der Stimmen ausgezählt. Erste handfeste Ergebnisse soll es erst am Montag geben.
Das Team um den inhaftierten Oppositionspolitiker Alexej Nawalny will die Feier der Machtelite dennoch stören. Mit seiner Methode des „klugen Wählens“ sollen aussichtsreichste Kandidaten anderer Parteien „Einiges Russland“ schwächen. Dabei zählen nicht die Inhalte dieser Kandidaten, der Zweck heiligt bei diesem Vorgehen die Mittel. Das Regime tut an den Wahltagen allerdings einiges, um die Nawalny-Listen aus dem Netz zu nehmen. Ein Katz-und-Maus-Spiel beginnt. Löschen Google, Apple, YouTube und auch Telegram auf Druck der Behörden die Empfehlungen Nawalnys, so finden sich bei Twitter die Listen. Ist ein Google-Doc-Dokument weg, entsteht schnell ein neues.
Loyalität sicherstellen
Bei der Mobilisierung der Menschen geht es dem Staat nicht um die individuelle Wahl eines Einzelnen. Die Abstimmung ist eine Art kollektive Entscheidung, die in den Augen der regierenden Elite nur eines bedeuten muss: Loyalität zu Putin. Diese gilt es, mit aller Macht sicherzustellen – mit Packen an vorausgefüllten Stimmzetteln, die manche Schuldirektorinnen in die Wahlurne stopfen, von den Videokameras an der Decke offenbar unbeeindruckt. Mit „toten Seelen“ auf Wahllisten, mit der Online-Abstimmung und der auf drei Tage ausgedehnten Wahl. In den Nächten sind keine Beobachter zugegen.
Die unabhängige russische Wahlbeobachter-Organisation „Golos“ (Stimme), wie „Doschd“ ebenfalls als „ausländischer Agent“ gebrandmarkt, listet Tausende Manipulationen quer durchs Land auf. Die OSZE hat dieses Mal keine Beobachtermission nach Russland geschickt. Moskau hatte lediglich 60 Beobachter fürs ganze Land zugelassen und die niedrige Zahl mit der Pandemie erklärt.
Der Staat erkauft sich die Stimmen mit Verlosungen, als Quasi-Ersatzhandlung für all die verschleppten Reformen. Es gibt Wohnungen und Autos zu gewinnen und zahlreiche Gutscheine. Selbst Putin-Sprecher Dmitri Peskow bekommt nach seiner Online-Abstimmung solch einen Gutschein. Andere, wie in Matwejew Kurgan an der Grenze zur Ukraine, erhalten ihre Pässe. Für manche ein Hauptgewinn dieser Wahl.
- Die Glocken sind nach Rom: „Klibberkanner“ unterwegs - 28. März 2024.
- Budget: Von Sparmaßnahmen bislang keine Spur - 28. März 2024.
- „Sustain Lux“ soll Initiativen und Forschung verbinden - 28. März 2024.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos