Merkel will Schlussstrich ziehen: Die CDU startet in die große Zeitenwende

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Ein Fernsehreporter spricht von einer „historischen Pressekonferenz“, Volker Bouffier vorne am Pult von einer „tiefen Zäsur“ für die CDU. Und die Verursacherin des Ganzen?

Von unserem Korrespondenten Werner Kolhoff

Angela Merkel trägt ihren bevorstehenden Rückzug vom Amt der Parteivorsitzenden, ihr absehbares Ende als Kanzlerin und ihren baldigen Totalausstieg aus der Politik in einer Tonlage vor, mit der sie auch mitteilen könnte, warum sie für heute das pinkfarbene Jackett gewählt hat.

Nur dass sie vom Zettel abliest, weist auf eine gewisse Bedeutung hin. Später, bei der Befragung durch die Journalisten, lächelt sie dann schon wieder mehrfach und antwortet ganz locker. Es sei, sagt sie, um die komplizierte Frage gegangen, wie man in Deutschland als Kanzlerin „in Würde“ aus dem Amt ausscheiden könne. „Bei uns gibt es ja keine Begrenzung.“ Darüber habe sie sich schon seit längerem Gedanken gemacht. Und zwar, deutet Merkel an, unabhängig von den Streitereien in der GroKo und auch von den Wahlniederlagen in Bayern und Hessen. Im Sommer habe sie sich dann entschieden – und dies eigentlich erst bei der Vorstandsklausur am kommenden Wochenende mitteilen wollen. „Das ziehe ich nun um eine Woche vor.“

Eine Entscheidung ohne Wenn und Aber

Es ist eine Entscheidung ohne Wenn und Aber: Den Parteivorsitz gibt sie schon im Dezember ab, Kanzlerin bleibt sie noch bis zum Ende der Legislaturperiode, und im Falle vorgezogener Neuwahlen tritt sie nicht wieder an. Und für die Zeit danach strebt sie keine neuen Ämter mehr an. Auch nicht bei der EU in Brüssel, es gebe da ja Gerüchte, sagt sie. Was sie nach der Politik machen werde? „Ich hab jetzt keine Sorge, dass mir nix einfällt“. Und grinst.

Im Parteipräsidium melden Gesundheitsminister Jens Spahn und Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer ihre Ambitionen auf das Parteiamt an, kaum dass die Chefin dort ihren bevorstehenden Abgang verkündet hat. Beide haben im Vorfeld von der Entscheidung nichts gewusst. Kramp-Karrenbauer hat noch am Vorabend gesagt, sie habe „kein anderes Signal“ als das einer erneuten Merkel-Kandidatur. Aber jetzt gilt es, schnell zu sein. Von Friedrich Merz, Erzkonkurrent aus Merkels Anfangszeiten, wird ebenfalls Interesse gemeldet. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet will seine Chancen zunächst in Gesprächen mit wichtigen Landesvorsitzenden ausloten, teilt er am Nachmittag mit. „Es geht nicht darum, wer ruft als Erster: hier!“

Merkel lässt bei ihrer Pressekonferenz nicht erkennen, wen sie gerne als Nachfolger hätte. So ein Einflussversuch von oben gehe immer schief, sagt sie. Und spricht davon, dass auf die Partei jetzt doch ein „schöner Prozess“ der Selbstvergewisserung zukomme. „Das hatten wir ja 18 Jahre nicht.“ Freilich könnte dieser Prozess leicht zum Richtungsstreit werden. Merkelianer gegen Merzianer. Der beginnt schon am Montag mit Presseerklärungen: Die Frauenunion für Kramp-Karrenbauer, Wirtschaftspolitiker und -verbände für Merz.

„Treppenwitz der Geschichte“

Jetzt lässt Merkel sich also doch auf die Trennung von Parteivorsitz und Regierungsamt ein, die sie eigentlich immer hatte vermeiden wollen. Das gelte ja nur für eine „begrenzte Zeit“, sagt sie. Und sei möglich, weil sie für sich entschieden habe, dass dies ihre letzte Kanzlerschaft sei. Aber es sei ein Wagnis, „keine Frage“. Die 64-Jährige hat sich vorgenommen, sich nach dem Hamburger Parteitag Anfang Dezember ganz auf die Regierungsarbeit zu konzentrieren. „Das Bild, das wir abgegeben haben, ist inakzeptabel“, formuliert sie. Das sei beileibe nicht nur ein Kommunikationsproblem, „ich rede über Arbeitskultur“.

