HintergrundDeutschlands Sorgen vor der „Gas-Triage“ – die wichtigsten Fragen und Antworten

Hintergrund / Deutschlands Sorgen vor der „Gas-Triage“ – die wichtigsten Fragen und Antworten
Hausdächer in Stuttgart: Deutschland fürchtet einen Gas-Engpass Foto: dpa/Marijan Murat

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In Deutschland können strauchelnde Energiekonzerne bei einer Gasnotlage künftig leichter vom Staat gerettet werden – die Energieversorger können aber auch ihre hohen Preise weiterreichen. Bald kommt eine Gesetzesänderung. Was bedeutet das?

Warum ist das Gasproblem so drängend? Vom 11. bis 21. Juli wird der Betreiber der Ostseepipeline Nord Stream 1 beide Leitungsstränge der Gasleitung für „routinemäßige Wartungsarbeiten“ vorübergehend abschalten. Der Betreiber, die Nord Stream AG, gehört zu 51 Prozent dem russischen Staatskonzern Gazprom. In der Bundesregierung ist man mehr als besorgt: Was, wenn der Gashahn am 21. Juli nicht wieder aufgedreht wird? Dann steuert Deutschlands Wirtschaft geradewegs auf eine dramatische Lage zu, heißt es ziemlich unverblümt aus Regierungskreisen.

Welche Maßnahmen wurden am Dienstag beschlossen? Vorgesehen ist zum einen ein Schutzschirm für Energiefirmen, die der kritischen Infrastruktur zugerechnet werden – dazu sollen Stabilisierungsmaßnahmen bis hin zum Einstieg des Staates vereinfacht werden. Vorbild dafür ist die Hilfe für Firmen wie die Lufthansa in der Corona-Pandemie. Zum Zweiten soll es Energieversorgern, die von hohen Preisen betroffen sind, ermöglicht werden, die hohen Preise weiterzugeben. Es gibt bereits einen solchen Preismechanismus im Energiesicherungsgesetz, nun soll es auch einen Umlagemechanismus geben, bei dem die Mehrkosten für die Ersatzbeschaffung von Gas über eine Umlage auf alle Gaskunden verteilt werden. Beide Mechanismen zur Preisanpassung seien „scharfe Schwerter“ und Instrumente, „die wir noch nicht nutzen wollen“, sagte der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen. Mit der Gesetzesnovelle wird aber die Voraussetzung geschaffen, sie einzusetzen.

Die Lage am Gasmarkt ist angespannt und wir können eine Verschlechterung der Situation leider nicht ausschließen

Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck.

Was bezweckt die deutsche Regierung? Habeck will dafür sorgen, dass rechtlich genug Möglichkeiten bestehen, auf ein Ende der russischen Gasversorgung reagieren zu können. Es geht vor allem um Schadensbegrenzung und das Abfedern der schlimmsten Folgen für Wirtschaft, Gesellschaft und private Haushalte. „Die Lage am Gasmarkt ist angespannt und wir können eine Verschlechterung der Situation leider nicht ausschließen“, sagte Habeck. Es gehe nun darum, alles zu tun, um im Winter die „grundlegende Versorgung aufrechtzuerhalten und die Energiemärkte so lange es geht am Laufen zu halten“.

Warum gerade jetzt? Hintergrund dürfte die Lage des angeschlagenen Uniper-Konzerns sein, der den Staat bereits um Hilfe bat und mit der Regierung derzeit über Stabilisierungsmaßnahmen spricht. Ob der Energiekonzern letztlich „staatlich unterstützt“ werde, werde noch „zu entscheiden sein“, sagte Habeck.

Wann kommt die neue Regelung? Wenn alles so läuft, wie es die Regierung plant, soll das Gesetz am Ende der Woche bereits geändert sein. In rasendem Tempo wurde an diesem Dienstag die Kabinettsbefassung erledigt, nun soll der Bundestag grünes Licht geben, am Freitag dann der Bundesrat.

Sollen private Haushalte möglicherweise doch in der Priorisierung hinter die Industrie rutschen? Habeck wies solche Gedankenspiele zurück und verwies auf europäisches Recht. „Aus einer möglichen Gasmangellage, wo eine Unterversorgung da ist, werden die privaten Nutzer als letztes reguliert und abgeschaltet. Das wird nicht gebrochen, daran halten wir uns.“ An der Reihenfolge werde sich Habeck zufolge also nichts ändern. SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch sagte dazu, eine Trennung von industrieller und privater Versorgung sei aber nicht immer möglich. Man habe jetzt der Regierung Flexibilität eingeräumt. Er rief das Wirtschaftsministerium und die Bundesnetzagentur dazu auf, im Ernstfall einer Gasmangellage genau zu prüfen, wo reguliert werde. Zudem rief Miersch die Menschen auf, auch zu Hause so viel Gas zu sparen wie möglich.

Was sagt die Opposition? Unions-Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei forderte, „so schnell wie möglich“ aus der Gasverstromung auszusteigen. So müssten etwa die verbliebenen Kernkraftwerke weiterlaufen, auch der Weiterbetrieb der Kohlekraftwerke sei notwendig. Es sei allerdings merkwürdig, dass deren Reaktivierung erst nach der Wahl in NRW erfolgt sei. „Angesichts der Dramatik der Situation legt die Bundesregierung nicht die Entschlossenheit an den Tag, die es bräuchte“, kritisierte Frei. Es dürfe zudem nicht die erste Aufgabe der Regierung sein, sich mit einer „Gas-Triage“ zu beschäftigen, „sondern die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass die Lücke nicht entsteht oder sie so klein wie möglich wird.“