„Als ADR-Deputéierten eckt een dann eben, par la force des choses, oft un, well een eben enger anerer Meenung ass“, sagte der ADR-Abgeordnete Dan Hardy im „Sonndesinterview“, das RTL am 10. August auf seiner Internetseite veröffentlichte. Er habe immer häufiger den Eindruck, dass diese Meinung anerkannt werde, und viele Abgeordnete würden ihm sagen, nachdem er eine Rede im Parlament gehalten habe, „dat hues de gutt gesot, an esou weider“. Doch sie selbst würden sich wahrscheinlich nicht trauen, das zu sagen, meinte der frühere RTL-Journalist, der im Juni 2024 für Fernand Kartheiser in die Kammer nachrückte, nachdem dieser als erster ADR-Kandidat überhaupt ins Europaparlament gewählt worden war.
Fraktionspräsident Fred Keup hatte eine sehr ähnliche Geschichte erzählt, als die ADR Mitte Juli im Klubhaus des Schifflinger Tennisvereins ihre Bilanz der ablaufenden Kammersession zog. Die ADR habe den „Mut“, „andere“ Meinungen zu vertreten als die übrigen Parteien im Parlament, was sie zur einzigen politischen „Alternative“ zur CSV-DP-Regierung und zum „Linksblock“ mache, den „déi Lénk“, LSAP, Grüne und Piraten laut Keup bildeten.
Frei erfunden war diese Erzählung in doppelter Hinsicht: Einerseits vertritt die ADR in vielen Themenbereichen ähnliche Ansichten wie CSV und DP – gemeinsam haben sie eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Zweitens sind die anderen vier Oppositionsparteien weit davon entfernt, einen „homogenen Block“ zu bilden. Der ADR dient diese Erzählung zur Polarisierung. Gegenüber dem angeblichen Linksblock positioniert sie sich als politische Gegenkraft in der Opposition, die rechtsliberale Regierung unterstützt sie bei ihren Kernthemen Sicherheit und Migration und größtenteils auch in der Wirtschaftspolitik.
Unsympathisch
Diese Strategie funktioniert in Luxemburg weniger gut als in anderen Ländern, weil die ADR trotz leichter Zugewinne bei den letzten Kammer- und Europawahlen wesentlich schwächer ist als rechte Parteien in vielen anderen Ländern. Es fehlt ihr an charismatischen Persönlichkeiten, im Gegensatz zur Linken etwa erhielt sie bei den Kammerwahlen hauptsächlich Listenstimmen, im Politmonitor tummeln sich Keup, Kartheiser und neuerdings auch Alexandra Schoos auf den Schlussrängen. Unsympathischer und genauso inkompetent wie die drei ADR-Mandatsträger finden die Befragten nur Marc Goergen von den Piraten. Auch Ergebnisse der Polindex-Studie deuten darauf hin, dass die ADR vor allem Protestwähler anzieht: Auf die Frage, ob sie glauben, dass Politiker sich im Allgemeinen dafür interessieren, was Menschen wie sie denken, antworteten von den ADR-Wählern nur rund fünf Prozent mit „beaucoup“ oder „assez“. Das war bei weitem der niedrigste Wert, unter den Linke-Wählern waren es 15, unter denen, die den Piraten ihre Stimme gaben, fast 20 Prozent. Bei der letzten „Sonndesfro“ schnitt die ADR gegenüber ihrem Wahlresultat vom Oktober 2023 prozentual zwar nur geringfügig schlechter ab, laut TNS Ilres aber schlecht genug, um einen Sitz und damit ihre vor zwei Jahren wiedergewonnene Fraktionsstärke zu verlieren.
Polarisieren tut die ADR insgesamt weniger in der Kammer als im außerparlamentarischen Bereich – diskursive Grenzüberschreitungen leistet sie sich insbesondere in den sozialen Medien. Aus dem letzten Jahr in Erinnerung blieben vor allem ihre öffentliche Unterstützung für die Online-Petition, die LGBT-Themen in den Schulen verbieten wollte, sowie die Hetzkampagnen des Abgeordneten und „Stater“ Gemeinderats Tom Weidig gegen den Drag-Künstler Tatta Tom und die LGBTIQ+ Community insgesamt. Sie erreichte ihren Höhepunkt, als Weidig auf Facebook einem Kommentar zustimmte, der dazu aufrief, zu „kämpfen“, um „LGTBQ zu vernichten“. Diese Aktion sorgte für einen öffentlichen Aufschrei, der das Nationalkomitee dazu veranlasste, eine schriftliche Verwarnung gegen Weidig auszusprechen und weitere „Maßnahmen“ gegen ihn zu ergreifen, die die ADR-Spitze um Parteipräsidentin Alexandra Schoos der Öffentlichkeit jedoch vorenthielt. Seitdem agiert Weidig auf Facebook zurückhaltender, teilt seltener politische Beiträge.