In den eigenen Reihen gibt es so kurz nach der Entscheidung erst einmal nur Loyalitätsbekundungen. Wie haltbar die sein werden, muss sich noch zeigen. „Wir freuen uns, dass sie das Amt als Bundeskanzlerin weiter ausüben will“, erklärt Ralph Brinkhaus, der neue CDU/CSU-Fraktionschef. „Wir werden alles daran setzen, gemeinsam mit Angela Merkel und der von ihr geführten Bundesregierung diese Wahlperiode zu einem Erfolg zu machen.“ Dabei hat Brinkhaus mit seiner erfolgreichen Kandidatur gegen den Merkel-Vertrauten Volker Kauder die Autorität der Kanzlerin ernsthaft ins Wanken gebracht. So wie sonst nur noch einer: Horst Seehofer.

Der erklärt am Montag treuherzig, wie schade er den angekündigten Rücktritt finde: „Wir haben uns manche Diskussionen geleistet. Aber es war immer eine vertrauensvolle, von gegenseitigem Respekt getragene Zusammenarbeit.“ Seehofer, der Unruheherd des Jahres, bleibt im Amt, Merkel nicht. Der CDU-Haushaltspolitiker Eckhardt Rehberg nennt das einen „Treppenwitz der Geschichte“. Zweimal wird Merkel bei ihrer Pressekonferenz nach der Zukunft Seehofers als Minister gefragt. Es ist die einzige Frage, die sie nicht beantwortet.


Das Nachfolge-Karussell dreht sich – die möglichen Kandidaten

Annegret Kramp-Karrenbauer

Die 56-Jährige ist Merkels Wunschnachfolgerin, weil sie ihr in vielem sehr ähnelt. Aber genau das könnte jetzt das größte Handicap von „AKK“ werden. Denn viele in der CDU wollen einen echten „Neuanfang“. Kramp-Karrenbauer ist pragmatisch und steht für ein modernes Weltbild der Union. Sie hat kurzzeitig im Saarland eine „Jamaika“-Koalition angeführt, später dann eine GroKo. Erst im Februar wechselte sie aus dem sicheren Amt in Saarbrücken nach Berlin als CDU-Generalsekretärin, was als klare Vorbereitung auf die Merkel-Nachfolge gewertet wurde.

Armin Laschet

Als Ministerpräsident des größten Bundeslandes, Nordrhein-Westfalen, ist er schon natürlicherweise ein Anwärter. Der 57-jährige Aachener galt vor allem in der Integrations- und Zuwanderungspolitik lange Zeit als ausgesprochen liberal, hat seine Positionen aber inzwischen etwas verändert. Bei Abschiebungen zum Beispiel fährt er einen harten Kurs. Laschet regiert in einer schwarz-gelben Koalition und versteht sich ausgesprochen gut mit FDP-Chef Lindner. Er und Kramp-Karrenbauer würden sich freilich gegenseitig Konkurrenz machen, wenn sie beide anträten.

Jens Spahn

Der 38-Jährige aus dem Münsterland tat sich als Kritiker der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin hervor und verschaffte ihr auf dem letzten CDU-Parteitag eine überraschende Niederlage, als er gegen ihren Willen einen Antrag durchsetzte, mit dem die doppelte Staatsangehörigkeit abgelehnt wird. Spahn erstarkte so sehr, dass Merkel ihn bei der Kabinettsbildung berücksichtigen und zum Gesundheitsminister machen musste. Seither gibt sich der CDU-Nachwuchsmann loyal. Von der gegen Merkel durchgesetzten „Ehe für alle“ profitierte er und heiratete Ende 2017 seinen Lebenspartner. Spahn und Merz stünden sich bei einer Kandidatur gegenseitig im Weg.

Friedrich Merz

Der Ex-Fraktionschef meldete gestern als Erster seine Ambitionen an – allerdings nur indirekt via Bild. Es wäre eine Kandidatur der Rache, denn Merkel hatte Merz 2004 entmachtet. Damals hatte sich der Finanzexperte, der einst die sogenannte „Bierdeckel“-Steuerreform erfand, aus der Politik zurückgezogen und war in die Wirtschaft gegangen. Aus dem Off hatte sich der heute 62-Jährige aber immer wieder mal mit ätzender Kritik an der CDU-Chefin gemeldet. Sowohl an ihrem Wahlkampfstil als auch an der Flüchtlingspolitik. Um Merz könnten sich die Parteirechten und der Wirtschaftsflügel sammeln.