Die Bomben stoppten Milosevic, aber brachten keinen Frieden

Die Bomben stoppten Milosevic, aber brachten keinen Frieden

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Von seinem ums Leben gekommenen Bruder sind Miroslav Medic nur einige Fotos geblieben. Ein eigenes Grab habe Sinisa nicht, seufzt der 54-jährige Serbe, während er in seiner Wohnung im Belgrader Stadtteil Kotez über den Kriegsschrecken berichtet, der vor 20 Jahren über seine Familie kam: „Die Gerichtsmediziner konnten in den Trümmern keinerlei identifizierbare Überreste finden, die wir hätten beerdigen können.“

Von unserem Korrespondenten Thomas Roser, Belgrad

32 Jahre jung war Sinisa, als am 23. April 1999 ein Bombenangriff der NATO auf Serbiens Staatssender RTS den TV-Techniker und 15 seiner Kollegen in der Nachtschicht aus dem Leben riss. „Warum?“ prangt auf dem Gedenkstein für die 16 Todesopfer in Sichtweite der Ruine ihres einstigen Arbeitsplatzes. „Warum war es nötig, dass sie starben?“, fragt sich sein älterer Bruder traurig: „Und warum wurde nichts getan, um sie zu schützen – und zu retten?“

In der Nacht, in der Sinisa starb, hatte die NATO Belgrad schon einen Monat lang bombardiert: Die am 24. März 1999 begonnenen Luftschläge sollten den Autokraten Slobodan Milosevic zum Rückzug der Truppen aus Kosovo bewegen. Wie sein Bruder war auch Miroslav als Fernsehtechniker bei der RTS beschäftigt. Tagsüber habe sich die Belegschaft wegen der Anwesenheit ausländischer TV-Korrespondenten sicher gefühlt. Doch wenn nachts die Sirenen heulten, machte sich Verunsicherung breit: „Ein Angriff lag in der Luft.“

Auch bei Luftalarm hätten die Angestellten an ihrem Arbeitsplatz zu verbleiben, so die Anweisung der RTS-Direktion: Falls die Überwachung des Funkverkehrs der NATO tatsächlich auf die Gefahr eines Luftangriffs weise, würden die Mitarbeiter rechtzeitig informiert und aus dem Gebäude gebracht. Doch als am 23. April um 2:06 Uhr eine gewaltige Detonation in Belgrad die Fensterscheiben springen ließ, wurde niemand gewarnt.

Auffällig schnell waren die RTS-Direktoren nach dem Einschlag zur Stelle, um die Kameramänner anzutreiben, „so viel wie möglich zu filmen“, erinnert sich Miroslav an die Bombennacht. Sein Bruder sei von der NATO „kaltblütig ermordet“ und vom eigenen Staat „nicht geschützt“ worden, ist er überzeugt: „Sie haben die Leute geopfert, weil ihnen die Bombentoten für ihre Propagandazwecke gelegen kamen.“

78 Tage lang fielen NATO-Bomben

Verdrehte Stahlträger und leere Fensterhöhlen: Ein Werbeplakat der Armee verdeckt die Ruine des Generalstabs an der Fürst-Milos-Straße. 78 Tage lang ließ die NATO im Frühjahr 1999 die Bomben auf Serbien und Kosovo prasseln. Während Belgrad die Angriffe ohne UN-Mandat bis heute als „NATO-Aggression“ und Unrecht geißelt, waren die Bomben nach Ansicht der Menschenrechtsaktivistin Natasa Kandic „unausweichlich“.

Nach den Kriegen in Kroatien und Bosnien hätte Serbien in Kosovo „aufgehalten werden müssen“: „Jemand musste einen Punkt setzen, Milosevic und die Generäle stoppen, die die Leute massakrieren und die Leichen verschwinden ließen, um die Spuren der Verbrechen zu tilgen.“

Als am 24. März 1999 die Sirenen zu heulen begannen, machte sich Kandic nach Kosovo auf. Die dramatischen Eindrücke von endlosen Flüchtlingstrecks und Militärkolonnen in Kosovo standen bei ihrer Rückkehr im krassen Kontrast zu den Bildern, die sich ihr in Belgrad boten: „Die Cafés waren voll von jungen Leuten, die im Fernsehen das Geschehen verfolgten.

