Sonntag7. Dezember 2025

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Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja„Die Belarussen wollen zurück in die europäische Familie“

Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja / „Die Belarussen wollen zurück in die europäische Familie“
Swetlana Tichanowskaja ist „sehr stolz“ darauf, dass sie die Einheit der belarussischen demokratischen Kräfte über die Jahre aufrechterhalten konnte Foto: Editpress/Julien Garroy

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Swetlana Tichanowskaja trat bei den Präsidentschaftswahlen in Belarus im August 2020 als Kandidatin der Opposition gegen den Machthaber Alexander Lukaschenko an. Dieser beanspruchte den – offensichtlich gefälschten – Wahlsieg für sich und Tichanowskaja musste sich ins Exil absetzen. Sie führt seitdem die belarussische Opposition an und vertritt sie auf internationaler Ebene. Am Rande einer Veranstaltung des Europarates in Luxemburg führten wir mit Swetlana Tichanowskaja folgendes Gespräch.

Tageblatt: Wie stark ist die Opposition noch in Belarus, was kann sie noch erreichen?

Swetlana Tichanowskaja: Seit unserem Aufstand im Jahr 2020 sind fast fünf Jahre vergangen und ich bin sehr stolz darauf, dass es uns gelungen ist, die Einheit der belarussischen demokratischen Kräfte, der belarussischen Gemeinschaft, aufrechtzuerhalten. Fünf Jahre lang haben wir im Exil Strukturen aufgebaut. Aufgrund der Repressionen in Belarus ist es unmöglich, etwas Sichtbares zu tun, da jeden Tag Menschen festgenommen werden und es Tausende von politischen Gefangenen im Land gibt. Die Menschen im Exil – übrigens sind seit 2020 mindestens eine halbe Million Menschen wegen der Repressionen aus Belarus geflohen – können offener sein. Die Menschen in Belarus, die sich gegen das Regime stellen, sind mit ihren Aktivitäten in den Untergrund gegangen. Wir im Exil arbeiten gemeinsam an verschiedenen Projekten. Wir versuchen, Belarus ganz oben auf der Tagesordnung zu halten. Wir machen auf das Problem der politischen Gefangenen aufmerksam und versuchen, die belarussische nationale Identität zu stärken, weil Lukaschenko zusammen mit Putin alles Belarussische aus Belarus auslöschen will. Unsere freien Medien erreichen jeden Tag vom Ausland aus etwa drei Millionen Menschen im Land. Unsere Ziele haben sich seit 2020 nicht geändert. Wir müssen alle politischen Gefangenen freilassen und freie und faire Wahlen in Belarus abhalten.

Was wissen Sie über die politischen Gefangenen? Haben Sie Kontakt zu ihnen?

Mindestens 1.200 politische Gefangene sind hinter Gittern. Jeden Tag werden 10 bis 15 Menschen in Belarus festgenommen. Mindestens acht Menschen werden seit mehr als zwei Jahren ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten. Unter ihnen sind Maria (Kolesnikowa, Anm.), mein Mann Sergej Tichanowski. Das sind Menschen, von denen wir nichts wissen, wir haben jeglichen Kontakt zu ihnen verloren. Im Fall meines Mannes beispielsweise gelang es zuletzt im März 2023 einem Anwalt, ihn zu besuchen. Mit diesen Methoden will das Regime die Menschen hinter Gittern zerstören. Sie wollen sie davon überzeugen: Seht, niemand kümmert sich um euch, niemand besucht euch, niemand schreibt euch Briefe. Doch die werden nicht zugestellt. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass man uns diese Menschen zeigt, die unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten werden und keine medizinische Versorgung erhalten. Viele Menschen haben Krebs, Diabetes, Herzleiden. Kürzlich starb eine Frau, sie war erst 39 Jahre alt. Vier Jahre hat sie im Gefängnis verbracht. Dort bekam sie Krebs, doch sie erhielt keine medizinische Hilfe. Sie starb ein halbes Jahr nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis. Die Gefängnisse des Regimes töten Menschen.

Veränderungen in Belarus hängen auch in hohem Maße von den Verhandlungen über die Ukraine ab

Wie realistisch ist ein Wandel im Land?

Veränderungen in Belarus sind nicht nur realistisch, sie sind unvermeidlich. Natürlich können wir nicht sagen, wann, aber Regime können unbesiegbar erscheinen, bis sie plötzlich zusammenbrechen. Unsere Aufgabe ist es, diesen Moment näherzubringen, indem wir das Regime unter ständigen Druck setzen, es politisch und wirtschaftlich schwächen, wobei unsere Verbündeten durch Sanktionen natürlich eine große Rolle spielen. Auf der anderen Seite müssen wir die belarussische Gesellschaft und deren Handlungsfähigkeit stärken. Veränderungen in Belarus hängen auch in hohem Maße von den Verhandlungen über die Ukraine ab.

Ist ein Wandel überhaupt möglich, da Putin das Land zu sehr im Griff hat? Könnte Belarus dann nicht dasselbe Schicksal erleiden wie die Ukraine, wenn es sich zu sehr nach Westen orientieren würde?

