InterviewDie Corona-Angst managen – eine Expertin erklärt, wie man das schafft

Interview / Die Corona-Angst managen – eine Expertin erklärt, wie man das schafft
Angst ist ein uraltes Gefühl der Menschen – und ein überschätztes, sagt die Psychologin Laurette Bergamelli (58)  Foto: privat

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Pandemien erzeugen Ängste. Angst, sich anzustecken, Angst vor dem eigenen individuellen Verlauf von Covid-19 – Angst, zu sterben. Laurette Bergamelli (58) ist Psychologin und Achtsamkeitstrainerin. Angst kann man managen, sagt sie und lehrt das in Kursen. Sie ist Dozentin bei der „Erwuessene-Bildung“, wo zurzeit ein Seminar zum Thema läuft.

Tageblatt: Angst ist ein überschätztes Gefühl, sagen Sie. Warum?

Weil wir nicht gelernt haben, damit umzugehen. Wir beschäftigen uns zu wenig damit.

Warum? Weil wir fürchten, es zeige eine eigene Schwäche, die man besser unterdrückt?

Es wird vielfach so gedeutet, aber es ist kein neues Phänomen. Angst ist uralt und zutiefst in uns Menschen verankert, und dieses Gefühl ist im ersten Moment unangenehm. Das verdrängen viele lieber.

Ist das nicht normal?

Ja, aber es funktioniert bei der Psyche nicht. Wenn Angst dauerhaft verdrängt wird, zeigen sich körperliche Symptome. Sie wiederum schwächen das Immunsystem, das wir jetzt gerade brauchen.

Trotzdem legen doch die modernen westlichen Leistungsgesellschaften ganz andere Maßstäbe an. Jemand mit Angst ist nicht gerne gesehen …

Letztendlich ist es nicht entscheidend, ob Menschen Angst vor dem Tiger haben oder vor dem Chef, Angst bleibt Angst. Der Körper reagiert so, als würden wir vor dem Tiger stehen, weil wir nichts Neues gelernt haben. Die Natur hat uns mit drei Reaktionssystemen bei Angst ausgestattet: Kämpfen, flüchten oder totstellen. In zivilisierten Gesellschaften brauchen wir andere Mechanismen.

Welche?

Wir müssen lernen, mit der Angst umzugehen. Wenn sie uns beherrscht, leidet die Seele, die Psyche. Nur ein gesunder Körper mit einem guten Immunsystem stärkt uns in einer Pandemie. Ich plädiere dafür, dass Eltern das schon ihren Kindern im Alter von vier bis fünf Jahren beibringen.

Was ist denn ein guter Umgang mit Angst?

Ich gebe eine typische Situation: Sie wachen nachts auf und denken panisch, ich habe im Büro etwas Wichtiges vergessen. In dem Moment haben Sie nicht mehr parat, dass Sie in Ihrem Bett liegen, es ruhig, warm und kuschelig ist und Sie noch ein paar Stunden schlafen könnten. In dem Moment sind Sie nicht mehr in der Lage, sich vor Augen zu halten, dass es aktuell keinen Grund für Panik gibt. Wenn wir gelernt hätten, uns das in diesen Momenten vor Augen zu führen, könnten wir unsere Kraft darauf verwenden, uns zu beruhigen und das Problem am nächsten Morgen zu lösen.

Das heißt, der Mensch von heute hat den Moment aus den Augen verloren?

Genau. Gedanken werden oft als Realität erlebt, obwohl sie es gar nicht sind. Darüber geht viel Energie verloren.

In Pandemiezeiten mit Sicherheitsmaßnahmen, Ausgehbeschränkungen und sonstigen Einschränkungen sind aber viele Menschen verunsichert und haben Ängste …

Ja, das ist sicher richtig. Es zeigt aber nur, wie stark Verdrängung am Werk ist. Krankheiten und Pandemien gab es schon immer. Im Winter 2017/18 sind allein in Deutschland laut Schätzungen rund 20.000 Menschen gestorben. Darüber wurde gar nicht geredet. Über den „Lockdown“ ist nur eine andere Ebene in das Thema gekommen, aber im Kern ist Angst ein sehr altes Gefühl in der Menschheitsentwicklung.

Das hilft aber in der Situation nicht weiter …

Deswegen muss man die „Bedrohung“ managen können. Ich weiß schon lange, dass ich irgendwann sterben muss, dass es schon immer Krankheiten gab, dass das Leben gefährlich ist. Es scheint mir, dass die Menschen gerade wieder entdecken, dass das Leben lebensgefährlich ist. Aber wichtig für gesunde Menschen ist, sich in diesen Momenten vor Augen zu halten, dass sie gerade nicht an Covid-19 erkrankt sind. Das eröffnet eine andere Perspektive als die angstvolle, wobei ich hier nicht zu „Covid-Partys“ aufrufen will. Es hilft, in jeder Situation bei den Fakten zu bleiben, sodass wir keine Energie verlieren an Dinge, die nicht existieren. Das schafft Zuversicht.