„Kriminaltouristen“
Aktiver auf Facebook ist Fred Keup, der in der ersten Jahreshälfte vorwiegend gegen „kriminelle“ Einwanderer Stimmung machte und sich Anfang Mai mit CSV-Innenminister Léon Gloden in einem „Face-à-Face“ auf RTL Radio einig war, dass Luxemburg mehr staatliche Repression benötige. Mit Gloden stimmt die ADR auch überein, dass die EU ihre Außengrenzen besser schützen muss, sie spricht von „Kriminaltouristen“ und „Intensivtätern“, die ausgewiesen werden müssten. Nicht geäußert hat die ADR sich hingegen zu dem Pedo-Hunter-Vorfall, der sich Mitte des Jahres in Keups Nachbargemeinde Mamer ereignete. Auch den Prozess gegen den 23-jährigen schwedischen Neonazi Alexander H. aus Strassen, der mehrere rechtsextremistische Terroranschläge geplant und in Luxemburg Sprengstoff und Bomben hergestellt haben soll, ließ die ADR unkommentiert.
In der Ideologie der ADR, wie Fred Keup sie im Mai nach Luc Friedens Rede zur Lage der Nation in der Kammer darlegte, ist die Einwanderung und das damit einhergehende Bevölkerungswachstum die Wurzel allen Übels: Wohnungsnot, Armut, Überlastung des Rentensystems, Stau auf den Autobahnen, Zersiedlung der Landschaft, Verlust der „nationalen Identität“, der luxemburgischen Sprache und der Natur, Verschwinden der „traditionellen“ Familie, Personalmangel beim Staat. Die Rezepte, die die ADR anführt, um dieser „Wachstumsfalle“, die zum „Eine-Million-Einwohner-Staat“ führt, zu entgehen, sind wenig einfallsreich: Eine gute „Nischenpolitik“ und Innovation wie „damals“ bei der Gründung von RTL und der SES; niedrige Akzisen auf Tabak, Benzin und Diesel; der Schutz des Finanzplatzes; der Ausbau von Autobahnen, der Dreibahn im Norden und neue Umgehungsstraßen; die Förderung der bürgerlichen Familie, der luxemburgischen Sprache und der „Integration“.
Außenpolitisch ist die ADR gegen Aufrüstung und Waffenlieferungen an die Ukraine, für Frieden mit Wladimir Putins Russland – selbst wenn dieser Frieden für die Ukraine „ungerecht“ wäre. Ihr Europaabgeordneter Fernand Kartheiser nahm sogar seinen Ausschluss aus der EKR-Fraktion in Kauf, um sich auf einer Russlandreise „aktiv an den Friedensverhandlungen“ zu beteiligen. Die Kommunistische Partei applaudierte, Kartheiser sei „wohl ein Rechtspopulist und fundamentaler Katholik“, sei aber „offenbar auch der letzte auf diplomatischem Parkett hierzulande, der auch als Ex-Diplomat nicht vergessen hat, was Diplomatie heißt“, schrieb deren Präsident Ali Ruckert Ende Mai in der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek. Kartheisers Russophilie steht im Widerspruch zu den Ansichten seines Parteifreunds Tom Weidig, der vor den Europawahlen der Ukraine öffentlich seine Unterstützung zugesagt und damit in der Partei für Verwirrung gesorgt hatte. Inzwischen scheint er sich der Parteilinie unterworfen zu haben. Auch zur Trump-Administration hat die ADR ein gespaltenes Verhältnis: Während Weidig den US-Präsidenten und seinen Vize JD Vance offen bewundert, kritisiert Keup die Regierung, weil sie Trumps Forderung nach einer Erhöhung des NATO-Beitrags nachgegeben hat.