Natürlich liegt es im Interesse Russlands, Belarus, die Ukraine, Moldawien und Georgien sowie Armenien als Satelliten zu behalten. Sie behandeln unsere Länder, die ehemaligen Sowjetstaaten, wie ungezogene Kinder, die sich nicht benehmen, da sie ihre Zukunft selbst bestimmen wollen. Wir müssen diese Wahrnehmung unserer Region loswerden, diese Politik der Einflusssphären zerstören. Wir sind souveräne Länder, die ihre Zukunft selbst bestimmen wollen. Wir Belarussen wollen in die europäische Familie der Länder zurückkehren. Warum sollte irgendjemand das Recht haben, uns daran zu hindern?

Lukaschenko ist der pro-russischste Mensch in Belarus, aber die Gesellschaft entwickelt sich weiter. Lukaschenko dient nicht dem belarussischen Volk und wir sehen, dass er unser Land Stück für Stück an Russland verkauft. Lukaschenko erlaubt Russland, sich in unsere Medienpolitik, den militärischen Bereich und das Bildungswesen einzumischen. Er treibt die Russifizierung unseres Landes voran. Das belarussische Volk will diesen „Ruskij Mir“ nicht und deshalb leistet es Widerstand. Wir brauchen daher Signale aus dem Westen, die sagen: Wir schätzen euren Kampf, unsere Türen stehen euch offen, wir unterstützen euch, weil wir die strategische Bedeutung von Belarus verstehen.

Ist es für Sie seit dem Krieg in der Ukraine schwieriger geworden, Gehör bei der internationalen Gemeinschaft für Ihre Anliegen zu finden?

Wir verstehen die Regeln dieser Welt sehr gut: Die Aufmerksamkeitsspanne ist eher kurz. Solange etwas Großes im Land passiert, ist die Aufmerksamkeit da. Wie 2020, als die volle Aufmerksamkeit auf Belarus und den Aufstand gerichtet war. Es ist sehr schwer für uns, auf der Tagesordnung zu bleiben. Doch wir unterstützen voll und ganz, dass die Aufmerksamkeit jetzt auf der Ukraine liegt. Denn ihr Sieg wird auch für uns Belarussen eine Chance sein. Deshalb fordere ich bei meinen Treffen mit Präsidenten, Premierministern und Ministern, dass man der Ukraine alles geben muss, was sie braucht, um diesen Krieg zu gewinnen. Wir stehen jetzt vielleicht ein wenig im Schatten, aber dennoch darf Belarus wegen der Sicherheitsprobleme während des Verhandlungsprozesses nicht übersehen werden. Wenn Belarus irgendwie vergessen oder übersehen wird, kann es zu einer ständigen Bedrohung für die Ukraine werden.

Doch wir unterstützen voll und ganz, dass die Aufmerksamkeit jetzt auf der Ukraine liegt. Denn ihr Sieg wird auch für uns Belarussen eine Chance sein.
Die belarussische Oppositionspolitikerin hielt sich zu einer Veranstaltung des Europarates in Luxemburg auf
Die belarussische Oppositionspolitikerin hielt sich zu einer Veranstaltung des Europarates in Luxemburg auf Foto: Editpress/Julien Garroy

Kann Belarus immer noch von Russland in den Krieg mit der Ukraine hineingezogen werden?

Lukaschenko ist bereits in diesen Krieg hineingezogen worden. Es muss aber zwischen Lukaschenko und dem belarussischen Volk unterschieden werden, das absolut pro-ukrainisch und gegen den Krieg ist. Sollte es in Zukunft Absichten geben, belarussische Soldaten in einen Krieg gegen die Ukraine oder Europa zu ziehen, wird dieser Versuch scheitern. Wir sind ein friedliches Volk. Die Belarussen und Ukrainer sind sehr ähnliche Völker. Wir haben eine sehr ähnliche Sprache, daher bin ich mir wirklich sicher, dass belarussische Soldaten nicht kämpfen werden, falls sie irgendwie in den Krieg hineingezogen werden. Putin kann sich nicht auf die belarussische Armee verlassen, dass sie ihm hilft.

Lukaschenko aber hat unsere Wirtschaft militarisiert, um Putin zu helfen. Mindestens 280 belarussische Unternehmen produzieren militärische Ausrüstung für die russische Armee. Und Lukaschenko verdient Geld mit dem Blut des ukrainischen Volkes. Auch das wird irgendwie übersehen. Wir haben Dokumente, die belegen, dass Russland beim belarussischen Regime bis 2027 eine riesige Menge an militärischer Ausrüstung bestellt hat. Worauf bereiten sie sich vor?

Könnte Belarus als Aufmarschgebiet für militärische Aktionen gegen die baltischen Staaten dienen?

