EditorialDie EU-Staaten verpassten es, gegenüber Polen Klartext zu reden

Editorial / Die EU-Staaten verpassten es, gegenüber Polen Klartext zu reden
Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki (l.) und sein ungarischer Gesinnungsgenosse Viktor Orban haben andere Vorstellungen über Rechtsstaatlichkeit, als sie in den EU-Verträgen festgelegt sind Foto: AFP/John Thys

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Niemand hatte im Vorfeld des gestern zu Ende gegangenen EU-Gipfeltreffens in Brüssel erwartet, dass sich die 27 streiten wie die Kesselflicker und mindestens einer von ihnen im Schwitzkasten des Kollektivs unverzügliche Besserung gelobt. Dass es aber zu eindeutigen Klarstellungen kommen müsste, davon gingen sehr viele aus. Geschehen ist aber nichts.

Während offenbar zwei Stunden diskutierten die 27 über die Unabhängigkeit der Justiz in Polen im Zusammenhang mit einem Urteil des polnischen Verfassungsgerichtshofes, in dem dieser feststellte, dass die Artikel 1 und 19 des EU-Vertrags nicht mit der polnischen Verfassung vereinbar seien. Seit der Urteilsverkündung am 7. Oktober wird heftigst in der EU über die Konsequenzen des Richterspruchs diskutiert: ob die polnische PiS-Regierung damit einen Austritt aus der Union, einen sogenannten „Polexit“, vorbereitet – auf keinen Fall –, ob das Urteil das Potenzial habe, die EU zu spalten, es der Anfang einer schleichenden Unterminierung des europäischen Rechtssystems ist. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und andere EU-Politiker warnen, dass hier fundamentale Prinzipien der Union infrage gestellt werden, dass das Urteil einem Angriff auf die Grundfeste der Union gleichkomme. Und was sagen die 27 EU-Chefs dazu in ihrer Gipfelerklärung: nichts.

Kurios ist das keineswegs, denn die EU-Staaten tun seit Jahren herzlich wenig gegen den nicht nur in Polen, sondern auch im von Viktor Orban regierten Ungarn fortschreitenden Umbau zweier erst vor einigen Jahrzehnten aus autoritären Regimen entkommener Länder zu illiberalen Staaten. Bereits im Dezember 2017 hat die EU-Kommission ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrages gegen Polen eingeleitet und die Mitgliedstaaten aufgefordert, festzustellen, ob wegen der umstrittenen Justizreform der polnischen PiS-Regierung „die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Rechtsstaatlichkeit“ besteht. Kein Jahr später leitete das Europäische Parlament (EP) ein ebensolches Verfahren – das mit dem Entzug des Stimmrechts im Rat das politisch schwerwiegendste Sanktionsinstrument der Union bereithält – gegen Ungarn ein. Geschehen ist in beiden Fällen nichts. Was in höchstem Maße fahrlässig ist. Denn nun wurde von einem allseits, insbesondere auch vom Europäischen Gerichtshof, als illegitim erachteten obersten Gericht in Polen eine Situation heraufbeschwört, die vom polnischen Regierungschef Mateusz Morawiecki und dessen Gesinnungsgenossen Viktor Orban als eine Selbstverständlichkeit präsentiert wird. Und die Nationalisten und Souveränisten, sogenannte EU-Skeptiker, die in nur wenigen Jahren in vielen EU-Staaten einen festen Platz im politischen Spektrum eingenommen haben, jubilieren.

Der belgische liberale EU-Parlamentarier Guy Verhofstadt wies diese Woche während einer Debatte im EP darauf hin, dass die Brexiteers genau die beiden vom polnischen Verfassungsgericht beanstandeten Artikel als Vorwand für den EU-Austritt anführten. Sie wollten keine „immer engere Union der Völker Europas“ und keinen Europäischen Gerichtshof, der für gleiches Recht aller Menschen in der EU sorgt. Die Briten dachten, sie könnten sich den Brexit als sogenannter Nettozahler leisten. Morawiecki und Orban wissen, sie brauchen das Geld aus Brüssel. Sie bleiben und versuchen zumindest in der Praxis, grundlegende Prinzipien in der EU ihren Vorstellungen anzupassen. Bislang konnten sie dabei auf die Nachlässigkeit der anderen Mitgliedstaaten zählen. Das darf jedoch nicht so weitergehen. Die EU-Staaten können sich nicht ständig hinter der Kommission als Hüterin der Verträge verstecken. Sie müssen ihren Teil der Verantwortung übernehmen und endlich gegenüber den Regierungen in Warschau und Ungarn Klartext reden. Auf dem Gipfeltreffen wurde diese Chance verpasst.

Klod
26. Oktober 2021 - 22.16

Die EU ist schon laengst ein schaebiger club der einen zentralstaat durch die hintertuer einfuehren will Mehr europa...dieser slogan kann ma ja nicht mehr hoeren.

d'Mim
26. Oktober 2021 - 12.07

Was hat die EU nicht alles schon verpasst !!

Sepp
24. Oktober 2021 - 19.27

Die Republik Polen könne wegen Artikel 1, der die Gründung der EU durch die Mitgliedstaaten und die Übertragung von Zuständigkeiten an sie zur Erreichung gemeinsamer Ziele festhält, „nicht als demokratischer und souveräner Staat funktionieren.“ Mich würde mal interessieren, was mit den "nationalen" Beamten und Richtern passiert, wenn alle Aufgaben an die EU abgegeben werden? Wozu brauchen wir sie eigentlich noch? Werden wieder sinnlose Posten erschaffen? Müssen alle Luxemburger jetzt Richter werden um in Luxemburg zu bleiben? Kriegen die Beamten eine Aufgabe in Brüssel? Ist das der Grund warum Employés de l'état eingestellt werden momentan, damit man im Notfall rausschmeissen kann? Was ist die Agenda bzw. der Zukunftsplan mit den Beamten und Richtern?

HTK
24. Oktober 2021 - 9.35

Von dieser Unschlüssigkeit profitieren Nasen wie Orban,Erdogan usw. Ja sogar die "Partner" USA und England wenden sich ab nach dem Motto "Diskutieren kostet Zeit und macht unglaubwürdig",treffen sie Entscheidungen über den Kopf der EU hinweg. Die Weitsicht der Von der Leyen-Truppe verliert sich hinter dem Horizont.Der Letzte mit etwas Punch scheint Macron zu sein. Aber vielleicht kommt mit Scholz etwas Mumm in die Bude.Nur der hat ja die Baerbock an der Backe und die freut sich über hohe Energiepreise,will sie doch die Welt mit Biogas retten.

Schaak‘s Piir
24. Oktober 2021 - 7.03

Referendum in allen EU-Landen : « To bee or not to bee in the EU ? »

Arm
23. Oktober 2021 - 19.23

Außer Spesen Nix gewesen hab ich das schon vor ein paar Tagen gesagt