ItalienDie Insel, die Mafia und der Müll: Sizilien kriegt das Abfallproblem nicht in den Griff – doch jetzt leidet der Tourismus

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Siziliens Müllproblem ist nicht neu, doch so schlimm wie dieses Jahr war es noch nie Foto: Facebook/Screenshot

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Auf der italienischen Mittelmeerinsel Sizilien stapelt sich der Dreck. So sehr, dass Touristen den Reißaus nehmen. Derweil macht die Mafia gute Geschäfte. Und einige rechte Politiker wohl auch.

Der Anblick kann nur angeekeltes Kopfschütteln hervorrufen: Berge von Müllsäcken liegen an den Straßen direkt hinter dem Strand, auf jedem Parkplatz. Manche von ihnen sind aufgerissen. Im besten Falle suchen streunende Katzen oder Hunde nach etwas Fressbarem. Im ungünstigsten sieht man auch tagsüber bereits Ratten durch die Müllberge huschen. Siziliens Städte versinken – wieder einmal – im Hausmüll. Touristen wenden sich angeekelt ab und erklären ihren Reiseveranstaltern und Gastgebern, es sei das letzte Mal gewesen, dass sie die Insel besucht hätten.

Und das betrifft nicht nur Ausländer. Selbst italienischen Urlaubern, die doch so manchen Kummer gewöhnt sind, geht die Verschmutzung der Strände und Städte über jede Hutschnur. „Ich bin einige Wochen mit dem Rad durch Sizilien gefahren, es gab keinen Zentimeter Straße ohne Müll“, schrieb Gabriele Sozzano in einem Protestbrief an die Tageszeitung Il Fatto quotidiano, „Plastikflaschen, Pfanne, Müllsäcke, Kühlschränke – man fährt durch Berge von Müll, wo auf der anderen Seite doch solche imposanten Kulturschätze auf Sizilien zu bewundern sind.“ Zurückgekehrt an seinen Wohnort Novara musste der Leser seiner Wut Raum geben.

Ein gutes Geschäft

Das Problem ist kein neues auf Sizilien, doch in diesem Sommer mit seinen Hitzewellen stinkt es zum Himmel. Doch warum ist es gerade auf Sizilien so schmutzig? „Weil alle bisherigen Gouverneure der Region sich schützend vor die Betreiber der drei großen privaten Mülldeponien stellten und es versäumten, eine unter Kontrolle der öffentlichen Hand zu errichten“, erklärt Claudio Fava, Präsident der Regionalen Antimafiakommission. Unter dem Antimafia-Staatsanwalt von Catania, Carmelo Zuccaro, laufen derzeit vier Ermittlungsverfahren gegen die Betreiber der Deponien. Hauptuntersuchungspunkte sind neben illegaler Giftmüllentsorgung – hier kommen Transporte aus ganz Italien – auch der ungesetzliche und vorschriftswidrige Betrieb der Anlagen sowie Bestechung von regionalen Politikern und Beamten der Umweltbehörde Arpa.

Die gesamte Müllentsorgung befindet sich in den Händen von Leuten mit engen Beziehungen zur Cosa Nostra

Staatsanwalt Carmelo Zuccaro

Zwei Deponien mussten vor kurzem geschlossen werden, weil sie mit richterlichem Beschluss aufs Gründlichste durchsucht wurden. Die Polizisten, Carabinieri und Beamten der Guardia Finanza fanden unter dem Müll vergrabene Plastikkanister, in denen Bestechungssummen in Millionenhöhe gefunden wurden.  „Die gesamte Müllentsorgung befindet sich in den Händen von Leuten mit engen Beziehungen zur Cosa Nostra“, urteilt Staatsanwalt Zuccaro.

Die für einen Außenstehenden schwindelerregenden Summen sind offensichtlich für das organisierte Verbrechen nichts weiter als „Peanuts“. Seit Jahrzehnten übt die Cosa Nostra auf die örtliche Politik vehementen Einfluss aus. Bestechung ist da nur ein Mittel, sich die Beamten und Parteifunktionäre gefügig zu halten.

Gerade eben erst sind die Regional- und Kommunalwahlen auf Sizilien über die Bühne gegangen. Nachfolger des linksliberalen Bürgermeisters Leoluca Orlando – der 22 Jahre die Geschicke Palermos geleitet hatte – wurde Roberto Lagalla. Bereits während des Wahlkampfs wurde notiert, dass sich Lagalla nicht ausreichend von der Mafia distanziert. Die Ehefrau des frisch gewählten Bürgermeisters, Maria Paola Ferro, ist die Nichte des Clan-Bosses von Agrigento, Antonio Ferro.

Die Förderer des Mitte-rechts-Politikers – Ex-Regionalpräsident Siziliens, Salvatore „Toto“ Cuffaro, und der Berlusconi-Vertraute Marello Dell’Utri – waren beide rechtskräftig wegen Mafia-Verbindungen verurteilt. Lagalla selbst rief Protest hervor, als er demonstrativ den Gedenkveranstaltungen zum 30. Jahrestag des Attentats auf Anti-Mafia-Richter Giovanni Falcone fernblieb. Im Vorfeld der jetzt abgehaltenen Wahlen wurden zwei Kandidaten aus dem Team Lagallas, Pietro Polizzi (Forza Italia) und Francesco Lombardo (Fratelli d’Italia), verhaftet. Die Staatsanwaltschaft des sizilianischen Hauptortes wirft beiden Politikern vor, mit Mafia-Bossen Verabredungen zur Unterstützung des Mitte-rechts-Bündnisses getroffen zu haben.

Tourismus kollabiert

Auch bei den auf den Deponien gefundenen Millionen handelt es sich um Bestechungsgelder, die örtlichen Politikern zugedacht waren. Im Zusammenhang mit dem Fund und der illegalen Machenschaften wurden die Betreiber zweier Deponien verhaftet, die Mülllagerstätten geschlossen. Nun landet noch mehr Müll auf den Straßen.

„Der Schaden, der uns von dieser Unmenge Müll entsteht, ist enorm und in seinem ganzen Ausmaß noch gar nicht bezifferbar“, erklärte Salvo Basile von der Tourismusvereinigung Confesercenti. Und Marco Mineo, Provinzialpräsident des Hotellerieverbandes Asshotel, ergänzt: „Um die Saison noch irgendwie retten zu können, bedarf es jetzt außergewöhnlicher Anstrengungen.“ Zwar sind viele Freiwillige auf den Straßen zu sehen, doch ein dringend erforderlicher Eingriff staatlicher Stellen ist nicht in Sicht.

Sogar Buchungsportale wie Airbnb, Holiday Lettings oder Booking.com werden derzeit mit einer Fülle von Protestbriefen überhäuft. Absender sind Touristen, die den unsagbaren Schmutz und die Menge des Mülls auf sizilianischen Straßen nicht länger ertragen wollen. Man könne einen Urlaub auf der süditalienischen Insel nicht empfehlen, so der Grundtenor der Schreiben. Die Politik ist wieder einmal gefragt und wieder einmal machtlos gegenüber der Mafia. So werden die Müllberge wohl weiter wachsen und die Gäste aus dem In- und Ausland in Zukunft wohl fernbleiben.