Es ist sehr schwierig, irgendetwas vorherzusagen, denn 2022 war ich mir absolut sicher, dass sie die Ukraine nicht angreifen würden. Wir wissen nicht, was diese verrückten Diktatoren vorhaben. Deshalb bestehen wir darauf, dass diese Verhandlungen über die Ukraine wirklich einen Wendepunkt in diesem Krieg darstellen sollten. Es darf keine kurze Pause sein, die Putin Zeit gibt, seine Kräfte neu zu gruppieren und später wieder anzugreifen. Es muss ein dauerhafter und gerechter Frieden sein. Im Herbst dieses Jahres werden wieder belarussisch-russische Manöver auf belarussischem Territorium stattfinden. Erinnern wir uns daran, dass 2022 dieselben Manöver mit der Invasion der Ukraine endeten. Wer weiß, was jetzt passieren wird?

Die Stationierung von Atomwaffen in Belarus ist ebenfalls eine Bedrohung, nicht nur für das belarussische Volk, sondern auch für andere Länder. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass sich das Verhalten des Diktators ändert. Das kann nur durch Machtdemonstrationen und Druck geschehen. Denn jedes Zögern der demokratischen Welt wird von Diktatoren als Schwäche wahrgenommen.

Wie beurteilen Sie die Unterstützung der Ukraine durch europäische Länder im Vergleich zur Hilfe, die Russland von seinen Verbündeten erhält?

Diktatoren schließen sich in Kriegen zusammen und bilden gerne Koalitionen. Das sollte die demokratische Welt auch tun. Einigkeit ist unsere Waffe, unser Werkzeug. Wir sind sehr dankbar für die militärische und humanitäre Hilfe, die in all den Jahren für die Ukraine geleistet wurde. Es kann natürlich noch viel mehr getan werden, aber es ist sehr wichtig, dass die Politik nicht geändert wird. Kürzlich sind drei Staats- und Regierungschefs nach Kiew gereist, haben sich mit Präsident Selenskyj getroffen und ihm versichert, dass diese Hilfe fortgesetzt wird. Natürlich ist die transatlantische Einheit auch äußerst wichtig, aber wir sehen jetzt, dass die amerikanische Politik transaktionaler geworden ist. Dennoch versucht Präsident Trump Verhandlungen über die Ukraine zu führen. Doch die europäischen Staats- und Regierungschefs verstehen, dass der Frieden in der Ukraine und die Demokratisierung von Belarus in erster Linie im Interesse Europas liegen.

Ich begrüße die Stärkung der militärischen Verteidigung der europäischen Länder. Aber noch einmal: Wir brauchen eine konsequente Politik, keine Deals mit Putin, keine Beschwichtigung Putins. Diktatoren können nicht umerzogen werden. Wenn man ihnen Zugeständnisse macht, werden sie immer weiter gehen. Sie werden an die Türen der baltischen Länder klopfen. Wir, Europa, müssen den Diktatoren Stärke und Macht zeigen.

Ich sehe, dass Diktatoren wie Putin und Lukaschenko keinen Frieden brauchen, weil der Krieg ihr Regime nährt, er rechtfertigt Repressionen, er zeigt sie als starke Männer

Wie beurteilen Sie die aktuellen Friedensbemühungen?

Jeder Krieg endet früher oder später mit Verhandlungen. Natürlich begrüße ich die Versuche von Präsident Trump und die Beteiligung anderer Länder als Vermittler in diesem Prozess. Aber ich habe bereits gesagt, dass wir sicherstellen müssen, dass dieser Frieden gerecht ist.

Gerecht bedeutet …?

Es bedeutet, dass alle Verantwortlichen für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. Wenn die demokratische Welt den Diktatoren zeigt, dass es tatsächlich möglich ist, Land mit Gewalt zu erobern, wird das sie ermutigen. Dieser Krieg muss auf gerechte Weise beendet werden, unter den Bedingungen der Ukraine, um den Diktatoren zu zeigen, dass sie diesen Krieg politisch verloren haben.

Ich lebe seit 30 Jahren unter einer Diktatur und ich sehe, dass Diktatoren wie Putin und Lukaschenko keinen Frieden brauchen, weil der Krieg ihr Regime nährt, er rechtfertigt Repressionen, er zeigt sie als starke Männer. Nur durch Stärke können wir Diktatoren dazu bringen, sich an den Verhandlungstisch zu setzen, sowie durch eine harte Sanktionspolitik, ohne Schlupflöcher. Sie müssen zur Rechenschaft gezogen werden und Instrumente wie der Internationale Strafgerichtshof oder das Sondergericht senden starke Signale, die sagen: Wir beobachten euch, wir sehen euch, und ihr werdet nicht ungestraft davonkommen.

Der Ehemann von Swetlana Tichanowskaja, Sergej Tichanowski, sitzt seit Frühling 2020 im Gefängnis, da er Chancen hatte, gegen den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko bei den Präsidentschaftswahlen zu gewinnen
Der Ehemann von Swetlana Tichanowskaja, Sergej Tichanowski, sitzt seit Frühling 2020 im Gefängnis, da er Chancen hatte, gegen den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko bei den Präsidentschaftswahlen zu gewinnen Foto: Editpress/Julien Garroy
Jeff
16. Mai 2025 - 21.48

westlech gesteiert a finanzéiert Putschistin?