Das heißt, wir haben zu viele Abwehrmechanismen entwickelt und lassen uns nur noch von Angst leiten?

Wir wollen keine Angst haben, wir wollen nicht krank werden, und deswegen verdrängen und speichern wir diese negativen Gefühle. Das wird sich irgendwann körperlich auswirken und das Immunsystem schwächen.

Es geht also letztendlich um Gelassenheit?

Gelassenheit und Wege dorthin zu lehren, ist mein Hauptjob. Das habe ich auch schon vor der Pandemie gemacht. Angst gehört zur menschlichen Ausstattung, wir müssen nur lernen, damit umzugehen. Angst ist ein starkes Gefühl und bei Gefahr durchaus angebracht. Es darf aber nicht Überhand nehmen und das Leben regieren. Der Umgang mit Gefühlen gehört zur einer notwendigen Psychohygiene, die wir noch wie die Körperhygiene zu lernen haben.

Was empfehlen Sie?

Sich die Zeit zu nehmen, aufmerksam in sich hineinzuhören. Die angstvollen Bilder im Kopf als Bilder und Gedanken zu „entlarven“, die im Moment keine Realität haben, und ihnen deswegen für den Moment keinen Raum geben. Sich die eigene, aktuelle Situation vor Augen führen und erkennen, dass es im Moment wahrscheinlich keinen Grund gibt, in Panik zu geraten. Dazu gehört regelmäßige Entspannung. Das beruhigt.

Wollen Sie eine Prognose wagen, wie und ob sich die Gesellschaft durch Corona verändert? Aus psychologischer Sicht?

Nicht wenige Menschen, die schon angefangen hatten, sich mit ihren Gefühlen vertraut zu machen, wurden durch die Situation angeregt, ihr Leben zu überprüfen, um vielleicht Veränderungen herbeizuführen. Andere hingegen haben mit bisher unterdrückten Ängsten zu tun, die diese Situation auslöst, und sind schlechter dran als vorher. Es gibt also positive Entwicklungen und schmerzhafte. Meine Empfehlung: Einfach schön weiteratmen. 

Zur Person

Laurette Bergamelli ist Italienerin und in Frankreich aufgewachsen. Sie hat in Trier Psychologie studiert und Ausbildungen in Achtsamkeit absolviert. Sie lebt seit 35 Jahren in Deutschland und wohnt jetzt in der Nähe von Trier. Seit 2010 unterrichtet sie Menschen in Achtsamkeit. Die „Mindful Based Stress Reduction“ (MBSR) ist ein Programm, das von dem Amerikaner John Kabat-Zinn entwickelt wurde. Grundlage des Meditationsprogramms des inzwischen emeritierten Professors an der University of Massachusetts Medical School in Worcester ist die Erkenntnis, dass es einen Zusammenhang zwischen körperlichen Vorgängen und geistigen Aktivitäten gibt. 

Selena
22. Juli 2020 - 13.16

Ich habe noch einen anderen Ansatz zur "Angstbewältigung". Haltet euch mal generell von den Medien fern (ich weiss, das fällt schwer...), denn dort wird m. E. in letzter Zeit total Panik geschürt. Wieso eigentlich? Da werden uns Statistiken aufgeführt, die auf wackeligen Füssen stehen, weil viele Parameter gar nicht erst einfliessen (können), und es wird uns immer nur von der "2. Welle" erzählt, und von 1000 oder gar 2000 Totesfällen. Und eine gewisse Zeitung hatte beim Corona-Live-Ticker ein Foto von mit Schutzkleidung vermummten Menschen mit einem Sarg und Kreuzen inmitten einer graslosen Landschaft als Aufmacher. Ist dies denn noch in Ordnung? Man sollte nichts verharmlosen, aber auch nicht soche Bilder als Aufmacher benutzen, um, wie mir scheint, vielleicht bewusst Angst zu schüren. Und fehl am Platz sind auch die berüchtigten Hochrechnungen. Da stelle ich mir doch wirklich Fragen. Fragen, was das ganze soll, und Fragen, welche Rolle die Medien übernehmen (sollten). Werden einige Informationen überhaupt nocht hinterfragt oder einfach nur als so gegeben angenommen und verbreitet? Wo man an einigen Stellen berechtigterweise von Fakenews und Verschwörungstherien spricht, wird hingegegen an vielen Stellen so einiges in die andere Richtung hochgetrieben und kaum mehr hinterfragt. Ja, gewisse kritische Stimmen werden unterdrückt, sprich: zensiert, gelöscht und nicht zugelassen.