Sehnsüchte
Im Parlament verspricht die ADR den „Leit dobaussen“ die mögliche Rückkehr in ein idealisiertes Luxemburg der 50er oder 60er Jahre, als 300.000 Menschen im Großherzogtum wohnten, der Anteil der Nicht-Luxemburger bei zehn Prozent lag, die CSV die Hälfte der Abgeordneten stellte, die Europäische Gemeinschaft nicht mehr als ein Wirtschaftsverband war, Frauen kochten, putzten, sich um die Kinder kümmerten und sonntags zur Kirche gingen, Homosexuelle offiziell nicht existierten. Realpolitisch stößt die ADR jedoch schnell an ihre Grenzen, praktisch umsetzbar ist ihre „Vision“ selbstverständlich nicht. Doch sie weckt bei manchen Menschen Sehnsüchte und Erinnerungen an eine vielleicht „bessere“, längst verloren gegangene Zeit – insbesondere bei solchen, die sich in der schnelllebigen und hypervernetzten Gegenwart aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr zurechtfinden.
Entsprechend schwer fällt es der ADR, sich zur politischen Aktualität klar zu positionieren. Die Umsetzung des europäischen „Digital Services Act“ lehnt sie ab, weil er die Meinungsfreiheit einschränke, doch die Meinungsfreiheit zählt für die ADR nur, wenn es um ihre eigene Meinung geht. Ihre Vorschläge zur Rentenreform hätten auch von der Regierung kommen können, sie enthielten sowohl eine Erhöhung der Beiträge und des Rentenalters als auch eine Förderung der Betriebs- und privaten Zusatzrenten. Ähnlich verhält es sich mit der Individualbesteuerung, gegen die die ADR nicht grundsätzlich ist, jedoch darauf hält, dass auch etwas für die Kinder getan werden müsse. In der Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften zeigt die Partei ebenfalls viel Verständnis für das Vorgehen der Regierung. Insgesamt nutzt die ADR trotz Fraktionsstärke ihr parlamentarisches Kontrollrecht im Vergleich zu den anderen Oppositionsparteien wenig, eine Sternstunde in der Abgeordnetenkammer hatte sie im Juni, als Dan Hardy protektionistisch einen niedrigeren Mehrwertsteuersatz für den Verkauf von in Luxemburg hergestelltem Bier und Wein in Cafés und Restaurants forderte. Seine Motion wurde mit großer Mehrheit abgelehnt.
De Maart

@Reinertz
Zitat: "...das kann man aber mit ein bisschen Menschenverstand lösen...."
Während Sie doch bitte so nett und den geneigten Lesern die Definition ihres "bisschen Menschenverstandes" liefern.
Danke!
RBM Scheinbar hat es den Vorgaenger Regierungen jeder Couleur auch an dem bisschen Menschenverstand gefehlt .
Gute Analyse, Herr Laboulle. Ich möchte hier die Hoffnung zum Ausdruck bringen, dass viele Wähler*innen, welche die kackbraune ADR Truppe seinerzeit aus Protest gewählt hatten, mittlerweile erkannt haben, dass ihre wirklichen Interessen gar nicht von diesem menschenfeindlichen Verein vertreten werden. Man mag mit so manchen Parteien unzufrieden sein, aus reinem Protest die Faschos und damit gegen die eigenen Interessen wählen, kann jedoch niemals die passende Lösung sein.
Bei den nächsten Wahlen sollten die Wähler*innen die braune Truppe dorthin befördern, wo sich die unbelehrbaren Altstalinisten von Aly Ruckert längst befinden, nämlich vor die Türen des Parlaments.
Die Beitraege des Herrn Laboulle sind immer recherchiert. Ich weiss dies sehr zu schaetzen. Ehre wem Ehre gebuehrt...
Es ist kindisch von einer Wachstumsfalle zu reden, wir brauchen Wirtschaftswachstum, um den Sozialstaat zu finanzieren, auch wenn unser Sozialstaat einige Probleme mit sich bringt; z.B. die aktuelle Wohnungsnot, um nur die zu nennen, das kann man aber mit ein bisschen Menschenverstand lösen.... den aber scheinbar unsere aktuelle Regierung des CEO Frieden nicht hat....