Intellektuelle erregten sich in offenen Briefen über die Bombardierung. Doch das, was mit den Albanern passierte, wollte niemand wissen, ließ die Leute völlig gleichgültig.“

Von ihren Landsleuten als „Verräterin“ beschimpft, reiste sie immer wieder nach Kosovo, um Kriegsverbrechen zu dokumentieren. Nach Abzug der serbischen Truppen gelangte sie am 14. Juni nach Pec (Peja): „Auf den Straßen lagen Leichen. Überall sah man Massengräber und Frauen, die von Friedhof zu Friedhof zogen, um ihre Männer zu suchen.“

Bald nach dem Einmarsch der internationalen KFOR-Truppen begann sich das Bild der Gewalt zu drehen. Nun wurde die serbische Minderheit, aber auch der Kollaboration bezichtigte Roma oder Albaner zu Opfern von Vertreibung, Mord und Verschleppung durch die Befreiungsarmee UCK. Die KFOR sei kaum vorbereitet gewesen, so Kandic: „Sie wussten nur, dass Albaner die Opfer seien, aber sahen nicht, was mit den Serben passierte.“ Die Augen des einstigen Studentenaktivisten Strahinja glänzen, wenn der 48-Jährige „von der positiven Energie“ in Oppositionskreisen während der Bombardierung erzählt: „Milosevic hatte die NATO-Bomben gewollt, um die Nation hinter sich zu bringen und seine bröckelnde Macht zu festigen. Aber wir wussten, dass das den Anfang seines Endes bedeuteten würde.“

Volksaufstand gegen Milosevic

Tatsächlich sollte ein Volksaufstand den Autokraten 14 Monate nach Kriegsende am 5. Oktober 2000 zum Abtritt zwingen. Mit fast neun Jahren Verspätung bescherten die Folgen des Krieges auch Prishtina im Februar 2008 die ersehnte Unabhängigkeit: Mit Unterstützung des Westens, aber gegen den Willen Serbiens erklärte der nach dem Krieg zunächst jahrelang von der UNO verwaltete Kosovo im Februar 2008 die Eigenstaatlichkeit. Die NATO-Bomben stoppten Milosevic, aber brachten den versöhnungsunwilligen Kriegsgegnern keinen echten Frieden.

Noch immer blockiert Belgrad mit Hilfe Moskaus die Aufnahme Kosovos in internationale Organisationen wie die UN, den Europarat oder Interpol – und sich selbst: Ohne eine zumindest faktische Anerkennung der Ex-Provinz hat Serbien auf den ersehnten EU-Beitritt keine Chance. Der Westen hätte Serbien zur Anerkennung des Kosovos und der begangenen Kriegsverbrechen „zwingen“ müssen, sagt Kandic. Gleichzeitig hätten die UN und die EU es versäumt, in Kosovo nach dem Krieg „zumindest elementare Grundlagen eines Rechtsstaats“ zu installieren.

Ein Strauß Blumen liegt unter dem Gedenkstein im Park. Im Gegensatz zu Soldaten habe sein Bruder Sinisa weder einen Helm oder eine Waffe getragen „noch irgendjemanden bedroht“, sagt Miroslav Medic: „Die Bombardierung war ein furchtbares Verbrechen.“

GERGES JANG
25. März 2019 - 17.42

Dass in diesen Balkan Ländern jemals echter Frieden herschen soll,wage ich zubezweifeln.Serbien findet sich zu Unrecht von der Nato bombardiert,will aber einen Völkermord an Muslimen nicht eingeestehen. Sehr schlechte voraussetzungen für einen dauerhaaften Frieden!!!

boufermamm
24. März 2019 - 13.04

Bomben für den Frieden. Ein Widerspruch. Eine Illusion.